Cole Ketchum sagte nichts, er starrte nur zu Brazos auf.
»Ich kann dich nicht verstehen, Ketchum. Du musst lauter sprechen.«
»Bist ‘ne harte Nummer, was, Ranger? Okay, habe dich unterschätzt. Reg dich ab, ich hab‘s kapiert.«
Brazos wandte sich an die anderen beiden. »Nun, die Verhältnisse sind geklärt. Möchte nun einer der Gentlemen so freundlich sein, und für Mister Ketchum ein Pferd besorgen? Dafür wäre ich Ihnen sehr verbunden.«
Dem Deputy klappte die Kinnlade runter. »Ich dachte, Sie wollten ihn zu Fuß …«
Hardesty stieß ihn ärgerlich an. »Hast wieder mal nix kapiert, was? Hast nicht gemerkt, dass Mister McCord Ketchum nur auf die Rolle nehmen wollte, was? Mann, jetzt lauf endlich los und besorge einen verdammten Gaul.«
Gerade wollte sich Meeker auf den Weg machen, als sich der Marshal die Sache anders überlegte. »Nein, warte einen Moment. Mir kommt da eine andere Idee.« Er blickte zu Brazos McCord. »Was halten Sie von einer Schiffsreise, Mister McCord? Mir ist gerade eingefallen, dass die Sweet Travelling im Hafen vor Anker liegt und heute Nachmittag auslaufen will. Mit Kurs auf die Golfküste, Richtung Mexico. Kapitän Biggelow ist ein umgänglicher Mann. Vielleicht kann er Sie mitnehmen und in der Galveston Bay absetzen. Dann wären Sie schon fast in Houston und müssten nicht den ganzen Weg über Land reiten. Wäre das eine Idee?«
Brazos McCord überlegte, blickte auf dem am Boden liegenden Ketchum, dann in Hardestys Richtung. »Eine Idee wäre das schon, Marshal. Die Frage ist nur, ob dem Kapitän die Gesellschaft von Ketchum behagen würde.«
Nun war es an Hardesty, der ein gewinnendes Lächeln in sein schwammiges Gesicht zauberte. »Oh, die Sweet Travelling ist gewiss kein großes Schiff. Aber genügend Stauraum für diesen Dreckskerl wird es an Bord wohl geben. Und wenn man ihn unten an Deck in Ketten legen müsste – was wahrscheinlich am sinnvollsten wäre.«
Wieder blickte Brazos McCord auf den Banditen zu seinen Füßen herab und grinste breit. »Du siehst, Ketchum, deine Grundidee mit dem Abhauen löst sich gerade in Wohlgefallen auf, was?«
Cole Ketchum hatte eine üble Bemerkung auf der Zunge. Aber die Kostprobe, die ihm Brazos McCord vor wenigen Augenblicken verabreicht hatte, ließ ihn davon abhalten, sich lautstark zu äußern. Stattdessen knirschte er nur mit den Zähnen und hielt den Mund.
5. Kapitel
Die Sweet Travelling war ein kleiner Zweimaster mit Seitenschaufelrad und wirkte wie ein Spielzeug inmitten vieler anderer, weitaus größerer Schiffe, die im Hafen von Brashear City vor Anker lagen. Die Masten waren mit der Takelage einer Schonerbark und die Dampfmaschinen von T. F. Señor & Company ausgestattet, die bis zu 200 PS leisten konnten.
Harlen Biggelow war der Kapitän dieses Schiffes, ein Mann, der die Fünfzig bereits weit überschritten hatte, mit grauem Backenbart und zerfurchtem Gesicht, den man mit der ausgedehnten Kreuzfahrt einer vornehmen Reisegruppe aus New Bedford beauftragt hatte. Das war das Geburtstagsgeschenk des steinreichen Reedereibesitzers Clement du Mauret für seine schöne, verwöhnte Tochter Marylee. Natürlich war der ganze Freundeskreis herzlich mit eingeladen worden.
Und so war die Reise in New Bedford aus gestartet, zog sich entlang der Küste, sollte fortgesetzt werden zum Golf von Mexico, bis sie schließlich der Hafen von Vera Cruz erreichen würden. Von dort aus würde es zurück in den heimatlichen Hafen von New Bedford gehen.
Gewiss eine schöne Reise, aber dem Kapitän behagte sie nicht. Er mochte diese verwöhnte und versnobte Gesellschaft an Bord nicht sonderlich. Aber Biggelow befand sich in einem Alter, in dem er nicht mehr allzu wählerisch sein konnte, wollte er noch als Kapitän ein Schiff führen.
Und als dann auch noch Brazos McCord mit seinem Anliegen zu ihm kam, sah sich der Kapitän in einer Not.
»Mister McCord, Texas-Ranger hin oder her. Aber das geht zu weit. Sie können von mir doch nicht verlangen, einen Banditen mit an Bord zu nehmen. Das würde die verehrte Gesellschaft nie und nimmer dulden. Sie müssen mich verstehen, wenn …«
Brazos fackelte nicht lange. Er griff in die Hosentasche, angelte seinen Geldbeutel hervor und zog ein paar Scheine heraus. Die legte er dem Kapitän in die Hand. »Ich bin davon überzeugt, dass dies als Entschädigung ausreichen sollte, wenn Sie uns in der Galveston Bay absetzen, Käpt‘n. Diskretion ist natürlich vorausgesetzt.«
Der Kapitän besah sich einen kurzen Augenblick die Scheine in der Hand, und richtete seinen Blick auf auf den Gefangenen, der hinter Brazos McCord und zwischen dem Marshal und dem Deputy stand. Der Mann war gefesselt. Dennoch hielten die beiden Gesetzeshüter ihre Gewehre auf ihn gerichtet. Kapitän Biggelow war alles andere als ein Dummkopf. Allein an dieser Szenerie erkannte er, wie gefährlich der Mann dort sein musste. Trotzdem legte sich ein Lächeln in sein Gesicht und hatte somit eine Entscheidung getroffen. Jedenfalls sah es für Brazos McCord so aus.
Keiner der Reisegäste befand sich im Augenblick an Deck der Sweet Travelling. Offensichtlich saßen sie jetzt zusammen beim Dinner im Schiffssaal. Nur die Mannschaft der Sweet Travelling war mit dem Verladen und Verstauen von Proviant und anderen wichtigen Gütern beschäftigt, die für die Weiterfahrt benötigt wurden. Der Kapitän rief mit befehlsgewohnter Stimme den Bootsmann zu sich heran.
»Mister Goodnight!«
Der Bootsmann eilte herbei. Ein hünenhafter Kerl, unter dessen kurzärmeligen Hemd sich prächtig die Muskeln wölbten.
»Sir?«
Biggelow wies mit ausgestrecktem Arm auf Cole Ketchum. »Mister Goodnight, bringen Sie diesen Mann dort unverzüglich nach unten in den Maschinenraum. Sorgen Sie dafür, dass es ohne Aufhebens geschieht, und dass er angekettet wird. Stellen Sie weiterhin einen Mann zur Bewachung ab. Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass der Mann ein Gefangener ist und als solcher behandelt werden muss. Ein gefährlicher Mann, Mister Goodnight. Wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Aye, aye, Sir.« Der Bootsmann war ein Mann, der gewohnt war, keine unnötigen Fragen zu stellen. Er hatte einen unmissverständlichen Befehl erhalten, den es auszuführen galt. Goodnight trat furchtlos an Ketchum heran und überragte diesen um mindestens anderthalb Kopflängen.
»Sie haben gehört, was der Kapitän gesagt hat. Wenn Sie mir bitte folgen wollen …«
Ketchum starrte zu ihm auf. »Einen Dreck werde ich.«
Bevor der Bootsmann auch nur im entferntesten reagieren konnte, war Brazos McCord schon heran. Der Remington war ihm dabei wie Zauberei aus dem Holster geglitten, und die Mündung bohrte sich in Ketchums Bauch.
»Hatte ich mich vorhin im Office nicht klar genug ausgedrückt, Ketchum?«
Ketchums Lippen teilten sich zu einem bissigen Grinsen. Aber in seinen Augen loderte der Hass. »Schon gut, schon gut, Ranger. Hatte nur ‘nen kleinen Scherz gemacht.«
»So? Deine blöden Scherze kannst du für dich behalten. Die sind hier nicht besonders beliebt.« Er wandte sich an den Bootsmann. »Mit Ihrer Erlaubnis werde ich Sie begleiten, Mister Goodnight. Ich lege großen Wert darauf, dass unser Freund hier sicher und unbeschadet an seinen Platz unter Deck gelangt.«
Der Bootsmann verstand sofort und erlaubte sich ein schiefes Grinsen. »Sicher, sicher. Aber mit dem Vogel kann ich auch allein fertig werden. Mit Ihrer Erlaubnis, Sir.« Sprach‘s und seine Pranke packte Ketchum am Hemdkragen. Er drehte sich mittschiffs und zog den Banditen wie eine Puppe hinter sich her.
Brazos McCord beförderte seinen Remington mit einer vollendeten Drehung zurück ins Holster. Für einen kurzen Augenblick zog er es in Erwägung, dem Bootsmann zu folgen. Doch dann entschied er sich anders und ein Grinsen legte sich um seine Lippen.
Cole Ketchum würde in Goodnights