Der Winterkönig. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges. Jörg Olbrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jörg Olbrich
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Geschichten des Dreißigjährigen Krieges
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783862825301
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gehe davon aus, dass du schreiben kannst und auch einiges über die derzeitige Politik im Land weißt. Dieses Wissen wirst du vertiefen. Du musst lernen, die Geschehnisse am Kaiserhof zusammenzufassen und in kurzen Chronikeinträgen festzuhalten. Dabei werde ich dir helfen.«

      »Wie lange arbeitet Ihr schon für den Kaiser?«

      »Ich bin seit fast vierzig Jahren am Kaiserhof und diente bereits drei Herren.«

      Anton sah den Professor überrascht an. Er musste noch älter sein, als er es zunächst vermutet hatte. So spannend die Aufgabe als kaiserlicher Schreiber auch sein mochte, Anton vermutete, dass Zeidler ein sehr einsames Leben zwischen seinen Büchern verbracht hatte. Vielleicht erklärte dies seine verschrobene Art.

      »Was ist meine erste Aufgabe?«, fragte Anton neugierig. Er brannte darauf, endlich mit seiner Arbeit zu beginnen und schwor sich, dass er alles daran setzen würde, Zeidler nicht zu enttäuschen. Das war er auch seinem Vater schuldig, der fast vor Stolz geplatzt wäre, als Anton ihm von seiner Anstellung am Kaiserhof berichtet hatte.

      »Dein Tatendrang ehrt dich«, sagte Zeidler und lächelte zum ersten Mal, seitdem sich die beiden begegnet waren. »Wir werden an einer Sitzung von Kaiser Matthias, Ferdinand und den Beratern teilnehmen.«

      »Wir dürfen bei den Amtsgeschäften des Kaisers zuhören?«

      »Natürlich. Wie glaubst du, sollen wir sie sonst protokollieren?«

      Anton spürte die Anspannung in seinem Körper. Er hatte nicht damit gerechnet, so schnell auf den Kaiser und seinen Beraterstab zu treffen. Zeidler führte seinen neuen Schüler durch die Gänge des Schlosses. Waren diese zunächst noch sehr schlicht gehalten, wurden sie immer prunkvoller, je näher sie sich den Räumlichkeiten des Kaisers näherten. Die Wände hingen voller bunt bestickter Teppiche und es standen viele alte Rüstungen auf dem Flur. Anton fand nicht die Zeit, sich die Portraits der letzten Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation anzusehen und beschloss, dies so schnell wie möglich nachzuholen. Seine Nervosität stieg ins Unermessliche, als Zeidler die schwere Holztür zum Sitzungsaal öffnete.

       ***

      »Ist das Wien?«, fragte Magdalena und sah aufgeregt aus dem Fenster der Kutsche.

      »Ja«, bestätigte Philipp. »Wir haben unser Ziel fast erreicht.«

      »Ich hätte nicht gedacht, dass die Stadt so groß ist.«

      »Sie ist wunderschön. Nicht umsonst haben die Kaiser sie für ihren Hof ausgewählt.«

      »Ich habe noch nie so viele Häuser auf einmal gesehen.«

      Philipp lächelte seine Begleiterin an. In den letzten Tagen hatte sie ihm immer wieder erzählt, wie neugierig sie auf die Stadt war. In ihrem bisherigen Leben war sie nicht weit vom Gasthof ihrer Eltern weggekommen und kannte nur das nahegelegene Dorf und das Jesuitenkloster, das auf einem Hügel daneben errichtet worden war. Selbst Prag hatte sie niemals gesehen, obwohl es nur eine Tagesreise von ihrer Heimat entfernt lag.

      Unterwegs hatte Philipp Magdalena damit aufgezogen, dass sie ihm eigentlich einen Teil der Reisekosten erstatten müsste. Dennoch bereute er es nicht, ihrem Vater das Geld gegeben zu haben, damit seine Tochter ihn nach Wien begleitete. Er wusste nicht, ob er sein Ziel ohne ihre Hilfe erreicht hätte. Gerade in den ersten zwei Tagen war er noch sehr vom Fieber geschwächt gewesen. Magdalena hatte ihn immer wieder gezwungen zu essen und zu trinken und dafür gesorgt, dass er sich mit Decken warmhielt, obwohl die Temperaturen im Freien bereits sommerlich warm waren.

      Mittlerweile ging es Philipp deutlich besser. Die Prellungen an seinem Körper schmerzten noch immer, aber dies spürte er nur, wenn die Kutsche unsanft über einen Stein fuhr. Das Fieber war ebenfalls zurückgegangen. Dennoch freute er sich darauf, endlich wieder in einem Bett schlafen zu können. Um die verlorene Zeit aufzuholen, waren sie große Teile der vergangenen Nächte durchgefahren. Geschlafen hatten sie in der Kutsche und nur gehalten, damit Johann die Pferde versorgen konnte und diese sich ein paar Stunden ausruhen konnten. Unterwegs hatten sie die Tiere drei Mal gegen frische eingetauscht.

      »Es wird dir in Wien gefallen. Man wird uns im Kaiserhof Unterkunft gewähren. Es wird uns an nichts fehlen.«

      »Du glaubst also wirklich, dass wir im Schloss willkommen sein werden?«

      »Daran musst du nicht zweifeln. Du weißt, dass ich wichtige Nachrichten für den Kaiser und König Ferdinand habe. Sie werden dankbar sein, wenn ich ihnen von den Vorfällen in Prag berichte.«

      »Gilt das aber auch für mich?«

      »Habe keine Sorge. Man wird dich gut behandeln. Genauso wie Johann.«

      »Der Kutscher wird sicher in der Nähe der Pferde schlafen wollen.«

      »Das wirst du nicht müssen«, antworte Philipp und musste lachen. Seit er Magdalena kannte, hatte er sie nie so unsicher erlebt. Der Anblick der Stadt hatte sie stärker beeindruckt, als der Sekretär erwartet hätte. Er hatte sich längst in seine Begleiterin verliebt. Allerdings war Magdalena bisher allen Bemühungen, die er um die junge Frau angestellt hatte, geschickt ausgewichen. Nach unzähligen Versuchen war es ihm aber zumindest gelungen, seine Begleiterin zur vertrauensvollen Anrede zu bewegen. Obwohl sie jetzt schon mehrere Tage gemeinsam unterwegs waren, konnte er noch immer nicht sagen, ob sie ihn nur des Geldes wegen begleitete.

      »Wie lange werden wir in Wien bleiben?«

      »Das kann ich dir noch nicht sagen. Ich weiß nicht, welche Aufgaben mir der Kaiser nach meinem Bericht geben wird, denke aber, dass er mich schnell wieder nach Prag zurückschicken wird.«

      »Dann wirst du mir die Stadt nicht zeigen können?« Magdalena schaute Philipp sichtlich enttäuscht an.

      »Ich war selbst erst einmal hier und kenne mich nicht sehr gut aus. Wir werden aber sicherlich die Zeit finden, Wien genauer zu betrachten.« Nur zu gerne würde Philipp die Gelegenheit für einen romantischen Spaziergang mit Magdalena nutzen. Er war fest entschlossen, weiter um sie zu werben. Er würde es nicht ertragen, wenn beide nach ihrer gemeinsamen Reise wieder getrennter Wege gehen würden. »Wenn du jetzt nach draußen schaust, siehst du das Schloss.«

      Magdalena antworte nicht. Sie starrte wie gebannt aus dem Fenster. Philipp hätte viel darum gegeben, jetzt ihren Gesichtsausdruck sehen zu können. Im Moment konnte er sich aber leider nicht weiter um seine Begleiterin kümmern. Die Kutsche hielt auf einem Vorplatz vor dem Eingang des Schlosses an. Sofort kamen zwei Wachen auf sie zu, öffneten die Türen und forderten die Reisenden auf, auszusteigen.

      »Ich muss so schnell wie möglich zum Kaiser«, erklärte Philipp mit fester Stimme.

       ***

      Anton kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Ehrfürchtig starrte er den Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation und Ferdinand, den König von Böhmen, an, die mit ihren jeweiligen Beratern an einem großen, ovalen Tisch saßen, der etwa zwanzig Personen Platz bot. Zeidler hatte ihm zu Beginn der Sitzung die einzelnen Namen der Anwesenden mitgeteilt. Alle hatte Anton sich jedoch nicht merken können.

      Es fiel ihm schwer, sich auf die Gespräche der Adeligen zu konzentrieren und ruhig auf seinem Platz sitzen zu bleiben. Alles war neu und strömte unerwartet plötzlich auf den jungen Schreiber ein, der damit gerechnet hatte, den Großteil seiner Zeit in der Bibliothek zu verbringen. Wegen seiner Unruhe fing sich Anton tadelnde Blicke seines neuen Lehrmeisters ein. Zeidler, der es gewohnt war, an den Sitzungen teilzunehmen, hockte ruhig auf dem Stuhl und machte sich ab und an Notizen. Die beiden Schreiber saßen an einem kleinen Tisch, der nahe genug bei den Adeligen stand, damit sie alles hören konnten, aber weit genug von ihnen entfernt war, um sie nicht zu stören.

      Plötzlich stürmte ein Mann der kaiserlichen Wache in den Saal und richtete sofort das Wort an die Adeligen, ohne dass man ihm dieses erteilt hatte. »Draußen steht ein Philipp Fabricius aus Prag, Eure Exzellenz. Er sagt, dass er Euch dringend sprechen muss.«

      »Bringt ihn herein«, befahl Kaiser Matthias ungehalten. »Ich will hören, warum uns ein Bote bei unserer Versammlung stören will. Und gnade