MONTE. Eveline Keller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eveline Keller
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783347018716
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man dem arbeitswilligen Vater keine ernsthafte Arbeit geben, bei der er genug verdiente, um die Familie zu ernähren? Warum legte man alles immer nur auf Schadensbegrenzung aus? Warum immer nur das Minimum bewilligen? Es war zum Aus-der-Haut-Fahren.

      Seufzend schaute ich auf die Uhr. Ich hatte keine Lust, wieder rein zu gehen. Jedem Entscheid gingen stundenlange Diskussionen voraus und nach über einer Stunde waren wir erst beim dritten von acht Punkten angelangt. Bisher hatten wir nie mehr als fünf Traktanden an einem Abend geschafft.

      Eigentlich hatte ich mir die Aufgabe der Sozialbehörde anders vorgestellt. Ich glaubte, bedürftigen Leuten helfen zu können. Stattdessen ging es darum, ob die Müllers im Altersheim weiterhin gratis Tickets für das Regionalkino erhalten sollten. Ob Frau Hubers Antrag auf Ergänzungsleistungen gutgeheißen werden könne, obwohl sie im eigenen Vier-Familienhaus wohnte und von den Mieteinkünften lebte. Und eben um Familien wie die Qantados.

      Ich stand neben dem Aschenbecher und seufzte, dabei hörte ich meinem Magen zu, wie er sich vor lauter Diät verknotete, und zählte zur Entspannung Kalorien. Doch es half nichts, ich musste wieder zurück.

      Als ich eintrat, schlug mir eine dumpfe Stimmung entgegen. Uschi mahnte zur Eile und wies mich an, spontane Pausen zu unterlassen. „Dein Engagement im Fall Qantado in Ehren, aber dein Vorgehen war unkollegial. Warum hast du Markus nichts von deinen Nachforschungen gesagt? Wie kommst du dazu, ohne Absprache mit uns an einem Fall zu arbeiten? Du benimmst dich, als wären wir die letzten Hinterwäldler.“

      Ertappt starrte ich sie an.

      „Ich weiß nicht, woher dein Misstrauen rührt“, fuhr sie fort. „Diese Herumspioniererei, das geht nicht! Was soll das? Das ist hier doch kein Krimi. Und seit wann rauchst du überhaupt?“

      Ich räusperte mich und erklärte, dass, wenn ich gewusst hätte, worauf meine Nachforschungen hinauslaufen würden, ich anders reagiert hätte. Da der Fall heute auf der Tagesordnung gestanden habe, sei ich davon ausgegangen, es hätte sich erübrigt, Markus vorab zu informieren.

      „Gib uns bitte Bescheid, bevor wir unsere Gesichter auf Facebook wiederfinden, wenn du hier heimlich wild in der Gegend rumfotografierst“, fuhr mich Dora an.

      Und dann redeten sie alle gleichzeitig auf mich ein. Je mehr ich versuchte zu erklären, desto heftiger wurden die Vorwürfe. Ich sei nicht teamfähig, Zusammenarbeit sei ein Fremdwort für mich und als Neue solle ich erst mal zuhören und nicht gleich alle plattfahren.

      Durch das Geschrei drang Uschis hohe, zitternde Stimme mit einem Ordnungsantrag. „Eines der Traktanden betrifft den Teamausflug, den wir aus Dringlichkeit vorziehen. Wir müssen unsere Zusammenarbeit und Kommunikation verbessern sowie das Verständnis füreinander fördern.“

      Wir blickten uns verwundert an. Uschi schlug vor, im Anschluss an die Sitzung in der Gartenlaube des Restaurants Linde zusammenzukommen, zwecks Planung des Team-Anlasses.

      Allgemeiner Aufschrei; nicht eruierbar ob positiv oder negativ.

      „Wer übernimmt die Organisation?“

      In das folgende Schweigen mischte sich unbehagliches Stühlerücken.

      Zu fortgeschrittener Stunde kam das nächste Traktandum an die Reihe. Es ging um die schriftliche Aufforderung von Hans Furrer, ihm den Wohnort seiner Enkelinnen mitzuteilen. Falls wir ihren Aufenthaltsort immer noch nicht herausgefunden hätten, verlange er, dass wir bei der Polizei eine Vermisstenanzeige aufgäben. Sein Schreiben schloss mit den Worten: „… sonst passiert was!“

      Markus brachte seinen Spruch: „Der Furrer, das alte Raubein, kämpft wieder mal gegen Windmühlen. Seit dem T od seiner Frau Nelly ist er völlig von der Rolle.“

      „Da geht es doch um die Sache mit Iris’ Ex-Mann, der mit den Kindern weggezogen ist?“, überlegte Robin laut. „Der kam immer nur aus der Deckung, um Geld von Iris zu pumpen. Als ob die welches gehabt hätte.“

      Iris, erklärte mir Dora kopfschüttelnd, sei naiv gewesen, eine Träumerin, untypisch für eine Schweizerin. Sie schien nicht von dieser Welt. Selten habe sie jemanden getroffen, der sich im realen Leben so wenig zurechtfand wie Iris. Sie sei ein tragischer Fall, von Anfang bis Ende. Die Männer habe sie angezogen wie Motten das Licht, schließlich habe sie Kevin, dieses Frettchen, geheiratet und sein Kind bekommen, nachdem er längst wieder verschwunden war. Wahrscheinlich, weil es nicht seins war. Ihr könne man da nichts vormachen, stellte Dora fest. Und als er wieder auftauchte, habe sie noch ein Kind auf die Welt gebracht – nur um sich anschließend scheiden zu lassen. Die Männer seien ihr doch alle verfallen gewesen, eine Nymphomanin eben.

      „Du musst es ja wissen“, murrte Robin.

      „Sicher!“, Dora rollte mit den Augen. „Sie hat ihre Liebhaber gewechselt wie andere ihre Unterwäsche.“

      „Neidisch?“

      „Hör mal, ich weiß, wovon ich rede.“ Nachdenklicher setzte sie hinzu: „Entschuldige – vielleicht trauerst du ja noch um sie.“

      „Halt dein Schandmaul“, schnappte Markus. „So redet man nicht über eine Tote. Ich verbitte mir das. Aus dir spricht die pure Eifersucht.“

      „Du hast mir gar nichts zu verbieten. Also wirklich! Die Zeiten, in denen Männer Machtworte gesprochen haben, sind vorbei.“ Dora sah die anderen an. „Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Benni zum Beispiel, der Betreibungsbeamte, der war dauernd bei ihr.“

      „Dürfte einen eher monetären als einen emotionalen Grund gehabt haben. Ihr flatterten täglich Pfändungsandrohungen ins Haus“, brummte Robin.

      Dora blieb dabei, Benni sei dem Charme der zarten Frau erlegen und habe nur deshalb die Fristen verlängert. Markus schüttelte den Kopf, kramte ein Foto von Iris hervor und zeigte es mir.

      Typisch, allen habe sie den Kopf verdreht, wie man sehe, ließ sich Dora vernehmen. Und nicht nur Benni, vor ihm sei der Lindenwirt regelmäßig bei Iris gewesen, exakt nachdem ihm seine Frau davongelaufen sei.

      „Bevor du noch mehr Affären erfindest: Die Frau des Wirtes ist mit ihrem Kurschatten abgehauen. Das hatte nichts mit Iris zu tun“, trug Uschi bei.

      „Wenn du meinst? “ Dora klang nicht überzeugt. „Ich sage euch, die Männer gaben sich bei ihr die Klinke in die Hand. Ich habe ihren Hauseingang genau im Blickfeld. Und dir, Robin, wurde das Hin und Her bei ihr auch zu viel, gell? Sogar Markus.“

      „Verschone uns mit deiner Einfühlungsgabe“, bemerkte Robin angewidert. „Überhaupt: Was willst du damit sagen? War sie ein Mensch zweiter Klasse, weil sie viele Männer, aber kein Glück im Leben hatte?“

      „Nein, aber wäre sie weniger flatterhaft gewesen, müssten wir nicht aufwendig nach den Kindern forschen, die sie in die Welt gesetzt hat.“

      Dieses blöde Gerede müsse er sich nicht länger anhören, erklärte Markus. Am Ende sei Iris noch schuld, dass ein anderer mit dem Auto in sie reingefahren sei.

      Wenn sie geregelte Verhältnisse gehabt hätte, müsste sich die Behörde jetzt nicht über ihren Fall beugen, beharrte Dora.

      „Wenn der Hund nicht geschissen hätte, hätte er die Katze erwischt“, bemerkte ich trocken. „Der an mich übergebene Fall weist einige Lücken auf. Du hast dich mit Nachforschungen nicht gerade überanstrengt, obwohl du doch der Familie gegenüber so kritisch bist, Dora.“

      „Was? Das muss ich mir nicht sagen lassen. Nach allem, was ich für diese Gemeinde getan habe! Ich habe immer alle informiert. Schon lange vor deiner Zeit.“

      „Fasse es mir doch bitte kurz zusammen“, bat ich.

      „Spinnst du! Ich werde mich dazu jetzt nicht rechtfertigen! Das ist nun dein Fall, jetzt bist du dran. Zeig uns, was du draufhast.“

      Mit Unschuldsmine fragte Markus: „Erzähl uns doch mal Dora, wie das mit dir und Peter begann, deinem späteren Mann und ehemaligen Lebenspartner von Iris.“

      Die Wende, die das Thema jetzt nahm, ging Robin wohl zu weit. Er klopfte auf den Tisch und stellte ebenfalls