Immortality of Silence. Lena Victoria. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lena Victoria
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347125247
Скачать книгу
Loch anfühlt wie eine Lüge, die erfunden wurde, um deine Qualen unendlich lang auszudehnen. Doch schlussendlich ist es tatsächlich die Wahrheit – und ich hatte Menschen gefunden, die mir dabei geholfen hatten, es zu realisieren – und dass nur, weil ich eine spontane, für mich damals ungewöhnliche Entscheidung an einem ungemütlichen Ort getroffen hatte.

      Ich denke, ich sollte mehr über diese besonderen Personen erzählen.

      Finley hat eine leicht arrogante Ausstrahlung, die seinem Wesen nicht gerecht wird. Er ist hilfsbereit, hat ein gutes Herz und bringt jeden gerne zum Lachen. Allerdings litt er zu damaligen Zeiten unter unkontrollierbaren Wutausbrüchen, welche er glücklicherweise durch Kampfsport und Therapie in den Griff bekam. Finley hat uns außerdem viel von »seiner großen Liebe«, wie er sie nannte, erzählt. Doch nicht nur von schönen romantischen Geschichten – sondern vor allem von den unzähligen Streitereien, die meist durch seinen übertriebenen Zorn entstanden. »Ich habe sie verloren. Ich werde sie nie wiedersehen.«, hatte er die zwei Sätze, die ich mir bereits aus der Therapiesitzung wie einen Ohrwurm eingeprägt hatte, ein weiteres Mal wiederholt. Das Mädchen hatte ihn mit der Begründung »Ich habe Angst vor dir« verlassen. »Unsere Trennung ist gar nicht der größte Schmerz.«, hatte der junge Mann erklärt. »Sondern die Begründung.« Finley versicherte uns: »Ich habe sie nie wirkllich verletzt, doch ich habe Dinge gesagt, die ich sehr bereue.« Der junge Mann bemühte sich sehr, seine Fehler wieder gutzumachen. »Ich liebe Musik.«, wechselte er das Thema. »Ich spiele Gitarre und habe begonnen, Musiktherapie zu studieren, um mit Musik Menschen zu helfen, denen es vielleicht ähnlich geht wie mir.«

      »Ich gehe noch zur Schule.«, erzählte Ramona wenig begeistert. »Ich bin nicht gerne dort. Ich muss mich andauernd verstellen – immerzu lächeln, obwohl mir nach Schreien zumute ist.« Sie stockte. »Zu Hause herrscht meistens auch eine eher niedergeschlagene Stimmung. Versteht mich nicht falsch – ich liebe meinen Vater sehr und er bemüht sich wahnsinnig, mir mein Leben wieder so schön wie möglich zu gestalten, doch ich schaffe es in diesem Umfeld nicht über Dinge zu reden, die dringend ausgesprochen werden sollten. Ich ertrage es nicht, den gequälten Ausdruck auf seinem Gesicht zu erblicken, wenn ich nur den Namen meiner Mutter erwähne. Ich will sein Leben nicht noch schwerer machen als es bereits ist.« Das Mädchen starrte einige Sekunden traurig auf die Tischoberfläche, bevor sie uns ein Lächeln schenkte. »Ich bin wirklich froh, dass ich mit euch so offen darüber reden kann – danke.« Danach wechselte das Mädchen das Thema. Ramona erzählte von ihrer Leidenschaft zum Tanzen: »Es ist das einzige, was mir in dieser schweren Zeit noch immer ein Lächeln ins Gesicht zaubern kann. Egal wie laut die Ängste in meinem Kopf auch rumoren mögen – wenn ich tanze wird alles um mich herum ganz ruhig und für einen perfekten Moment fühlt sich alles so einfach an – als wäre alles möglich – keine Panik, keine Unsicherheiten – nur ich, die Musik und all die Glückshormone, die dadurch ausgelöst werden.« Es folgte eine kurze Pause. »Für einen Moment bin ich frei.« Das war der erste Moment, in dem ich Ramona lächeln sah. »Ich denke, dass jeder so eine Leidenschaft in seinem Leben braucht – so starke Liebe zu etwas, um sich für einige Zeit aus der Realität retten zu können.« Joris brachte sich in das Gespräch ein: »Ich schätze, das ist Kunst für mich. Zu Hause habe ich mir in unserem Keller ein eigenes kleines Atelier eingerichtet. Ich male jede freie Minute. Es gibt mir Kraft weiterzumachen, egal wie beschissen jeder nächste Vormittag auch sein mag.« Ich nickte verständnisvoll. »Eine Leidenschaft, die dem Leben einen Wert gibt – egal wie sinnlos die Existenz oftmals auch erscheinen mag.«, fügte ich hinzu.

      Ich ertappte meinen Vater dabei, wie er uns vom Tresen aus beobachtete. Er grinste mir zu. Mir war bewusst, dass er erleichtert war, dass ich endlich wieder etwas mit gleichaltrigen Personen unternahm. »Darf ich fragen warum du in deiner Schule geärgert wirst?«, stellte Finn die unangebrachte, aber doch relevante Frage. Meine Aufmerksamkeit war wieder zurück an unserem Tisch. »Das Mobbing hat begonnen als ich vor einem Jahr in eine neue Klasse kam, da ich das Jahr wiederholen musste. Ich hatte fast nichts für die Schule getan – ich saß lieber rund um die Uhr in meinem Atelier um an meinen Bildern zu arbeiten. Es war das einzige, was mir wichtig war – ist es auch noch immer. Doch während der ersten Schulwoche habe ich öfters nicht mitbekommen, dass mich ein Lehrer angesprochen hat, da ich zu sehr damit beschäftigt war, meinen Schulbüchern einen kreativen Touch zu verleihen.«, gab Joris überraschend wenig betroffen zurück. »Eigentlich keine tragische Sache – doch aus der ersten, mir damals noch harmlos erscheinenden Beleidigung, dass ich ein geistesabwesender Trottel sei, wurden tagtäglich immer mehr.« Ich konnte keine Emotionen in seinen Augen erkennen. »Mittlerweile weiß ich gar nicht mehr, weswegen genau ich gemobbt werde. Jeden Tag werden neue Geschichten hinter meinem Rücken erfunden und weitererzählt, um sich gegenseitig darüber zu belustigen.« Es folgte eine kurze Stille kombiniert mit einer Atmosphäre aus Mitleid und unsicheren Blicken, die nach der richtigen Antwort suchend durch die Gegend schwirrten. »Immerhin beginnt nach diesem Sommer endlich mein Abschlussjahr – ich kann es gar nicht mehr erwarten, endlich abzuhauen und mich nur noch voll und ganz auf meine Kunst zu konzentrieren.«, erklärte Joris. »Na dann scheiß auf diese Leute – konzentrier՚ dich nur auf dein Ziel.«, ermutigte Fin den Jungen. »Mit diesem niveaulosen Verhalten definieren diese Unmenschen nicht dich sondern nur sich selbst – angsterfüllte kleine Kinder, die nach einem Weg suchen mit ihren eigenen Komplexen klarzukommen.«

      »Fin hat recht.«, fügte Ramona hinzu. »Und sind wir nicht alle irgendwo Trottel?«

      Wir haben alle negative Seiten, wobei es einige wenige nur besser verstecken können als andere. Du musst wahnsinniges Glück haben, um jemanden zu finden vor dem du der Mensch sein kannst, der du wirklich bist, und der dich trotzdem aufrichtig liebt. An wen hast du gerade gedacht?

      Ich bin nicht allein, und du auch nicht.

      KAPITEL 3 – VOM WINDE VERWEHT

      Tage vergingen, Wochen verstrichen – Monate zogen an uns vorbei, ohne dass ich Zeit hatte, darüber nachzudenken – ich war zurück an die Oberfläche gekommen. Möglicherweise hatte ich mir während des Aufstieges ein paar Narben zugezogen, die ich weiterhin bei mir tragen würde – wie eine Trophäe, die mich daran erinnert, was ich alles gemeistert hatte.

      »Hallo Kamilla!«, ertönte die energievolle Stimme von Joris an fast jedem weiteren schönen Tag, an dem er mich in der Bar meines Vaters besuchte. Wir verbrachten seine wenigen freien Stunden, nach seiner qualvollen Schulzeit, gerne zusammen an der Theke – quatschend, diskutierend, lachend oder auch hin und wieder gerne schweigend. Bald darauf trafen wir uns so gut wie jeden Tag – es wurde fast selbstverständlich, dass der Junge in jeder freien Sekunde, in der kein Kunde nach mir fragte, bei dem hohen Holztisch auf mich wartete – vor ihm ein Zeichenblatt, ein Soda Zitron und immer einen aufmunternden Spruch auf den Lippen. Schließlich vergaßen wir, dass es einmal eine Zeit gab, in der es nicht so gewesen war.

      Aufgrund der weiten Entfernung konnte ich die Treffen mit Ramona leider an zwei Händen abzählen – doch dank des Internets blieben wir weiterhin in engem Kontakt. Aus einem einmaligen Chat entwickelte sich ein regelmäßiger nächtlicher stundenlanger Austausch. Obwohl ich meine Freundin nur spärlich sah, war ich ihr sehr viel näher als den meisten Menschen, denen ich täglich persönlich begegnete.

      Eine Seele mit der du verbunden bist und mit der du dieselben Ansichten über diese Welt teilst, wird dir immer – auch wenn sie örtlich weit entfernt ist – vertrauter sein als eine anwesende Person, die nie verstehen wird, wie du die Realität wahrnimmst. Es war gleichgültig, wie weit Ramona von mir entfernt war, denn ich konnte mir sicher sein, dass ich in wichtigen Situationen auf sie zählen konnte – genauso umgekehrt.

      Während ich mit Joris und Ramona meine kleine persönliche Therapiegruppe gefunden hatte, war der Kontakt zu Fin sehr schnell verblasst. Das einzige, was von dem letzten Mitglied unserer Runde noch blieb, waren kurze formelle Textnachrichten. Nicht jede Person ist dazu bestimmt, in deinem Leben zu bleiben – manche Personen werden kurze schöne Erinnerungen in deinem Gedächtnis hinterlassen, während andere als lebenslange Anker in deiner Nähe verweilen.

      »Was hast du heute gemalt?«, wollte ich von meinem Freund wissen als er an einem windigen Donnerstagnachmittag an unserer Theke Platz nahm. Er war wahnsinnig begabt darin, ein Modell in seiner wahren Form darzustellen