»Wo ist denn dein nicht-unsichtbarer Hund?« Julian tut so, als würde er ihn locken. »Hierher, Fifi, hierher!«
»Keine Chance«, sagt Fee. »Nur sensible, intelligente Menschen können ihn sehen.«
Julian stutzt und muss überlegen, ob das jetzt eine Beleidigung war.
Clara grinst. »Oh, hallo, du bist ja ein Hübscher«, sagt sie in die Luft zu ihrer Seite.
»Er ist wieder hier oben bei mir«, kommt es säuerlich zurück.
»Könnten wir jetzt mal den Plan machen?«, fragt Felix, das Handy suchend nach oben gereckt.
»Können wir nicht«, erwidert Julian bockig.
»Es regnet«, erklärt Clara noch einmal, als würde das nicht nur ihre Untätigkeit in Bezug auf Pläne, sondern sowieso alles erklären.
»Mein Hund findet Pläne doof«, gibt Fee zum Besten, worauf Felix ruhig ist. Gegen unsichtbare Hunde lässt sich nur schwer argumentieren.
Eine ganze Weile und Millionen schweigsamer Sekunden später ist Frau Seifert immer noch nicht zurück.
»Okay, okay«, gibt Julian auf, der weder Stille noch Untätigkeit besonders gut aushält, »wir machen diesen Plan.«
»Was?« Claras Kopf schnellt hoch. Sie hat gerade ihren Fingernägeln beim Wachsen zugesehen. Dass Julian seine Meinung geändert hat, trifft sie völlig unvorbereitet. »Warum denn plötzlich?«
»Weil wir uns hier sonst zu Tode langweilen.«
»Das stimmt«, sagt Felix in ihrem Rücken. »Hier ist nämlich kein Netz. Was das Leben völlig sinnlos macht.« Klingt so, als meine er das ernst.
»Wir langweilen uns doch nicht«, entgegnet Clara und schüttelt ihren Kopf so heftig, dass ihre Haare fliegen. »Wir können hier sitzen und uns unterhalten. Zum Beispiel.«
»Blödes Beispiel«, lässt sich Fee von hinten vernehmen. Sie hat den Kopf auf die Arme sinken lassen, jetzt richtet sie sich auf. »Gulliver muss auch mal.«
»Gulliver? Ist das dein …«, fragt Julian.
»Frag nicht!«, unterbricht Felix.
»… Hund?«, vollendet Julian den Satz.
»Zu spät«, murmelt Felix und dreht sich dann zu Fee um: »Niemand will deine blöden Hundegeschichten hören, Fee, niemand. Also halt die Klappe.«
Erstaunt sieht Clara von einem zum anderen, während Fee sich wieder auf ihre Arme sinken lässt. Von Felix hätte sie so eine Grobheit nicht erwartet, doch die Netzlosigkeit seines Lebens macht ihn anscheinend reizbar.
»Wenn sie erst mal angefangen hat, hört sie nie wieder auf«, erklärt er und steht auf, während er sein lebloses Handy in die Hosentasche steckt. »Also los. Lasst uns …«
Doch in diesem Augenblick geht die Tür auf und Frau Seifert kommt hereingestürmt. Ihr Gesicht hat rote Flecken, der Mund ist verkniffen. Die Flagge auf ihrer Turmfrisur signalisiert Angriff. »Felix? Sitzen bleiben, hatte ich gesagt. Das gilt erst recht für dich, Julian. Was hast du hier vorne zu suchen? Kusch!« Mit einer entsprechenden Handbewegung scheucht sie Julian zurück auf seinen Platz.
Felix und Julian setzen sich.
»Ich habe mit Herrn Kratzek gesprochen, er wird euch ein paar Geräte bereitstellen. Und euch auch bei den Arbeiten helfen, schließlich ist er ja der Hausmeister und ich, ich bin nur eine unterbezahlte Lehrkraft, die noch nicht einmal verbeamtet ist, Himmelnocheins und ich habe heute wahrlich Besseres zu tun als …« Plötzlich scheint sie sich ihrer Umgebung wieder bewusst zu werden, denn sie bricht ab und räuspert sich. »Noch Fragen?«
Ratlos sehen die Kinder sie an. Fragen wozu?
»Ihr geht jetzt in den Garten und fangt an. Ich bleibe hier und behalte euch im Auge. Mache das Fenster auf, genau. Das muss reichen. In der Zwischenzeit werde ich … Hefte korrigieren. Das werde ich. Auf geht’s. Raus mit euch!« Geradezu aufgeregt klatscht sie in die Hände, die Flecken in ihrem Gesicht werden noch dunkler, während Clara, Julian, Felix und Fee aus dem Musiksaal marschieren. Es fehlt nicht viel und die Lehrerin hätte sie aus dem Saal geschubst. Wie eine Bäuerin ihre Hennen wedelt sie die Kinder nach draußen, dann fällt die Tür hinter ihnen zu. Ein Schlüssel kratzt im Schloss. Frau Seifert hat sich eingeschlossen!
Sie hat sich eingeschlossen? Verdutzt stehen die Kinder im Halbdunkel, sehen sich an.
»Na dann«, sagt Julian. »Fangen wir eben an.« Alles ist besser, als nur so herumzustehen.
Es regnet. Was ja keine Überraschung ist. Nicht mehr so schlimm wie in der Nacht, mehr so nieselig, aber immerhin ist es feucht genug, dass sich auf Claras roter Wolljacke kleine Wasserperlen sammeln. Zum Glück ist sie imprägniert, was man von Fees Pullover sicher nicht behaupten …
»Clara! Hörst du zu oder guckst du lieber auf deinen Ärmel?«, fragt Julian.
»Ich gucke lieber auf meinen Ärmel. Ihr redet ja eh nur Blödsinn«, erwidert Clara, lässt den Arm aber sinken.
»Wir sollten die Schildkröten einfangen«, sagt Fee gerade. »Gulliver hat Angst vor ihnen.«
»Na, dann sollten wir das natürlich als Erstes tun«, sagt Clara spöttisch.
»Genau.« Fee nickt zufrieden.
»Irgendwelche Freiwilligen?«, fragt Felix.
Die Kinder stehen vor dem verwilderten Teil des Hofs, dem so genannten Schulgarten. Warum man hier überhaupt einen Garten angelegt hat, so eingequetscht zwischen Musikpavillon und Zaun, ist ein Rätsel. Auf jeden Fall sieht er hässlich aus. Nicht nur, dass er kaum mehr als Garten zu erkennen ist, er ist auch noch voller Müll und Zigarettenkippen. Kakaotüten haben sich in den Büschen verfangen, Taschentücher hängen von Zweigen. Irgendjemand hat eine Bananenschale über einen Ast drapiert, ein Bleistift stakt aus dem Erdreich hervor wie eine verkümmerte Pflanze und auf halb vergrabenem Butterbrotpapier krabbelt ein Käfer.
Der Schildkrötenauslauf in der Mitte des Müllgartens bildet die Ausnahme der allgemeinen Verwahrlosung. Anscheinend leistet die Schildkröten-AG gute Arbeit, denn das Gehege der Tiere ist sauber und zwar voller Unkraut, zumindest aber nicht zugemüllt. Im Wasserbecken schwimmt nur ein einzelnes kleines Blatt.
»Schade eigentlich«, murmelt Julian. »Ein paar Zigarettenkippen an der richtigen Stelle und wir hätten keine Probleme mehr mit den Biestern.«
»Machst du es?«, fragt Felix.
»Die Viecher einfangen? Auf keinen Fall.«
»Also, ich habe eine Allergie«, erwidert Felix. »Bleiben nur Clara und Fee.«
»Eine Allergie? Kann man allergisch gegen Schildkröten sein?«, will Clara wissen.
»Oh ja«, sagt Felix bestimmt. »Gegen alle Reptilien. Ich bekomme Albträume davon.«
»Ich könnte es«, behauptet Fee. »Aber ihr müsstet solange auf Gulliver aufpassen, weil er auch eine Allergie gegen Schildkröten hat. Und das wird schwierig, solange ihr ihn nicht seht.«
»Vergiss es.« Felix schüttelt den Kopf.
»Was denn, Alter?« Julian stößt ihn mit dem Ellenbogen in die Seite. »Lass sie doch machen«, raunt er ihm zu.
»Ich unterstütze doch nicht ihre Wahnvorstellungen!«
»Wenn sie dafür die Viecher einfängt?« Julian richtet sich auf. »Klar passen wir auf deinen Hund auf«, sagt er laut. »Nicht wahr, Clara?«
»Nein«, entgegnet die. »Ich fange mit ein. Aber zuerst brauchen wir einen Kescher