Ich war daher überrascht, als ich in meiner Nähe plötzlich ein Licht erglänzen sah. Es beleuchtete das ruhige Antlitz unseres Hans. Dem geschickten Jäger war es gelungen, die Laterne anzuzünden, und obwohl die Flamme hin und her flackerte, warf sie doch einige Strahlen in dies fürchterliche Dunkel. Die Galerie war breit. Ich hatte sie richtig geschätzt. Das schwache Licht ließ nicht die beiden Wände auf einmal erkennen. Der Fall des Wassers, auf dem wir so reißend fuhren, übertraf den der reißendsten Ströme Amerikas. Das Floß, manchmal von Wirbeln ergriffen, fuhr dann wie ein Kreisel. Wenn wir einer Wand nahe kamen, hielt ich die Laterne daran, und ich konnte die Schnelligkeit, womit wir fuhren, daraus abnehmen, daß die Vorsprünge wie fortlaufende Linien aussahen. Ich schätzte sie auf dreihundert Kilometer in der Stunde.
Mein Oheim und ich kauerten mit verstörtem Blick neben dem Stumpf des Mastes, der bei der Katastrophe abgebrochen war, und kehrten der Luftströmung den Rücken, um nur atmen zu können.
Inzwischen verflossen Stunden. Die Lage war unverändert, aber ein Umstand machte sie mißlicher. Ein großer Teil der mitgenommenen Gegenstände war bei der Explosion, als das Meer so ungestüm uns zusetzte, abhanden gekommen. Mit der Laterne in der Hand untersuchte ich unsere Vorräte. Von den Instrumenten waren nur noch ein Kompaß und der Chronometer vorhanden; von Takelwerk nur ein Stück Tau, das um den Maststumpf gewunden war; kein Werkzeug mehr, und Lebensmittel nur noch auf einen Tag, ein Stück getrocknetes Fleisch und etliche Zwieback!
Ich sah mit starrem Blick drein, wollt’ es nicht begreifen! Wenn auch die Lebensmittel auf Monate reichten, wie konnten wir aus den Abgründen, wohin das reißende Wasser uns trug, herauskommen?
Demnach vergaß ich die unmittelbare Gefahr vor den Schrecken der Zukunft. Wie konnten wir ihnen entrinnen. Aber der Hunger drohte baldige Vernichtung.
Ich getraute mit meinem Oheim nicht davon zu sprechen, um seine Kaltblütigkeit zu schonen.
Nun ward das Licht in der Laterne allmälig schwächer und verlosch endlich, da der Docht völlig verbrannt war. Es ward wieder stockfinster, und es war nicht daran zu denken, das undurchdringliche Dunkel zu verscheuchen. Zwar hatten wir noch eine Fackel, aber man hätte sie gar nicht in der Hand halten können. Da machte ich’s wie ein Kind und schloß die Augen, um die Finsterniß nicht zu sehen.
Nach geraumer Zeit ward die Schnelligkeit unserer Fahrt verdoppelt, wie mir durch die Stärke des Luftzugs, der wider mein Gesicht schlug, fühlbar wurde. Der Fall des Wassers wurde übermäßig; ich glaube wirklich, wir glitten nicht mehr, sondern fielen hinab. Es war mir, als stürzten wir fast senkrecht. Mein Oheim und Hans, die sich fest an meine Arme klammerten, hielten mich kräftig zurück.
Plötzlich spürte ich einen Stoß; das Floß war nicht wider einen harten Körper gestoßen, sondern hielt in seinem Abfall auf einmal inne, und ein Wasserwirbel, eine ungeheure Säule stürzte über seine Oberfläche. Ich verlor den Atem, war überschwemmt …
Doch dauerte diese plötzliche Überflutung nicht lange. In einigen Sekunden fühlte ich mich in freier Luft und konnte wieder ungehindert atmen. Mein Oheim und Hans hielten mir den Arm fest, und das Floß trug uns noch alle Drei.
Zweiundvierzigstes Kapitel
Bergfahrt im Tunnel
Es mochte damals zehn Uhr Abends sein. Das erste, was nach diesem letzten Stoß mir auffiel, war, daß es stille ward in der Galerie, nach dem Tosen und Brausen, welches bisher seit langen Stunden mein Ohr erfüllt hatte. Endlich drangen wie ein Gemurmel einige Worte meines Oheims zu meinem Ohr:
»Nun geht’s aufwärts!
– Was meinen Sie damit? rief ich.
– Ja, aufwärts! Wir fahren zu Berg!«
Ich streckte den Arm aus, die Wand zu betasten; meine Hand ward blutig. Wir fuhren äußerst rasch bergan.
»Die Fackel! Die Fackel!« rief der Professor.
Nicht ohne Schwierigkeit kam Hans damit zu Stande, sie anzuzünden, und die Flamme, welche trotz der aufsteigenden Bewegung aufrecht flackerte, reichte hin, die Szene zu beleuchten.
»Das dacht’ ich mir wohl, sagte mein Oheim. Wir befinden uns in einem engen Schacht von kaum vier Klafter Durchmesser. Wenn das Wasser auf dem Grund ankommt, trachtet es sein Niveau zu gewinnen, und hebt uns mit sich empor.
– Wohin?
– Ich weiß nicht, aber man muß sich auf alles gefaßt halten. Die Geschwindigkeit, mit der wir aufwärts kommen, schlage ich auf zwei Klafter in der Sekunde an, also hundertundzwanzig in der Minute, d.i. über dreißig und eine halbe Lieues8 in der Stunde. Auf diese Weise kommt man vorwärts.
8 305 Kilometer
– Ja, wenn uns nichts hemmt, wenn dieser Schacht offen ist! Aber wenn er geschlossen ist, wenn die Luft unter dem Druck der Wassersäule allmälig sich verdichtet, wenn wir dann zerdrückt werden!
– Axel, erwiderte der Professor mit großer Ruhe, die Lage ist allerdings fast zum Verzweifeln, aber es ist doch einige Aussicht auf Rettung da, und dies fasse ich jetzt ins Auge. Können wir jeden Augenblick zu Grunde gehen, so können wir auch jeden Augenblick gerettet werden. Halten wir uns daher gefaßt, die geringsten Umstände zu benützen.
– Aber was fangen wir jetzt an?
– Stärken wir uns durch eine Mahlzeit.«
Bei diesen Worten sah ich meinen Oheim mit starren Augen an. Was ich nicht gestehen wollte, mußte ich nun heraussagen:
»Essen? fragte ich.
– Ja, unverzüglich.«
Der Professor sprach einige Worte dänisch. Hans schüttelte den Kopf.
»Wie, schrie mein Oheim, unsere Lebensmittel verloren?
– Ja, hier dies der ganze Rest! Ein Stück Dürrfleisch für uns drei!«
Mein Oheim sah mich an, ohne begreifen zu wollen.
»Nun, sagt’ ich, glauben Sie noch, daß wir davon kommen können?«
Keine Antwort auf meine Frage.
Eine Stunde verlief, ich fing an starken Hunger zu leiden. Meine Gefährten ebenfalls, aber Keiner wagte den armseligen Rest anzutasten.
Inzwischen kamen wir mit äußerster Schnelligkeit aufwärts. Manchmal versagte uns der Atem, wie den Lustseglern, welche zu schnell auffahren. Aber wenn diese, nach Verhältniß wie sie in die höheren Luftschichten kommen, gesteigerte Kälte zu empfinden haben, so hatten wir gerade das Gegenteil zu leiden. Die Wärme nahm in beunruhigender Weise zu, und hatte gewiß in diesem Moment vierzig Grad.
Was hatte diese Änderung zu bedeuten? Bisher hatten die Tatsachen die Theorien Davy’s und Lidenbrock’s bestätigt; bisher hatten die besonderen Bedingungen von feuerbeständigem Gestein, Elektrizität, Magnetismus die allgemeinen Naturgesetze modifiziert und uns eine gemäßigte Temperatur verschafft, denn in meinen Augen war die Theorie vom Zentralfeuer doch die einzig richtige, die allein erklärbare. Sollten wir nun in eine Umgebung kommen, wo diese Erscheinungen in aller Strenge sich vollzogen und die Felsen durch die Hitze vollständig zerschmolzen? Ich fürchtete es und sagte zum Professor:
»Sind wir nicht ertrunken oder zerquetscht, sterben wir nicht Hungers, so bleibt uns immer noch die Aussicht, lebendig zu verbrennen.«
Er zuckte nur die Achseln und sank in seine Betrachtungen zurück.
Eine Stunde verlief weiter, und, ausgenommen eine geringe Steigerung der Temperatur, hatte kein Zwischenfall die Lage verändert. Endlich brach mein Oheim das Schweigen.
»Sehen wir, sprach er, man muß eine Entschließung fassen.
– Eine Entschließung fassen? entgegnete ich.
– Ja. Wir