Das Mikroklima macht’s
Deutschlands Rebflächen liegen vorrangig im Bereich des 50. Breitengrads und südlich davon. Dass so weit nördlich überhaupt Qualitäts- und Prädikatsweine gedeihen, liegt an den geschützten Lagen, die Flüsse und Böden als Wärmespeicher nutzen und so ein ideales Mikroklima für den Weinbau bilden. Die meisten deutschen Spitzenlagen sind mit Riesling bestockt. Die anspruchsvolle, spät reifende Rebsorte, die Weine mit fruchtiger Säure hervorbringt, repräsentiert wie keine andere die deutsche Weinkultur.
Die Römer brachten die Reben
Weinreben kamen vermutlich mit den römischen Legionären an Mosel und Rhein. Während Kaiser Domitian im Jahr 92 n. Chr. den Weinbau außerhalb des römischen Kernlands noch verboten hatte, erlaubte Kaiser Probus im 3. Jahrhundert auch den Provinzen, Reben zu besitzen und Wein herzustellen. In Piesport an der Mosel wurde eine römische Kelteranlage ausgegraben, in der bereits vor 1700 Jahren bis zu 130 Arbeiter an die 60 000 Liter Wein im Jahr herstellten. Im pfälzischen Ungstein bei Bad Dürkheim fand man neben einem mehrgeschossigen Herrenhaus mit Thermenanlage und Stallungen auch einen Keltertrakt, in dem nicht nur Rebmesser und Weinbergshacken, sondern auch Traubenkerne gefunden wurden. Eine Untersuchung der Rebsamen ergab, dass die Römer am Fuß des Pfälzerwalds frühe Formen der Riesling-, Traminer- und Burgunderreben kultivierten.
Im Mittelalter waren es dann vor allem die Klöster, die die Weinbautradition pflegten. Auf dem Gebiet der Abtei Disibodenberg, wo im 12. Jahrhundert Hildegard von Bingen lebte und wirkte, wurden im Jahr 2005 die ältesten Weinreben auf deutschem Boden gefunden: fünf knorrige Weinstöcke der Rebsorte Orleans, die 500 bis 900 Jahre alt sind. In der Renaissance und im Barock übten auch die weltlichen Fürsten entscheidenden Einfluss auf den Weinbau aus. Davon zeugt noch heute das Riesenfass im Heidelberger Schloss, das für Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz gebaut wurde und stolze 219 000 Liter Wein fasste. An den Lößnitzhängen bei Dresden feierte der sächsische Kurfürst August der Starke im Jagdschloss Hoflößnitz rauschende Feste, bei denen der Wein direkt aus dem angeschlossenen Weingut kam.
Weinkultur und Natur erleben
Seit 2010 zeichnet das Deutsche Weininstitut herausragende Kulturdenkmäler aus, die den Weinbau in den deutschen Anbauregionen repräsentieren. Geschichte und Tradition sind dabei genauso wichtig wie Innovation und Fortschritt. Neben den 52 »Höhepunkten der Weinkultur« werden auch die seit 2012 gekürten »Schönsten Weinsichten« vorgestellt, die zu Wanderungen durch die Kulturlandschaften der deutschen Weinbaugebiete einladen.
Rebzeilen prägen die Landschaft am Fuß des südlichen Schwarzwalds, wie hier in Ballrechten-Dottingen.
Unterwegs in Deutschlands Weinregionen
Jede der deutschen Weinregionen hat ihre charakteristischen Eigenheiten. Mal sind es Steillagen an Flussschleifen, mal sanfte Hügel oder Terrassenweinberge.
Unterhalb der Saffenburg bei Mayschoß bringen steile Rebhänge, zerklüftete Terrassenweinberge und schroffes Schiefergestein die charakteristischen Ahrweine hervor.
Ahr
Schroffe Felsen und wildromantische Uferhänge begleiten die Ahr auf ihrem Weg durch Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz von der Eifel in den Mittelrhein. Auf den Weinbergsterrassen wachsen Weine der Spitzenklasse.
Am Westrand des Ahrgebirges bei Blankenheim in der Eifel entspringt die Ahr. Bis zur Mündung in den Rhein zwischen Remagen-Kripp und Sinzig passiert sie traditionsreiche Weinorte wie Altenahr, Mayschoß, Rech, Dernau, Walporzheim, Bad Neuenahr-Ahrweiler und Heimersheim. In Jahrmillionen hat der Fluss das Rheinische Schiefergebirge fast senkrecht eingeschnitten. Besonders an der Mittelahr ist das Tal eng und das Ufer steil. Hier beginnt die Weinregion mit ihren sonnenverwöhnten Weinbergsterrassen an den Südhängen. Bei Rech weitet sich das Tal bis zum Felsvorsprung »Bunte Kuh« (s. >), der den Übergang zur unteren Ahr markiert. Die eindrucksvolle Flusslandschaft mit den nach Süden hin abfallenden Rebflächen und den bewaldeten Nordhängen wird immer wieder von bizarren Felsformationen durchbrochen. Seltene Tiere wie Eisvogel und Wildkatze sind hier zu Hause, und auch botanisch gilt das Ahrtal als artenreichstes Gebiet im Rheinischen Schiefergebirge.
Sonnenverwöhnte Südhänge
Mit rund 560 Hektar Anbaufläche umfasst die kleine Weinregion den Bereich Walporzheim/Ahrtal mit der Großlage Klosterberg und 40 Einzellagen. Im Regenschatten von Eifel und Hohem Venn heizen sich die steilen, felsigen Südhänge in der Sonne rasch auf. Die kargen Böden speichern die Wärme und geben sie nachts an die Reben ab. Wo sich das Tal weitet, sind die Flussterrassen mit fruchtbarem Löss überzogen.
Rotweinparadies
Mikroklima und Böden eignen sich hervorragend für den Anbau roter Reben. Mit weit über 80 Prozent ist ihr Anteil hier so hoch wie nirgendwo sonst in Deutschland. Unter den roten Rebsorten nimmt Spätburgunder gut 65 Prozent der Rebfläche ein; der »König der roten Reben« zeichnet sich an der Ahr vor allem durch Aromen von Kräutern und dunklen Beeren aus, hinzu kommt eine elegante mineralische Note. Daneben werden auch Portugieser, Dornfelder und die lokale Spezialität Frühburgunder angebaut. Weiße Sorten spielen im Rotweinparadies eine untergeordnete Rolle. Dennoch bringt die Region auch qualitätvolle Weißweine hervor; unter den zum Anbau zugelassenen weißen Rebsorten sind vor allem Riesling und Müller-Thurgau zu nennen.
Die ersten Reben wurden vor rund 2000 Jahren von den Römern in das abgelegene Seitental des Rheins gebracht. Später setzten die Klöster die Tradition des Weinanbaus fort. Der Spätburgunder kam jedoch erst nach dem Dreißigjährigen Krieg an die Ahr und wurde zunächst wie ein Weißwein verarbeitet. Seiner blassen Farbe wegen nannte man ihn »Ahrbleichert«. Von historischer Bedeutung ist auch die Gründung der weltweit ersten Winzergenossenschaft in Mayschoß im Jahr 1868.
Die weltweit erste Winzergenossenschaft wurde 1868 in Mayschoß an der Ahr gegründet. Noch heute sind 90 Prozent der Ahrwinzer genossenschaftlich organisiert.
Unter dem mächtigen Felsen der Saffenburg liegt der Weinort Mayschoß. Hier wurde am 20. Dezember 1868 die erste Winzergenossenschaft der Welt gegründet. Missernten, Schäden durch die Reblaus und politische Krisen hatten Weinbau und Weinhandel in eine schwere Notlage gebracht. In dieser Situation versprach die Gründung einer Winzergenossenschaft Hilfe zur Selbsthilfe. Die 18 Mayschoßer Gründungsmitglieder bekamen rasch Gesellschaft: 1881 zählte ihre Genossenschaft bereits 141 Winzer. Der Erfolg der Mayschoßer Winzer löste einen regelrechten Boom aus: Ende des 19. Jahrhunderts bestanden an der Ahr rund 20 weitere Winzergenossenschaften, die ihre Interessen gemeinsam vertraten.