»Julian, nimm das Kopftuch ab.«
»Kopftuch? Das ist ein Bandana!«
»Was auch immer es ist: Es hat auf deinem Kopf nichts zu suchen. So. Wir sind jetzt vollzählig. Herzlich willkommen also zu eurem Beitrag zum Jubiläumsfest unserer Schule, der genauso freiwillig ist wie mein Erscheinen heute.« Die Lehrerin lehnt am abgedeckten Flügel und rümpft die Nase. »Ihr sollt den Schulgarten gestalten, der bislang nur ein Misthaufen ist und zudem noch von bissigen Schnappschildkröten bevölkert wird. Passt also auf eure Finger auf.« Der Gedanke an die Schildkröten scheint sie aufzuheitern, denn ihre Gesichtszüge entspannen sich für einen kurzen Augenblick. Dann jedoch blickt sie wieder finster. Sie hat Clara entdeckt, die sich kerzengerade und mit hochgerecktem Finger meldet.
»Es regnet«, sagt Clara, als Frau Seifert keinerlei Anstalten macht, sie aufzurufen.
Frau Seifert zieht eine Augenbraue nach oben. »Und?«
Clara starrt sie an. »Da werden wir nass.«
»Und?« Frau Seifert hebt auch die andere Augenbraue.
»Wir werden nass!«, beharrt Clara, denn damit ist ja wohl alles gesagt.
»Clara wird dann dreckig«, ertönt es hinter ihrem Rücken von Julian. »Ihre Sachen werden dreckig.«
Er klingt gar nicht nett, Argusweg hin oder her, aber wo er recht hat, hat er recht. Auch wenn er es komisch betont. Also nickt Clara und nimmt den Arm wieder runter.
Abschätzend richtet Frau Seifert ihren Blick auf Claras nagelneue Designerjeans mit den kunstvoll arrangierten Löchern. »Na, dann ist es doch nur gut, dass du deine kaputten Klamotten angezogen hast«, sagt sie und stellt damit in einem einzigen Satz ihre Unkenntnis in Sachen Mode unter Beweis.
Erschüttert sinkt Clara gegen die Rückenlehne.
»Noch irgendwelche Einwände?« Die Lehrerin reckt die Nase in die Luft und lässt den Blick über die Stuhlreihen gleiten, als säße noch ein Haufen unsichtbarer Kinder vor ihr, die sie mit Gartenarbeit beglücken könnte, und nicht nur Clara, Julian, Felix und die Gestalt mit den langen Haaren.
»Wir brauchen Schaufeln«, sagt Julian. »Und Harken und so ’n Zeugs. Ich helfe meinem Opa immer im Garten und der hat jede Menge davon. Auch Scheren. Wir brauchen unbedingt Scheren.«
»Noch etwas, Julian? Ich könnte eine Liste machen.« Frau Seifert wirkt kein bisschen so, als würde sie das ernst meinen, was Julian allerdings nicht aufzufallen scheint.
»Ein Rasenmäher wäre nicht schlecht. Und eine Motorsäge. Au ja, kriegen wir eine von diesen coolen Kettensägen?«
»Sicher«, entgegnet Frau Seifert.
»Mega«, sagt Julian, woraufhin Clara sich zu ihm umdreht und ihm einen Vogel zeigt. »Was denn?«
Frau Seifert seufzt. »Ihr bekommt natürlich keine Kettensäge und unterlass das bitte, Clara. Aber eine Schaufel sollte wohl aufzutreiben sein. Sonst noch Fragen oder Wünsche?« Es klingt gefährlich. So als hätte man besser keine.
Trotzdem meldet sich Felix. »Wir brauchen einen Plan. Wie wir den Garten anlegen, wo die Wege sind und was wir wohin pflanzen und …«
»Wunderbar«, unterbricht Frau Seifert ihn völlig desinteressiert. Sie greift nach dem Schlüsselbund, den sie auf den Flügel gelegt hatte. »Ich gehe jetzt und bespreche das mit unserem Hausmeister. Was er euch für Geräte zur Verfügung stellen kann. Ihr macht unterdessen diesen Plan, wobei ihr auf euren Plätzen bleibt, verstanden? Ich bin gleich zurück.«
Mit diesen Worten eilt sie aus dem Raum, die Tür schlägt mit einem satten Schnappen hinter ihr zu. Sofort senkt sich die Atmosphäre des Musiksaals wie eine muffige Decke auf die Kinder, Staub tanzt in der Luft, ein Stuhl knarrt. In den Ecken huschen die Wollmäuse.
Julian streift durch die Sitzreihen. Er hat sie nicht lange ausgehalten, diese ohrenbetäubende Stille, die stickige Luft und die Schatten überall. Laut gegen die Tische klopfend, schreitet er die Reihen ab, lässt Sitze quietschen, hämmert auf sie ein wie auf einer großen Tastatur, dann rennt er die Stufen nach unten. Mit gekreuzten Armen lehnt er sich gegen den Flügel und sieht zu Felix hoch. »Wir brauchen einen Plan, wir brauchen einen Plan …«, sagt er mit spöttischer Stimme. »Also ehrlich, Alter!«
»Wir sollen auf unseren Plätzen bleiben«, belehrt ihn Clara.
Julian beachtet sie nicht. »Du willst doch nicht wirklich diesen bescheuerten Garten anlegen?«, will er von Felix wissen.
»Ich finde nur, wir sollten unsere Zeit sinnvoll nutzen«, antwortet der.
»Unsere Zeit sinnvoll nutzen«, äfft Julian ihn nach. »Ich glaube, bei dir hakt es!«
Ein deutlich vernehmbares Kichern kommt von der Gestalt aus der letzten Reihe. »Harken ist gut«, sagt eine Mädchenstimme.
Julian wird rot. »Wer hat dich denn gefragt?«, bellt er zu ihr hoch.
Das Kichern verstummt.
»Also, was ist jetzt?«, fährt er fort. »Wir machen doch nicht etwa mit bei dem bescheuerten Gartendingsda?«
»Der Gestaltung«, hilft Clara ihm mit dem Wort.
»Willst du etwa auch gestalten? Es regnet, schon vergessen? Du wirst na-hass! Deine schönen, teuren Markenklamotten werden an dir herunterhängen wie … wie …«, er sucht nach dem richtigen Wort, »… wie Kotze.«
Clara wird rot.
»Kotz-Klamotten«, wiederholt Julian. Mit verschränkten Armen steht er vor dem Flügel und klopft mit dem Fuß einen Takt zu einer nicht hörbaren Melodie. Es darf nicht still sein. Julian hasst Stille.
»Ich finde nur«, sagt Felix in das Klopfen hinein, »man könnte was aus dem Garten machen.«
»Was aus ihm machen? Hast du dir das Ding mal angesehen?« Julian lacht spöttisch und deutet in Richtung Fenster.
Natürlich kennt jeder den Garten, der sich bananenförmig um den ebenfalls halbrunden Musikpavillon erstreckt. Falls man ihn denn überhaupt Garten nennen kann. Eigentlich ist es nur eine Ansammlung von Büschen und stakeligen Bäumen, in deren Mitte ein viereckiges Betonbecken eingelassen ist, das eingezäunt ist und leicht abfällt. Darin befinden sich die Schildkröten. Sie können raus- und reinklettern und es gibt eine Schildkröten-AG, die sie füttert.
»Also, ich mache mir garantiert nicht die Finger dreckig«, beschließt Julian, dreht sich um und schickt sich an, auf den Flügel zu klettern. »Aus! Lass das!«, ruft in diesem Augenblick das Mädchen aus der letzten Bank.
Julian rutscht vor Verblüffung herunter, während Clara und Felix sich umdrehen.
Das Mädchen ist aufgestanden und hebt beschwichtigend die Hände. Die Haare hängen ihr immer noch ins Gesicht, auch wenn man jetzt wenigstens ihre Nase sehen kann. »Schon gut, schon gut, er tut euch nichts. Er wollte nur mal schnuppern.«
»Wer? Julian?«, fragt Clara verdattert, doch Felix schüttelt den Kopf. Er sieht wieder nach vorne, zieht sein Handy aus der Tasche.
»Sie meint ihren Hund. Fee hat einen unsichtbaren Hund«, sagt er ausdruckslos und hält sein Handy hoch.
»Fee?«, fragt Clara nach.
»Unsichtbar?« Das kommt von Julian.
»Er ist nicht unsichtbar«, erklärt das Mädchen und setzt sich wieder.
»Aha«, macht Julian und sieht fragend zu Clara, die mit den Schultern zuckt.
Natürlich