»Sind Sie Hardesty?«
»Marshal Hardesty immer noch, Mister. Was kann ich für Sie tun?«
So behäbig der Kerl aussah, so verhielt es sich auch mit seiner Stimme. Und wieder fragte sich Brazos McCord mit Recht, wie es dieser Wundertruppe hier gelungen sein konnte, einen Hartgesottenen wie Cole Ketchum hinter Schloss und Riegel zu setzen.
Brazos wiederholte seinen Auftrag und beobachtete dabei, wie Regung in die massige Gestalt seines Gegenübers kam. Sämtliche Trägheit wich aus dem Gesicht des Marshals, ja, er schaffte es sogar, die Beine vom Tisch zu ziehen und sich in seinem Stuhl aufzurichten. »Wir haben Sie bereits erwartet, Mister McCord. Gut, dass Sie endlich gekommen sind.«
Das klang auf einmal so richtig lammfromm, und es schwang auch die nötige Portion an Respekt in den Worten mit. Der Marshal zwang sich sogar ein freundliches Lächeln ab. Brazos nickte zufrieden. Geht doch!, dachte er und konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen.
Stöhnend hievte sich Marshal Hardesty aus dem Stuhl. Brazos erkannte deutliche Erleichterung in seinem schwammigen Gesicht. »Sie müssen wissen, Mister McCord, dass uns dieser gottverdammte Cole Ketchum nur Scherereien bereitet hat. Ein wahrhaft übles Subjekt. Ein richtiges Tier. An dem Burschen ist nichts Menschliches zu erkennen. Manchmal wünschte ich, Deputy Meeker hätte diesen Dreckskerl nicht erwischt. Nur Ärger, nichts als Ärger mit dem Kerl, seit er im Zellentrakt sitzt.« Er wies mit einem Fingerzeig auf eine massive Holztür, hinter der offensichtlich der Zellentrakt lag. »Ich beneide Sie nicht um Ihren Job, dieses Vieh nach Texas zu bringen.«
Brazos zuckte gleichmütig mit den Schultern. Er hatte auch nicht erwartet, einen Musterschüler mit Anstand und Gehorsam nach Texas zu überführen.
»Ist der Gefangene reisefertig, so dass ich ihn gleich mitnehmen kann?«
Hardesty wandte sich an den Deputy, der lässig im Eingang stand und ein Lächeln im Gesicht sitzen hatte, das lässig wirken sollte aber völlig dümmlich war.
»Meeker, lauf rüber zum Mietstall und schaff Ketchums Gaul herbei.«
Das dumme Grinsen im Pferdegesicht erstarb. Fast sah es so aus, als würde der Deputy aufbegehren. Schließlich war er doch der Mann, der den berüchtigten Cole Ketchum dingfest gemacht hatte. Und einen solchen Mann schickte man doch nicht mehr los, um gewöhnliche Botengänge zu machen. Aber er besann sich, als er Hardestys Blicke auf sich ruhen sah. Mit einem Nicken drehte er sich um und stob davon.
»Nettes Kerlchen«, kam es über Brazos‘ Lippen. Hardesty bedachte diese Bemerkung mit einem zweifelnden Blick. »Ein völliger Vollidiot. Zu blöd, um eine Banane zu schälen.«
»Klingt nicht sehr nett, wie Sie über ihn denken, Hardesty. Immerhin war er doch für die Verhaftung von Cole Ketchum verantwortlich, wie ich hörte.«
Hardesty schüttelte den Kopf, winkte zornig ab. »Verhaftung, dass ich nicht lache! Als der verfluchte Ketchum den Store ausräumen wollte, war er völlig besoffen. Meeker kam zufällig rein, wollte sich wieder ein paar von diesen blöden Lakritzstangen kaufen, auf denen der Schwachkopf ständig herumkaut, wenn er nicht gerade ‘ne stinkende Zigarre im Maul hat. Jedenfalls, als er in den Store kam, musste sich Ketchum wohl zu ihm umgedreht haben. Bradford, der Storebesitzer war es, der in diesem Augenblick den geistesgegenwärtigen Auftritt hatte. Er schlug Ketchum mit einem harten Gegenstand von hinten über den Schädel, und der fiel bewusstlos um. Wahrscheinlich hat Bradford mit seiner Aktion sogar Meeker das Leben gerettet. Wenn Sie unter Verhaftung verstehen, dass dieser Idiot Meeker dem Bewusstlosen ein paar Fesseln verpasst und anschließend laut herumgekräht hat, dann mag‘s vielleicht so stimmen.«
Brazos verstand nun. Viel anders hätte er sich diese Geschichte auch nicht erklären können.
***
Als der dicke Marshal den Gefangenen aus dem Zellentrakt holte, tat er dies nicht ohne seine Schrotflinte. In sicherem Abstand und der Doppelläufigen im Anschlag trieb er Cole Ketchum vor sich her ins Büro. Brazos McCord sah, wie Hardesty dabei tüchtig schwitzte. Und das, obwohl Ketchums Hände vorn in Handschellen lagen. Vor Brazos blieb Ketchum stehen. Ein wölfisches Grinsen trat auf seine fleischigen Lippen. »Was denn, diese Figur soll mich nach Texas bringen? Na, wir werden unterwegs eine Menge Spaß haben, Kumpel. Ich wette mit dir, dass wir nicht mal die Grenze erreicht haben und ich schon wieder auf freiem Fuß bin.«
Brazos McCord erwiderte seinen Kommentar mit einem mitleidigen Grinsen.
In diesem Augenblick kam der Deputy ins Office gestürmt. »Marshal, ich wollt‘s zuerst nicht glauben. Aber es ist wahr: Bolderbuck, dieser Narr von einem Mietstallbesitzer, hat den Gaul nicht mehr.«
»Was soll das heißen, Meeker?«
»Er … er hat ihn verkauft.«
Hardesty starrte seinen Deputy fassungslos an. »Verkauft? Du machst Witze, oder?«
Tate Meeker schüttelte heftig den Kopf. »Nein, natürlich nicht! Aber Bolderbuck meinte, er hätte nicht mehr daran gedacht, dass dieses Pferd Ketchum gehören würde und hat es dann an einen Reisenden verkauft, der ihm dafür hundert Dollar bot.«
Drei Dinge passierten in diesem Augenblick nahezu gleichzeitig. Brazos McCord lachte schallend auf, Marshal Hardesty schlug mit fassungsloser Geste die Faust in die rechte Handfläche, und Cole Ketchum starrte die Bohnenstange von Deputy hasserfüllt an und stieß ein grollendes Knurren dabei aus. »Dann seht zu, wie ihr zwei Affen mir einen Gaul beschafft. Und das am besten sofort.«
Zunächst wechselten die beiden Gesetzeshüter einen hilflosen Blick miteinander, dann sahen sie in Brazos McCords Richtung, als würden sie von ihm die Lösung des Problems erwarten.
Brazos rieb sich übers Kinn, grinste breit und wandte sich Cole Ketchum zu. »Wie hattest du dir das gedacht, mit der Grenze und dem davonlaufen, meine ich?«
Ketchums stechende Augen starrten ihn bösartig an. Dann griente er wölfisch. »Na, wie schon. Ich warte ‘nen passenden Moment ab. Dann dreh ich dir deine verdammte Gurgel nach links und rechts, bis du erledigt bist, nehme mir deinen Gaul und hau ab. Ist doch eigentlich ganz logisch, oder?«
»Nicht ganz, Partner. Da du jetzt ja kein Pferd mehr hast, auf dem dein dämlicher Hintern sitzen kann, wirst du den Weg hübsch zu Fuß laufen. Ja, du hast richtig gehört. Laufen. Und zwar bis nach Houston. Dort werde ich dich dann abliefern. Oder das, was dann noch von dir und deinen qualmenden Socken übrig geblieben ist. Den Rest wird man dann hängen. Das ist logisch, oder?« Brazos McCord hatte diese Worte ganz ruhig und sachlich gesprochen. So, als würde er einem Kind das Einmaleins erklärt haben.
Ketchums Lippen fingen an zu vibrieren. Es sah aus, als würde dieser Mann kurz vor einem epileptischen Anfall stehen. Er zerrte er an den Handschellen, was natürlich zwecklos war. Aus seinen Augen zuckten Zornesblitze zu Brazos herüber. Plötzlich stürmte er vor, riss die Arme nach oben, um sie auf Brazos niedersausen zu lassen. Genau damit hatte Brazos gerechnet. Er schnellte zur Seite. Ketchums Arme sausten wirkungslos herunter. Er lief ins Leere. Im gleichen Moment legte Brazos beide Hände zusammen, holte aus und traf Ketchum mit einem mächtigen Schlag ins Genick. Dem Banditen entgleisten die Gesichtszüge. Er stürzte nach vorn, fiel über Hardestys Schreibtisch und landete krachend auf dem Boden. Hardesty und Meeker starrten Brazos mit sperrangelweit geöffneten Mündern an, während er ohne Hast den Schreibtisch umrundete und vor Ketchum stehenblieb. Der wälzte sich stöhnend auf den Rücken, sah hasserfüllt zu Brazos auf.
Der beachtete die beiden Gesetzeshüter nicht, sondern richtete seinen Blick auf den Mann am Boden. »Jetzt