Allerdings musste sie ohne Sattel auf dem treuen Tier sitzen, da sich dieser mitsamt Satteltaschen jetzt auf dem Grund des Golfs befand.
»Sie gottverdammter Grobian!«, rief sie zu ihm herunter.
Er hob drohend den Zeigefinger. »Lady! Ich habe die Nase voll von Ihnen. Wenn ich auch nur ein einziges Wort noch aus Ihrem vorlauten Mund höre, überlege ich es mir anders, nehme Sie runter vom Pferd und lasse Sie einfach hier. Mitten in den Plains. Dann können Sie von mir aus bleiben und in der Sonne schmoren bis zum Sanktnimmerleinstag. Sie halten mich ohnehin schon viel zu lange auf. Schließlich ist bei dem Überfall mein Gefangener entkommen. Und Captain McNelly wird das alles andere als spaßig finden. Je schneller ich den Vogel wieder einfange, desto besser. Also …«
»Dann wollen Sie also die Bande verfolgen, die unsere Sweet Travelling überfallen hat?«
Blöde Frage, wie er fand. Deshalb kam auch gleich die passende Antwort: »Nein, wozu? Die Bande wird schließlich irgendwann zu mir kommen und mir Cole Ketchum freiwillig übergeben. Am besten noch auf einem Silbertablett. Dann trinken wir alle gemeinsam einen darauf, und alles wird gut werden.«
»Sind Sie eigentlich verheiratet, Mister Ranger?«
»Nein. Wieso?«
Sie zeigte ihm ein schnippisches Lächeln. »Das hätte mich auch sehr gewundert. Denn keine Frau der Welt würde es auch nur freiwillig eine Sekunde lang mit Ihnen aushalten, Sie ungehobelter Pavian.«
Eine steile Zornesfalte zeigte sich zwischen seinen Brauen. Einen Kerl hätte er jetzt gewiss mit einem tüchtigen Aufwärtshaken vom Pferd geholt. Bei einer Frau ging sowas natürlich nicht. So holte er tief Luft und setzte zu einer scharfen Erwiderung an. Doch er ließ es bleiben. Stattdessen drückte er ihr die Zügel in die Hand, brummte: »Zügel, Lady. Das hier nennt man Zügel. Damit kann man ein Pferd lenken oder sich dran festhalten oder von mir aus beides. Was Sie betrifft; Sie halten sie besser fest.«
Er wartete nicht erst einen Kommentar ab, sondern gab Pedro einen leichten Klaps aufs Hinterteil, und das Tier trabte an. Langsam schritt Brazos hinterher und fragte sich wieder mal, wie diese Frau es fertigbringen konnte, sich geistesgegenwärtig den Schwanz des Schecken zu ergreifen, um sich so ans Ufer ziehen zu lassen.
Zum Teufel mit ihr!, drang es grimmig durch Brazos McCords Kopf. So, wie die sich aufführt, hätte sie eher sang- und klanglos im Golfstrom untergehen müssen.
Doch er sollte sich über die verwöhnte Marylee du Mauret noch mächtig wundern.
***
Es war gegen Mittag, die Texassonne hatte ihren höchsten Stand erreicht und brannte mit einer erbarmungslosen Wucht auf die Erde nieder. Dafür, dass der Sommer erst noch ins Land ziehen würde, besaß sie bereits eine enorme Kraft.
Brazos McCord hatte seinen Stetson tief in die Stirn geschoben und auch Marylee davon überzeugen können, sich aus Stoffstreifen ihres ohnehin ruinierten Kleides einen Kopfschutz zu basteln.
»Das hier ist kein Land, es ist die Hölle. Ich frage mich, wie Menschen hier leben können«, war ihr Kommentar, als Brazos den Schecken halten ließ, um die Wasserflasche vom Haken zu lösen.
Er blickte zu ihr auf, reichte ihr die Flasche und grinste. So, wie sie auf dem Schecken saß, mit dem Stoffstreifen um ihren Kopf, wirkte sie auf ihn wie eine jener Schönen aus dem Orient. Irgendwie stand ihr das, gab etwas her. Aber er hütete sich, ihr das zu sagen. Stattdessen kam es mahnend über seine trockenen Lippen: »Trinken Sie in langsamen Schlucken, sonst bekommt es Ihrem Magen nicht.«
Marylee befolgte erstaunlicherweise seinen Rat. Sie trank langsam und verzog angewidert das Gesicht, als sie die Wasserflasche absetzte und sie ihm in die Hand gab. »Mein Gott, das schmeckt ja widerlich!«
»Ist nun mal kein Champagner. Und Kaviar kann ich Ihnen derzeit auch nicht bieten. Aber es hilft gegen den Durst.«
Sie sah stirnrunzelnd zu ihm herab. »Würde mich nicht wundern, wenn die Leute hier sogar Schlangen essen.«
Brazos McCord nickte, während er einen großen Zug aus der Flasche machte. Er wischte sich über den Mund, schmunzelte breit.
»Kommt mit durchaus vor.«
»Das meinen Sie sogar im Ernst, nicht wahr?«
Gleichmütig zuckte er mit den Schultern, trieb den Verschluss mit dem Handballen in die Flasche und hängte sie zurück. Gerne hätte er jetzt eine Zigarette geraucht. Aber das musste er sich verkneifen, weil Tabak und Papier zu einer unbrauchbaren Masse zusammengequollen war. Er seufzte und verdrängte diesen Wunsch. Schon wollte er den Marsch fortsetzten, als Marylees Stimme an seine Ohren drang: »Wie lange geht das denn noch so weiter? Diese Quälerei durch diese schreckliche Einöde? Irgendwann muss es doch so etwas wie Zivilisation geben, oder etwa nicht?«
»Nun, wir sollten am Abend Stowell erreichen. Vorausgesetzt, Sie tragen vorher nicht noch etwas dazu bei, um die Sache zu verzögern.«
»Haben Sie das die ganze Zeit etwa gewusst?«
»Ja.«
Sie rammte ihre Fäuste in die Hüften. »Oh, Sie … Sie … haben mich die ganze Zeit in Ahnungslosigkeit … mein Gott, was sind Sie nur für ein scheußlicher Kerl!«
Er trat wieder an den Schecken heran, äugte grinsend zu ihr auf. »Was denn, Mylady? Mit Ihnen war ein vernünftiges Gespräch doch gar nicht möglich. Also habe ich daher meinen Mund gehalten. Sie wären schließlich schon noch dahinter gekommen. Spätestens, wenn wir in Stowell angekommen sind.«
Marylees Mund klappte auf und sogleich wieder zu. Für einen Moment glaubte er, sie würde ihm wieder irgendwelche scharfen Äußerungen entgegenbringen. Aber seltsamerweise blieb das aus. Ihre Brüste hoben und senkten sich, sie schüttelte leicht den Kopf. Dann sah sie zu ihm herunter, und in ihren Augen lag plötzlich ein Ausdruck, den er zuvor noch nie an ihr bemerkt hatte. »Bin ich wirklich so … schrecklich?«
Darauf wusste Brazos McCord nur eine Antwort. »Ja.«
Er wollte umdrehen und wieder vor dem Schecken die Marschposition einnehmen. Aber etwas in ihrem Augenausdruck ließ ihn stehenbleiben.
»Ich war noch nie in einer solch schrecklichen Situation. Ich habe Angst. Und meine Freundinnen und Freunde … wahrscheinlich sind sie alle tot. Ich weiß nicht, was ich machen soll, wie es weitergehen wird. Und Sie …« Tränen schossen aus ihren geröteten Augen und Brazos empfand plötzlich so etwas wie Mitleid mit ihr. Er räusperte sich und legte seine Rechte behutsam auf ihr Knie.
»Was Ihre Freunde betrifft, nun, ich glaube einfach nicht, dass sie tot sind.«
»Nicht? Pah, Sie wollen mich doch nur beruhigen. Aber lassen Sie das nur. Ich weiß es ja auch so, dass …«
»Nun halten Sie doch mal die Luft an, verdammt! Ich habe nachgedacht und glaube eher, dass man sie auf das Boot verschleppt hat, das die Sweet Travelling überfallen hat.«
Marylee sah ihn irritiert an. »Aber wieso?«
Zunächst wollte er ihr sagen, dass er nur eine Vermutung war, die ihn die ganze Zeit über beschäftigt hatte.
»Zwei Gründe, Miss du Mauret. Erstens: Mein Gefangener wurde befreit. Man musste also irgendwie gewusst haben, dass ich mit Cole Ketchum an Bord gegangen war. Zweitens: Auf dem Schiff befanden sich außergewöhnlich junge und hübsche Mädchen.« Er hatte das plötzliche Gefühl, schmeicheln zu müssen und setzte mit einem zaghaften Schmunzeln hinzu: »Sie eingeschlossen. Verstehen Sie?«
Sie schien ihn nicht zu verstehen, denn sie zuckte nur mit den Schultern. »Nein, irgendwie komme ich da nicht ganz mit.«
Er verstärkte etwas den Druck auf ihrem Knie, mehr unbewusst als bewusst,