– Ja, Herr Lidenbrock; die auf königlichen Befehl ausgeführten Arbeiten der Herren Olafsen und Povelsen, die Studien Troil’s, die wissenschaftliche Mission der Herren Gaimard und Robert an Bord der französischen Corvette ›La Recherche‹1, und letzthin die Beobachtungen der auf der Fregatte ›La Reine Hortense‹ befindlichen Gelehrten haben zur Kenntniß Islands sehr viel beigetragen. Aber, glauben Sie mir, sie haben noch etwas zu tun übrig gelassen.
– Sie meinen? fragte mein Oheim mit gutmütiger Miene, indem er das Feuer seiner Augen zu mildern bemüht war.
– Ja. Was sind da für Berge, Gletscher, Vulkane, die noch wenig gekannt sind, zu erforschen! Sehen Sie da, um nicht weiter zu gehen, diesen Berg am Horizont emporragen. Das ist der Snäfields.
– So! sagte mein Oheim, der Snäfields!
– Ja, einer der merkwürdigsten Vulkane, dessen Krater selten besucht wird.
– Ist er erloschen?
– O! Seit fünfhundert Jahren.
– Nun denn! erwiderte mein Oheim, der, um nicht aufzuspringen, krampfhaft die Beine über einander schlug, ich habe Lust, meine geologischen Studien mit diesem Sessel … Fessel … wie sagten Sie? zu beginnen.
– Snäfields!« fuhr der treffliche Herr Fridrickson fort.
Dieser Teil der Unterhaltung hatte in lateinischer Sprache stattgefunden; ich hatte Alles verstanden, und konnte kaum meine ernsthafte Miene bewahren, als mein Oheim seine freudige Befriedigung zu verbergen suchte, die aus ihm herausstrahlte. Indem er sich unschuldig stellen wollte, glich er einem alten Teufel.
»Ja, sagte er, Ihre Worte sollen mich bestimmen! Wir wollen den Snäfields zu ersteigen versuchen, vielleicht auch seinen Krater untersuchen!
– Ich bedauere sehr, erwiderte Herr Fridrickson, daß meine Geschäfte mir nicht gestatten, mich zu entfernen; ich würde Sie gerne dahin begleitet haben.
– O nein! nein! erwiderte lebhaft mein Oheim; wir wollen durchaus keine Störung machen, Herr Fridrickson; ich danke Ihnen herzlich. Die Beteiligung eines so gelehrten Mannes, wie Sie, wäre sehr nützlich, aber die Obliegenheiten Ihres Amtes …«
Ich denke mir gerne, daß unser Wirt in der Unbefangenheit seiner isländischen Seele von der großen Schalkheit meines Oheims keinen Begriff hatte.
»Ich billige sehr, Herr Lidenbrock, sagte er, daß Sie mit diesem Vulkan anfangen. Sie werden da an merkwürdigen Beobachtungen eine reiche Ernte bekommen. Aber sagen Sie mir, wie denken Sie auf die Halbinsel des Snäfields zu kommen?
– Zur See, über die Bai. So geht’s am schnellsten.
– Allerdings; aber das ist jetzt unmöglich.
– Weshalb?
– Weil wir nicht ein einziges Boot zu Reykjawik haben.
– Teufel!
– Sie müssen längs der Küste zu Land reisen. Das ist zwar ein Umweg, aber er ist interessant.
– Gut. Ich werde einen Führer zu bekommen suchen.
– Ich kann Ihnen gerade einen anbieten.
– Ist’s ein zuverlässiger, verständiger Mann?
– Ja, ein Bewohner der Halbinsel. Es ist ein sehr geschickter Eiderjäger, mit dem Sie zufrieden sein werden. Er spricht geläufig dänisch.
– Und wann kann ich ihn sehen?
– Morgen, wenn’s Ihnen beliebt.
– Warum nicht heute?
– Weil er erst morgen ankommt.
– Morgen also, erwiderte mein Oheim seufzend.«
Kurz darauf endigte diese bedeutsame Unterhaltung, und der deutsche Professor dankte dem isländischen aufs Wärmste.
Mein Oheim hatte bei der Mahlzeit wichtige Dinge erfahren, unter anderem die Geschichte Saknussemm’s und den Grund seines geheimnißvollen Dokuments, sowie die Aussicht, morgen einen Führer zur Verfügung zu haben.
1 Die »Recherche« wurde im Jahre 1835 vom Admiral Duperré ausgeschickt, um einer Expedition der »Lilloise«, von der man nie wieder etwas hörte, nachzuspüren.
Elftes Kapitel
Hans Bjelke
Abends machte ich einen kleinen Spaziergang am Gestade von Reykjawik, kam frühzeitig zurück, und legte mich zu Bette, wo ich in tiefem Schlaf ausruhte.
Beim Erwachen hörte ich meinen Oheim im Nebenzimmer in lebhaftem Gespräch. Ich stand sogleich auf und beeilte mich zu ihm zu kommen.
Er sprach dänisch mit einem Manne von hohem, kräftigem Wuchs. Der große Bursche schien ungemein stark zu sein. Seine Augen in einem starken Kopf mit treuherzigen Zügen schienen verständig. Sie waren blau und tiefsinnig. Lange Haare, die selbst in England für rot gelten konnten, wallten über seine athletischen Schultern. Seine Bewegungen waren zwar geschmeidig, aber er regte wenig die Arme; die Sprache der Gestikulation war ihm unbekannt. In Allem sprach sich bei ihm das vollkommen ruhige, aber doch nicht gleichgültige Temperament aus. Man fühlte, daß er von keinem Menschen etwas begehrte, daß er nach eigenem Ermessen arbeitete, und daß nichts in der Welt ihn in seiner Lebensphilosophie störte.
Die Schattierungen dieses Charakters nahm ich an der Art und Weise ab, wie der Isländer den leidenschaftlichen Wortschwall des Professors aufnahm.
Mit gekreuzten Armen blieb er inmitten der fortwährenden Gestikulation meines Oheims unbeweglich; zum Verneinen wandte er seinen Kopf von der Linken zur Rechten, zum Bejahen neigte er sich, aber so wenig, daß seine langen Haare sich kaum bewegten. Die Sparsamkeit an Bewegungen trieb er bis zum Geiz.
Beim Anblick dieses Mannes hätte ich sicher nicht geahnt, daß er seines Zeichens ein Jäger sei; dieser scheuchte gewiß sein Wild nicht auf, aber wie konnte er ihm nahe kommen?
Dies ward mir begreiflich, als ich von Herrn Fridrickson vernahm, dieser ruhige Mann sei nur ein »Eiderjäger«. Um das Gefieder der Eidergans, »Eiderdaunen« genannt, worin ein großer Reichtum der Insel besteht, zu sammeln, bedarf’s in der Tat keines großen Aufwandes von Bewegung.
In den ersten Sommertagen baut das Weibchen sein Nest zwischen die Felsen der Fjords, womit das Land ausgezackt ist und füttert sodann dasselbe mit den zarten Flaumfedern seines Leibes aus. Alsbald kommt nun der Jäger, oder vielmehr der Daunenhändler, nimmt das Nest weg, und das Weibchen beginnt seine Arbeit von Neuem. Dies dauert so lange, als sein Gefieder ausreicht. Ist es dessen entblößt, so kommt an das Männchen die Reihe. Da aber dessen rauhe und grobe Federn keinen Handelswert haben, so nimmt nun der Jäger nicht mehr das Nest weg, worin dann das Weibchen seine Eier legt und ausbrütet. Im folgenden Jahre wird das Eiderdaunensammeln in gleicher Weise erneuert.
Da nun die Eidergans für ihr Nest nicht die steilen Felsen auswählt, sondern die leicht zugänglichen horizontalen, welche sich ins Meer verlaufen, so kann der Eiderjäger sein Geschäft ohne große Anstrengung seiner Glieder verrichten. Es ist also ein Bauer, der weder zu säen, noch die Ernte zu schneiden, sondern lediglich sie einzusammeln hat.
Dieser ernste, phlegmatische und schweigsame Mann hieß Hans Bjelke; er kam auf Herrn Fridrickson’s Empfehlung und ward unser Führer. Sein Benehmen war eigentümlich verschieden von dem meines Oheims.
Doch verständigten sie sich leicht. Keiner von beiden brachte den Preis in Anschlag; der eine bereit, zu nehmen, was man ihm bot, der andere zu geben, was verlangt wurde. Nie kam ein Handel leichter zu Stande.
Hans machte sich also verbindlich, uns bis zum Dorfe Stapi zu führen, das an der Südküste der Halbinsel des Snäfields, dicht am Fuße des Vulkans liegt. Dieser Weg wurde auf zweiundzwanzig Meilen berechnet, welche mein Oheim in zwei Tagen zurückzulegen meinte. Als er aber vernahm,