»Das klingt ganz nach meiner Greta. Sie war genauso, ein stures Biest, das kannst du mir glauben, aber schön und zwischen Laken heiß.
Kochen konnte sie, wie eine Göttin. Ja, sie wusste, wie man es einem Mann schön macht.« Ein wehmütiger Ausdruck trat in Rudis Augen.
»Seit sie weg ist, ist das Leben nicht mehr das gleiche. Sie war die eine für mich, die, mit der ich mein Leben verbringen wollte und ohne sie weiß ich manchmal gar nicht mehr so richtig, was ich hier eigentlich soll.«
Matthias zückte sein Handy, um zu sehen, ob Hanna ihm eine Nachricht geschrieben hatte, vielleicht mit einem Versöhnungsangebot, doch die Anzeige war leer. Rudi beugte sich neugierig zu ihm, um das Hintergrundbild zu sehen.
»Ist sie das?«
Matthias nickte und vergrößerte das Bild. Es zeigte Hanna mit perfekt gekämmtem Zopf, einer großen Sonnenbrille und einem fröhlichen Lächeln, das sie viel zu selten zeigte. Das Bild hatte er im letzten Frühjahr aufgenommen, bei einem ihrer rar gewordenen Ausflüge, einer Bootsfahrt auf dem Rhein. Er mochte das Foto, weil sie glücklich darauf aussah.
»Also, wenn das die eine für dich ist, dann musst du alles tun, um sie zu halten. Weißt du, auch wenn es sich nicht immer so anfühlt, es lohnt sich. Wer will schon im Alter allein sein und niemanden haben, der einem den Arsch wärmt?« Rudi lachte laut. Matthias grinste, drückte seine Zigarette aus und ging wieder nach drinnen. Dort stürzte er sein Bier herunter und bestellte gleich noch ein Neues.
Auf nüchternen Magen zeigte der Alkohol sofort seine Wirkung, eine angenehme Entspannung breitete sich in Matthias aus.
Rudi kam hinter ihm herein und setzte sich neben ihn an den Tresen. Für einen Moment lang saßen sie still und Matthias hörte den Gesprächsfetzen zu, die von den anderen Tischen zu ihm herüberwehten. Aus dem Radio klang Musik, One Republik spielten »Story of my live«. Matthias schloss die Augen und hörte der Musik zu.
»Das hier ist meine Greta. Die Ähnlichkeit ist unübersehbar, der gleiche Typ Frau«, riss ihn Rudi aus seinen Gedanken. Er hatte seine Brieftasche geöffnet und schob ihm ein zerknittertes Foto zu, dessen Ränder vergilbt waren. Es zeigte eine Frau mit hoher Stirn und strengem Kinn, die Haare zu einem Zopf gebunden und um die Hüften eine Schürze. Sie hatte keinerlei Ähnlichkeit mit Hanna und sie überhaupt mit ihr zu vergleichen, brachte Matthias innerlich zum Schmunzeln. Er stellte sich ihr angeekeltes Gesicht vor, wenn er ihr das Foto zeigte und ihr erklärte, dass sie mit dieser Frau Ähnlichkeit besitzen sollte. Lediglich der harte, entschlossene Blick in ihren Augen erinnerte Matthias an Hanna.
»Sie war sehr hübsch«, sagte er höflich und ein Grinsen breitete sich über Rudis ganzes Gesicht aus.
»Weißt du, Frauen wie meine Greta oder deine Hanna, die sind anspruchsvoll. Die wollen das Besondere, die Herausforderung, etwas, das ihnen zeigt, wie viel sie dir wert sind. Was hast du ihr zum Jahrestag geschenkt?«
Matthias wischte sich mit dem Handrücken den Bierschaum von der Oberlippe.
»Einen Strauß Blumen und eine Überraschung in einem Kuvert, den sie aber gar nicht erst geöffnet hat. Sie war zu beschäftigt.« Die Erinnerung daran versetzte ihm einen Stich.
»Naja, damit hast du sie bestimmt nicht von den Socken gehauen«, stellte Rudi enttäuscht fest.
»Du musst dir etwas Besseres einfallen lassen, um sie für dich zu gewinnen. Lade sie an einen romantischen Ort ein, zünde ein paar Kerzen an oder schreib ihr ein Lied, darauf stehen Frauen«, riet er.
Matthias grinste.
»Du kennst Hanna nicht. Nichts davon würde ihr gefallen. Das ist alles viel zu gewöhnlich. Sie steht überhaupt nicht auf so abgeschmackte Kitschsachen.«
Rudi wirkte ein wenig verärgert und nahm noch einen tiefen Schluck aus einem Glas.
»Hast du etwa eine bessere Idee?«, fragte er Matthias.
Matthias schüttelte den Kopf. Mit einem Mal fühlte er sich unendlich müde und erschöpft und vom zweiten Bier auch allmählich etwas benommen. Der Abend hatte eine ganz andere Wendung genommen, als er es geplant hatte. Eigentlich sollte er jetzt mit Hanna bei ihrem Lieblingsitaliener sitzen, Wein trinken, Pasta essen und es sich gut gehen lassen. Er sollte sie in ihrem schönen Kleid ansehen, das er ihr, kaum, dass sie zu Hause angekommen waren, langsam auszog, um sie dann zu küssen und mit ihr im Schlafzimmer zu verschwinden.
Stattdessen saß er nun müde, hungrig und angetrunken neben Rudi und hörte seinen Lebensweisheiten zu. Alles daran war falsch.
Ruckartig stand Matthias auf, legte einen Geldschein neben sein Glas und verabschiedete sich.
Draußen war es inzwischen dunkel geworden und die kühle Luft tat gut. Ein Blick auf sein Handy verriet ihm, dass Hanna sich noch immer nicht gemeldet hatte. Er spürte, wie eine neue Welle aus Groll in ihm aufstieg. Deutlicher konnte sie ihm nicht zeigen, dass er ihr ganz egal war. Oder hatte er überreagiert? Hätte er bleiben sollen? Immerhin hätten sie sich auch eine Pizza bestellen können.
Matthias seufzte und schloss seinen Wagen auf. Er setzte sich hinter das Steuer, startete den Motor und fuhr los. Sein Magen knurrte. Ohne lange nachzudenken, steuerte er die Straße an, in der seine Oma Lotte wohnte. Seine Uhr zeigte gerade neun Uhr an, das war noch nicht zu spät, um sich bei ihr auf ein Abendessen einzuladen. Direkt vor ihrem Haus fand er einen Parkplatz. Es war ein kleines, nicht sonderlich gut erhaltenes Haus, eine typische Arbeiterbehausung. Sein Großvater hatte früher in der Zeche gearbeitet, eine Knochenarbeit, die ihn schnell hatte altern lassen. Nach dem Unfall seiner Eltern war Matthias zu seinen Großeltern gekommen und im Grunde hatten sie ihn aufgezogen, nach dem Tod seines Großvaters seine Oma Lotte allein. Sie war sein wichtigster Bezugspunkt, seine Wurzel in der Welt.
Er war kaum ausgestiegen, als sich die Tür öffnete und Oma Lotte in Schürze und Hausschlappen im Türrahmen erschien.
»Na, da habe ich doch richtig gehört, da ist ja mein Junge«, freute sie sich.
Ein warmes Gefühl der Zuneigung breitete sich in Matthias Brust aus. Hier war er zu Hause.
»Komm rein, ich schmiere dir ein paar Brote. Möchtest du auch ein paar Gürkchen dazu und einen Tee?« Sie legte ihm die Hand auf die Schulter und führte ihn nach drinnen in die Küche. Wie immer roch es nach Essen, nach alten Zeitungen und nach Gemütlichkeit. Oma Lotte achtete streng auf Sauberkeit, und auch wenn sie meistens allein aß, kochte sie jeden Tag für sich. Die übrige Zeit saß sie an ihrem Küchentisch und löste Kreuzworträtsel, obwohl sie aufgrund ihrer schlechten Augen nicht mehr sonderlich gut sah.
»Hast du eine neue Frisur?«, fragte Matthias sie, als er sie im Licht betrachtete. Oma Lotte lächelte geschmeichelt.
»Ja, ich hatte Lust, etwas Neues auszuprobieren. Dazu ist man schließlich nie zu alt.«
Matthias grinste. Ihre Locken leuchteten etwas lila und der Pony war ein wenig fransiger geschnitten als sonst. Auch ihre Nägel hatten eine leuchtende Farbe.
»Du siehst gut aus«, sagte Matthias und das freute Lotte noch mehr. Sie öffnete den Kühlschrank und begann damit, ihm ein Abendessen zuzubereiten.
»Was man von dir nicht sagen kann«, stellte sie mit scharfem Blick fest. Matthias schwieg. Erst als sie die Teller vor ihm abstellte, begann er zu sprechen.
»Ach, es ist wegen Hanna.«
»Hanna? Was hat sie angestellt?« Lotte biss herzhaft in ihr Butterbrot.
»Wir haben heute Jahrestag und eigentlich wollten wir Essen gehen.« Über