Känguruherz. Doris Herrmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Doris Herrmann
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783347041769
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Doch noch gab es unüberwindbare Hemmungen, die mich daran hinderten. Die Gründe hierfür lagen in den unendlich tiefen Empfindungen, die diese Tiere in mir hervorriefen. Keine andere Tierart vermochte dies. Immer, wenn ich im Basler Zoo die Kängurus besuchte, wurde mein gesamter Körper von einem Zittern übermannt, das so stark war, dass ich es kaum beherrschen konnte. Es war ein sowohl seltsames als auch unheimliches Phänomen, da es wie etwas Fremdes über mich kam und mich seelisch quälte. Einige Male beklagte ich mich darüber bei meiner Mama, worauf sie mich aufzumuntern suchte, indem sie scherzte, dies gehöre nun mal zu einer echten Känguruliebe! Bei anderer Gelegenheit versuchte sie mich so zu trösten: „Die Rosen, die man liebt, haben auch Dornen!“

      Meine Hemmung währte so lange, bis ich eines Tages im Zoo auf eine Schulklasse traf. Die Kinder hockten in Scharen vor dem Gitter der Kängurustallungen und streichelten einige der zutraulichsten Tiere. Dieser Anblick übte einen unwiderstehlichen Reiz auf mich aus, und so drängte ich mich nach vorne und fuhr mit zitternder Hand über eines der Felle. Ein beseligendes Gefühl durchströmte mich, und voller Staunen bemerkte ich, wie herrlich weich dieses Fell war, weicher sogar als das einer Katze! Es war eben jener körperliche Kontakt, der meine übergrosse Erregung dämpfte und mein Zittern im Laufe der folgenden Monate ganz verschwinden liess.

      Es war eines Sonntags im Antilopenhaus, das auch von einer Kängurugruppe bewohnt wurde, als ich meine Mutter bat, den Tierpfleger Glücki anzusprechen, um ihm von meiner Leidenschaft für diese Tiere zu berichten. Sie willigte ein, und wir unterhielten uns angeregt mit ihm. Dann übersetzte Mama mir, dass Glücki mich überraschen und mir eine besondere Freude machen wolle. Ahnungslos harrte ich der Dinge, die da kommen sollten. Der Tierpfleger kam mit einem zweieinhalbjährigen Känguruweibchen zu mir. Es zappelte kurz, blieb aber dann brav in den Armen Glückis. Es hatte einen hübschen Kopf und sah mich mit lieben Augen aufmerksam an. Ich betrachtete es eine Weile. Dann berührte ich es vorsichtig. Wie staunte ich, als ich erfuhr, dass dieses kleine Geschöpf bereits ein Baby in Mäusegrösse in seinem verschlossenen Beutel trug!

      Wenig später begann ich meine regelmässigen Besuche bei einer stattlichen Gruppe neun grauer Riesenkängurus. Mehrmals in der Woche stand ich früh um halb sechs auf, machte mir eilig mein Frühstück, fuhr mit der Strassenbahn nach Basel und lief zum Zoo, der für Besucher bereits ab sieben geöffnet war. Eine knappe halbe Stunde bei den Kängurus reichte mir, ehe ich den zwanzigminütigen Fussmarsch zur Berufsschule antrat. Stets hatte ich Seife und Handtuch in meiner Schulmappe, um mir noch rechtzeitig vor Schulbeginn die Hände waschen zu können. Ich wollte unbedingt verhindern, dass sich im Schulzimmer ein fremdartiger, „tierischer“ Geruch verbreitete. Doch nützte dies meist wenig, da meine Kleidung all die unterschiedlichen „Düfte“ aus dem Inneren des Antilopenhauses angenommen hatte, in dem neben den Kängurus auch Giraffen, Okapis, Gnus und natürlich Antilopen untergebracht waren. Im Winter, wenn der Zoo erst um acht Uhr geöffnet wurde, opferte ich meine schulfreien Stunden oder die Feiertage für diese Besuche.

      Mit Glücki, der das gesamte Antilopenhaus betreute, verband mich bald ein freundschaftliches Verhältnis. Ich mochte den Blick seiner lieben, schalkhaften Augen und sein herzerwärmendes Lächeln. Wir diskutierten eifrig in Lautsprache oder schriftlich über Fragen der Känguruhaltung. Was ich dabei über diese Tiere lernte, schrieb ich in ein sorgsam gehütetes Oktavheft. Hier ein Ausschnitt, mitsamt den Fehlern des Originals:

      „Ich ging zum Känguru und brachte dem Wärter Rübli. Ich habe zu Hause Rübli gewaschen, geschält und fein geschnitten, damit es dem Känguru auch gut schmeckt. Es soll kein Schmutz darin sein wegen Würmern in Darm. Ein Okapi war letztes Jahr gestorben wegen Würmern im Darm.“

      Ich litt unter der Wahnvorstellung, aufgrund eigenen Verschuldens den Basler Zoo eines Tages ohne Kängurus vorzufinden…

      Jedes Mal nahm Glücki meine Gaben freundlich, aber nicht ohne verstecktes Schmunzeln entgegen und verteilte sie an die Kängurus. Es war strikt verboten, die Tiere zu füttern. Doch wenn keine anderen Besucher zugegen waren, überliess mir Glücki Bananen- oder Apfelstücke und sogar Zwiebeln, die ich den Tieren geben durfte. Dass sie auch Zwiebeln mochten, fand ich mehr als erstaunlich. Fortan entnahm ich unserer Küche zu Hause jeweils ein paar Zwiebeln oder kaufte sie gleich pfundweise. Aber bald schon bemerkte ich, dass sich auch mit leeren Händen eine Beziehung zu den Kängurus aufbauen liess.

      An einem Sonntag wollte ich meinem Papa die Zutraulichkeit „meiner“ Kängurus demonstrieren, indem ich meine Hand durchs Gitter streckte und sie rief. Sie kamen! Erwartungsvoll drehte ich mich zu meinem Vater um. Doch zu meiner grossen Enttäuschung krümmte er sich vor Lachen und meinte nur, keines der Tiere komme wirklich meinetwegen! Ja, er blieb noch lange skeptisch und vertrat die Ansicht, die Begegnungen zwischen mir und den Kängurus seien rein vom Zufall bestimmt, ganz anders als die zwischen Herrchen und Hund! Doch ich verteidigte mich und betonte immer wieder, zwischen mir und den Kängurus bestehe wirklich eine innere Beziehung. Schlussendlich musste auch mein Papa einsehen, dass ich Recht hatte.

      Es war nach einem meiner Zoobesuche, als ich daheim beim Essen ganz beseelt von dem mir allerliebsten, noch namenlosen Weibchen erzählte, das ich als erstes hatte streicheln dürfen. Nun bat ich alle, mir bei der Suche nach einem passenden Namen zu helfen. „Doris“! rief Mama heiter. – Ein Känguru mit meinem Namen? – Nein, diese völlige Übereinstimmung gefiel mir nicht. Doch eine Nähe zwischen uns sollte der Name schon ausdrücken, und so taufte ich das Weibchen „Dora“.

      Zwischen Dora und mir entwickelte sich bald eine festere Beziehung. Die körperlichen Kontakte wurden zahlreicher. Ich streichelte sie, und sie beschnupperte meine Hände. Manchmal betrachteten wir uns auch nur. Von allen Kängurus war Dora wohl das einzige, das im Laufe der Zeit sehr anhänglich wurde, wohingegen die andern sich mir gegenüber zumeist neutral verhielten. Doras auffällige Merkmale waren Kerben an beiden Ohrmuscheln. Glücki erklärte mir, dass dies aus ihrer Kindheit im Beutel herrühre, als ihre Ohren vermutlich von einem älteren Geschwister angeknabbert wurden, das seine Schnauze in den Beutel steckte um zu trinken.

      Bald schon konnte ich alle Kängurus mühelos voneinander unterscheiden. Umgekehrt schien auch Dora mich nun gut zu kennen, denn fast immer kam sie direkt auf mich zu, sobald ich mich dem Gehege näherte.

      Papa beharrte weiterhin auf seiner Meinung, dass Hunde leichter auf Zuruf oder Befehl folgten als Kängurus. Er blieb auch stur dabei, wenn ich stolz am Familientisch von meiner grossen Vertrautheit mit Dora berichtete. Wir hatten daheim einen grossen, schwarzen Schäferhund, den Papa vergeblich zu erziehen versucht hatte. Beim Essen bettelte er und war auch sonst recht undiszipliniert. Immer wieder musste ich ihn mit wilden Gesten und viel Geschrei zurechtweisen. Papa quittierte dies einmal, halb im Spass, halb im Ernst, mit der Bemerkung, er wolle mit mir in den Zoo gehen und genauso mit Dora verfahren wie ich mit seinem Hund. Zuerst erschrak ich ein wenig, stimmte dann aber in sein Lachen mit ein. Im Grunde aber war mir sehr wohl bewusst, welch gutes und treues Verhältnis sich zwischen Dora und mir angebahnt hatte.

      Mitten unter Kängurus

      Mein nächster sehnlicher Wunsch war, mich selber einmal unter den Kängurus zu bewegen. Von Professor Hediger, dem Direktor des Basler Zoos, erhielt ich die besondere Erlaubnis, die Innen- und Aussengehege zu betreten. Kaum hatte mich Tierpfleger Glücki zum ersten Mal hineingelassen, stand bereits meine liebe Dora vor mir und versuchte, mit ihren Vorderpfoten Halt an meiner Schulter zu finden!

      Vor allem der Geruch von Stoff und Leder wirkte auf Dora sehr anziehend und animierend. Immer wieder beschnupperte sie meine Kleidung oder knabberte an ihr. Wenn wir, wie so oft, Bauch an Bauch geschmiegt beieinander standen, pflegte sie mich auf spielerisch-zärtliche Weise zu kratzen. Keines der andern Kängurus interessierte sich auch nur annähernd so für mich. Doch auch sie hatten ihre besonderen Vorlieben, was mein Äusseres betraf. So konnte es passieren, dass sie es alle plötzlich einzig auf meine Schuhe abgesehen hatten. Ohne mich weiter zu beachten, beknabberten sie dann das offenbar gut riechende Leder, so dass ich Mühe hatte, meine Füsse frei zu bewegen. Manchmal fasste ich eins der Kängurus unter den Achseln und hob es hoch, bis sein Kopf auf meiner Augenhöhe war. Doch meist half dies nicht. Der erhoffte Augenkontakt blieb aus, was mich stets aufs Neue enttäuschte, da mir so die Beziehung zwischen Mensch und Tier weniger echt und glaubwürdig erschien. Doch trug ich selber zur Ursache dieses von mir