„Kannst du dich bitte ein bisschen beeilen?“, fragte Suzaku.
Yujiro bemerkte, dass sein junger Freund vor Ungeduld platzte.
„Geduld, Suzaku, Geduld“, neckte er ihn.
„Ich möchte nicht aufdringlich erscheinen, doch ich glaube, wir sollten uns schleunigst melden“, meinte Rintaro. Er warf Yujiro einen vielsagenden Blick zu.
Der Letztere räusperte sich. „Nun, da ich der Älteste bin, wird es wohl angemessen sein, wenn ich Bericht erstatte. Schließlich habe ich die Verantwortung für diese Mission erhalten.“
Er atmete tief ein, bevor er einige Schritte Richtung Momochis Anwesen ging. Sofort formierten sich Vermutungen und Erwartungen in Yujiros Gedanken, als er sich Tanbas Reaktion vorstellte.
Momochi Tanba war der Jōnin, der Clan-Anführer, eines der sechsundsechzig Clans Igas. Diese wurden größtenteils von Landsamurai mit kleinen Landgütern, die von Bauern für landwirtschaftliche Zwecke benutzt wurden, verwaltet. Unter dem Jōnin standen die Chūnin, die Mittelsmänner oder Assistenten des Jōnin, die den normalen Agenten, den Genin, Aufträge gaben.
Der Momochi-Clan, zusammen mit dem Hattori- sowie dem Fujibayashi-Clan, gehörte zu einem der größten Clans Igas und herrschte über den Süden dieser Provinz, während die Hattori die Mitte und die Fujibayashi den Norden kontrollierten. Sie waren die drei herrschenden Clans der Provinz Iga und gründeten eine Führerschaft, bei der die restlichen Clans während den Beratungen nicht ausgeschlossen wurden.
Ein zwölfköpfiger Ältestenrat, zu dem auch Tanba gehörte, traf die wichtigen Entscheidungen für Iga und bildete somit ein demokratisches System, das eher eigenartig war in einer Zeit des einhundertjährigen Bürgerkriegs, zu der Kriegsherren über ihre Provinzen diktatorisch herrschten. Um ihre Unabhängigkeit zu sichern und sich vor möglichen Invasionen zu schützen, hatten die Clans vor langer Zeit einen Beistandspakt unterschrieben. Das Ziel dieses Bündnisses war es Frieden sowie Ordnung in der Provinz walten zu lassen, sodass Iga wie eine unabhängige Republik existieren konnte. In Nabari, genauso wie in allen übrigen Dörfern Igas, gab es einen Gemeinderat, in dem sich die Chūnin und die Clanältesten berieten und zusammen mit ihrem Jōnin wichtige Angelegenheiten besprachen, die der Letztere dann dem zwölfköpfigen Ältestenrat vorstellte.
Als Yujiro und seine zwei Begleiter die Eingangstür des Gebäudes auftaten, hörten sie auf einmal laute Stimmen von älteren Männern, die miteinander zu diskutieren schienen.
„Es wird langsam zu gefährlich. Lord Nobunaga, der hundertfach mächtiger ist als der Shōgun, hat entweder bereits das ganze Reich rund um uns herum annektiert oder sich mit den Daimyō, die diese Provinzen kontrollieren, verbündet. Somit umkreist er Iga von allen Seiten. Er wird die Lücke in seinem Reich nicht tolerieren und bald mit Tausenden seiner Truppen an unserer Grenze erscheinen, um uns den Krieg zu erklären. Gegen so eine Übermacht hätten wir keine Chance!“
Eine unzufriedene, ältere Stimme unterbrach ihn. „Und was schlagen Sie vor? Wollen Sie, dass wir alle unsere Heimat verlassen und an einen anderen Ort flüchten? Auf gar keinen Fall! Hier bin ich geboren und hier werde ich auch sterben!“
Yujiro öffnete die Tür vollständig, um mehr Platz für sich sowie seine Gefährten zu machen, bevor er seine Sandalen ablegte und anschließend Momochis Anwesen betrat. Vor sich erblickte er einen breiten Korridor, der sie zu einer Doppeltür am Ende des Ganges führte, die den Eingangskorridor vom Empfangsraum trennte, während jeweils eine Schiebetür zu ihrer Linken und Rechten zu sehen war. Vor dieser Doppeltür sah er einen eher kleinen Mann, der sie ausdruckslos aus den Augenwinkeln musterte.
„Kann ich euch irgendwie helfen?“, fragte er.
Yujiro verbeugte sich grüßend, bevor er antwortete. „Wir sind von unserer Mission zurückgekehrt, Saeki-san.“
Der Mann nickte zufrieden. „Ach, ja, richtig“, murmelte er.
Saeki machte dauernd kleine Besorgungen für Tanba und wartete wahrscheinlich, bis die Beratung zu Ende wäre, um den Jōnin wieder einmal über etwas zu informieren.
Kaum waren ein paar Minuten vergangen, öffnete sich die Eingangstür, durch die Kojima herein humpelte. Er nahm Yujiro und die anderen mit einem flüchtigen Nicken wahr, bevor er den Empfangsraum betrat und die Tür hinter sich schloss.
Schweigend warteten die vier Männer eine Viertelstunde lang, bis der Gemeinderat ein Ende nahm und die Doppeltür aufgemacht wurde. Saeki betrat das Empfangszimmer erst, nachdem es die meisten der Ratgeber verlassen hatten.
Ein paar Minuten später öffnete sich die Schiebetür wieder und Saekis runder Kopf erschien.
„Momochi-sama wünscht euch zu sehen.“
9. Der Jōnin
Etwas nervös betraten Suzaku, Rintaro und Yujiro den großen Empfangsraum, dessen Boden mit Tatami bedeckt war. Aufrecht saß der Jōnin auf einer Estrade am anderen Ende des Zimmers, während ein paar ältere Männer, darunter auch Kojima, seitlich hinter ihm knieten. Flüchtig nahm Yujiro das Gemälde eines Kirschbaums wahr, das an der Wand hinter dem erhöhten Boden hing und welches er zuvor noch nie gesehen hatte.
Es muss neu sein, dachte er, als er und seine zwei Begleiter sich vor Momochi verbeugten und sich respektvoll auf dem Boden hinknieten. Dabei berührten sie die Strohmatten mit der Stirn, bevor sie sich aufrecht setzten, immer noch im Knien verharrend. Dann blieben sie still und warteten auf die Erlaubnis zu sprechen. Die alten Männer hinter Tanba beendeten ihren Wortwechsel und setzten unbewegte Mienen auf, als sie ihre Aufmerksamkeit schweigend den Hereingekommenen zuwandten.
„Kiyonori-san“, vernahmen sie eine maßgebende Stimme. „Erstattet Euren Bericht.“
Yujiro, dessen Nachname Kiyonori war, hob den Blick und richtete ihn auf den Jōnin. Momochi war zwar vermutlich gerade in seinen Sechzigern, dennoch machte sein Körper einen aktiven und energischen Eindruck. Er hatte sich in förmlicher Weise gekleidet, wobei seine grauweißen Haare ihm ein sehr kompetentes, wenn nicht weises, Aussehen verliehen.
„Ich muss Ihnen mit Bedauern berichten, dass wir unseren Auftrag … nicht vollständig haben ausführen können“, erklärte Yujiro. Nervös schluckte er und wartete auf eine Antwort.
„Wie bitte?“ Verärgert hob Tanba die Augenbrauen. „Erklärt mir das bitte ausführlicher.“
„Nach einem Monat des Lauschens, der Spionage und Befragung, bekamen wir … äh … Schwierigkeiten und mussten fliehen, als wir von Dōshin entdeckt wurden. Aber–“
„Heißt das, dass ich demnächst neue Agenten wieder schicken muss, um mir die benötigten Informationen zu verschaffen?“ Die Irritation des Jōnin war unüberhörbar. „Alles, was ihr zu tun hattet, war mir Auskunft über den Waffenhandel, den Lieferanten des größten Nahrungshändlers Nagahamas sowie die Rekrutierung von Kriegern zu verschaffen. Das würde uns den Handelsverkehr zwischen anderen Clans offenlegen und wir könnten somit leichter erkennen, wie sie zueinander stehen.“
Momochi machte eine kleine Pause und strich sich nachdenklich über den Bart.
„Mein Herr, wie ich schon sagte, wir sind nicht ergebnislos zurückgekehrt.“
Hoffnungsvoll sah ihn Tanba an. „Sprecht weiter.“
Froh darüber, dass er vielleicht den Jōnin noch besänftigen könnte, fuhr Kiyonori fort: „Wir haben uns Informationen über den Handel von Feuerwaffen und die Anheuerung von Kriegern verschaffen können.“
Interessiert