Es verlohnte der Mühe, darüber nachzudenken. Ich dachte daran, und im Schlaf träumten meine Gedanken davon. Als Schlacke ausgeworfen zu werden, schien mir doch all zu arg.
Endlich entschloß ich mich, bei meinem Oheim die Sache zur Sprache zu bringen, so geschickt wie möglich in Form einer Hypothese.
Ich suchte ihn auf, teilte ihm meine Besorgnisse mit.
»Ich dachte schon selbst daran«, erwiderte er nur.
Was wollte das bedeuten? Sollte er wohl der Stimme der Vernunft Gehör geben?
Nach einer kleinen Pause fuhr er fort:
»Ich dachte daran. Seit unserer Ankunft zu Stapi hab’ ich mich mit der Frage beschäftigt, denn tollkühn dürfen wir nicht sein.
Sechshundert Jahre sind’s, daß der Snäfields stumm ist, aber die Sprache hat er doch nicht verloren. Den Ausbrüchen aber gehen immer gewisse Erscheinungen voraus, die genau bekannt sind. Ich habe die Landesbewohner befragt, den Boden studiert, und kann Dir sagen, Axel, es steht kein Ausbruch bevor.«
Über diese Behauptung war ich bestürzt, hatte nichts darauf zu antworten.
»Zweifelst Du an meiner Versicherung? sagte mein Oheim; nun, so geh’ mit mir.«
Ich folgte mechanisch. Wir verließen das Pfarrhaus, und der Professor schlug einen Weg ein, der durch eine Öffnung der Basaltwand vom Meer abwärts führte. Bald befanden wir uns auf offenem Feld, wenn man eine ungeheure Anhäufung vulkanischer Auswürfe so nennen darf.
Ich sah hie und da Rauchwirbel emporsteigen; diese weißen Dünste, »Reykir« im Isländischen genannt, rührten von heißen Quellen her, und zeigten durch ihre Heftigkeit die vulkanische Tätigkeit des Bodens an. Das schien meine Befürchtungen zu rechtfertigen. Wie war ich daher verblüfft, als mein Oheim sagte:
»Du siehst diese Rauchwirbel, Axel; sie beweisen, daß wir nichts vom Vulkan zu besorgen haben!
– Das wäre! rief ich aus.
– Merke Dir wohl, fuhr der Professor fort: Wenn ein Ausbruch bevorsteht, werden diese Ausströmungen erst lebhafter, um sodann während der Dauer desselben völlig zu verschwinden. Wenn also diese Ausströmungen in ihrem gewöhnlichen Zustand bleiben, ihre Energie nicht zunimmt, wenn ferner nicht, anstatt Wind und Regen, schwere und ruhige Luft sich einstellt, so kannst Du bestimmt sagen, daß kein Ausbruch in der Nähe bevorstehe.
– Aber …
– Genug. Wenn die Wissenschaft ihren Ausspruch getan hat, gilt nur Schweigen.«
Ich ließ die Ohren hängen, als wir ins Pfarrhaus zurückkehrten; mein Oheim hatte mich mit wissenschaftlichen Gründen zum Schweigen gebracht. Doch blieb mir noch eine Hoffnung, nämlich daß, wenn wir auf dem Grund des Kraters angekommen, dort ein ins Innere führender Gang nicht vorhanden, es also unmöglich sein würde, tiefer einzudringen, trotz aller Saknussemm auf der Welt.
Die folgende Nacht hatte ich schwer ängstigende Träume mitten in einem Vulkan und den Tiefen der Erde; ich fühlte mich als wie ein ausgeworfenes Felsstück in die Lüfte emporgeschleudert.
Am folgenden Morgen, 23. Juni, erwartete uns Hans mit seinen Kameraden, welche die Lebensmittel, Werkzeuge und Instrumente trugen. Zwei beschlagene Stöcke, zwei Gewehre, zwei Patrontaschen waren für meinen Oheim und mich vorgesehen. Hans hatte vorsichtig zu unserem Gepäck einen vollen Schlauch gefügt, welcher nebst unseren Flaschen uns für acht Tage mit Wasser versorgte.
Es war neun Uhr Morgens. Der Pfarrer und seine Furie warteten vor ihrem Tor; ohne Zweifel, um den Reisenden ein letztes Lebewohl zu sagen. Aber dieses Lebewohl erschien unversehens in Form einer fürchterlichen Rechnung, die sogar die verpestete Luft sich bezahlen ließ. Dies würdige Ehepaar schnürte uns, wie ein Gastwirt in der Schweiz, und brachte seine Gastfreundschaft hoch in Anschlag.
Mein Oheim zahlte, ohne zu handeln. Auf der Reise nach dem Mittelpunkt der Erde waren einige Reichsthaler nicht anzusehen.
Als dies geordnet war, gab Hans das Zeichen zum Aufbruch, und nach einigen Minuten hatten wir Stapi im Rücken.
Fünfzehntes Kapitel
Auf dem Vulkan
Der Snäfields ist fünftausend Fuß hoch. Er schließt mit seinem zweifachen Kegel eine trachytische Kette ab, die sich von dem orographischen System der Insel sondert. Von dem Punkt unserer Abreise aus konnte man nicht sehen, wie seine beiden Spitzen auf dem grauen Hintergrund des Himmels hervortraten. Ich gewahrte nur, daß eine enorme Schneekappe dem Riesen über die Stirn gedrückt war.
Wir gingen Einer hinter dem Anderen her, der Jäger voran, und dieser stieg enge Fußpfade hinan, wo zwei Personen nicht nebeneinander gehen können. Jede Unterhaltung war dadurch fast unmöglich.
Über der Basaltwand des Fjords Stapi zeigte sich zuerst ein krautartiger faseriger Torfboden, welcher aus der uralten Vegetation der Moorgründe der Halbinsel herrührte. Die Menge dieses noch unausgebeuteten Brennmaterials würde ausreichen, ein Jahrhundert lang der ganzen Bevölkerung Islands einzuheizen. Dies ungeheure Torflager war, vom Boden einiger Hohlwege aus gemessen, oft siebenzig Fuß hoch, und zeigte aufeinanderfolgende Schichten von verkohltem Gerölle, dazwischen Lagen von Bimssteintuff.
Als echter Neffe des Professors Lidenbrock und trotz meiner Befangenheiten beobachtete ich mit Interesse die mineralogischen Merkwürdigkeiten, welche in diesem ungeheuren naturhistorischen Kabinet zu schauen waren; zugleich wiederholte ich in meinem Geist die ganze geologische Geschichte Islands.
Diese merkwürdige Insel ist offenbar zu einer verhältnißmäßig neueren Epoche aus dem Meeresgrund emporgetaucht. Vielleicht auch erhebt sie sich allmälig noch mehr. Wenn dem so ist, so kann man ihren Ursprung nur dem Wirken unterirdischer Feuer zuschreiben. In diesem Fall gingen die Theorie Humphry Davy’s, das Dokument Saknussemm, die Behauptungen meines Oheims sämtlich in Rauch auf. Diese Hypothese brachte mich darauf, die Beschaffenheit des Bodens genau zu untersuchen, und ich gab mir sofort Rechenschaft über die nach einander folgenden Naturerscheinungen, welche zu seiner Bildung besonders mitwirkten.
Island, gänzlich ohne Niederschlagboden, enthält lediglich vulkanischen Tuff, d.h. eine Zusammenhäufung von Steinen und Felsstücken porösen Gewebes. Bevor die Vulkane entstanden, bestand sie aus einem Kern von Trapp, der durch den Druck zentraler Kräfte allmälig aus den Fluten emporgehoben wurde. Die Feuer des Inneren waren noch nicht zum Ausbruch gekommen.
Später entstand schräg von Südwest nach Nordost über die ganze Insel ein Spalt, durch welchen die trachytische Masse sich nach und nach ergoß.
Dieses vollzog sich damals ohne gewaltsamen Ausbruch; es fand ein enormer Ausfluß statt, und die geschmolzenen aus dem Inneren der Erde ausgeworfenen Stoffe breiteten sich ruhig aus in großen Streifen oder warzenartigen Massen. Zu dieser Epoche entstanden die Feldspate, Syenite und Porphyre.
Aber in Folge dieser Ergießung nahm der Umfang der Insel bedeutend zu, und folglich ihre Widerstandskraft. Man begreift, welche Menge elastischer Flüssigkeiten eingeschlossen wurde, als sie nach dem Erkalten der trachytischen Kruste keinen Ausgang mehr hatte. Es kam daher ein Zeitpunkt, wo die mechanische Gewalt dieser Gase so stark wurde, daß sie die schwere Rinde emporhoben, und sich Auswege gleich Kaminen schufen. So entstanden aus dem Emporheben der Erdrinde Vulkane, und so bildete sich plötzlich die Krateröffnung an ihrer Spitze.
Auf die Ausbrüche erfolgten sodann vulkanische Erscheinungen. Durch die neu gebildeten Öffnungen entluden sich zuerst die basaltischen Auswürfe, wovon die Ebene, worüber wir so eben gekommen waren, die merkwürdigsten Proben unseren Blicken darlegte. Unsere Schritte führten uns über die wuchtigen dunkelgrauen Felsblöcke, welche bei dem Erkalten