Hat mein Herz ein warmes Plätzchen,
dass sie mit der Welt versöhnt.
Weil sie in den vielen Jahren
weit mehr Leid als Glück erlebt.
Haben Sie heut‘ weiße Haare
und ein Lächeln das versteht.
Ich hab Ehrfurcht vor schneeweißen Harren,
sie verschönern der Mutter Gesicht.
Und sie krönen die Arbeit von Jahren,
und ein Leben in Treue und Pflicht.
Ich hab Ehrfurcht vor schneeweißen Haaren,
vor den Falten von Sorge und Leid.
Ich will helfen, aus den letzten Jahren,
zu machen ihre glücklichste Zeit.
Ich konnte mich noch daran erinnern, dass meine Großmutter in der Küche zwei Teller mit Sprüchen an der Wand hängen hatte. Sie waren meinem Großvater gemünzt, der es noch nicht einmal bemerkte, was meine Oma damit eigentlich zum Ausdruck bringen wollte. Auf dem einen stand „Die Ruhe sei dem Menschen heilig, denn nur Verrückte habens eilig“. Bei meinem Opa musste alles schnell gehen. Er rannte wie eine wild gewordener Stier durch die Gegend, wenn etwas nicht nach seinem Plan lief. Das war dann der Zeitpunkt, wo ich mich sicherheitshalber schnell aus seinem Dunstkreis entfernte, um schlimmeren Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen. Auf dem anderen Teller stand „Wer andere Jagd, wird selbst mal müde.“ Das bekamen tagtäglich die Menschen zu spüren, die mit ihm zusammenarbeiten mussten. Es waren glücklicherweise nicht viele.
Die Erkenntnisse aus meiner Kindheit
Mein Vater wuchs in dieser von Gewalt und Herrschsucht geprägten Familienstruktur auf und kannte nur diese Art von Erziehung, wie er sie erleben durfte, um sie später selbst an mir zu praktizieren. Für ihn war das alles richtig, wie er uns als Kinder erzog. Mit der Einstellung „eine Tracht Prügel oder ein Schlag auf den Hinterkopf hat noch keinem geschadet und trägt zur Steigerung des Wohlbefindens bei“, bewiesen meine Eltern ihre Unfähigkeit uns zu erziehen.
Für mich zählt heute nicht die Ausrede „ich wusste es nicht anders“, denn es steckt in jedem Menschen ein wenig Mitgefühl und Gerechtigkeitssinn. Deshalb kann und will ich meinen Eltern für ihre psychisch und physischen Foltermethoden nicht verzeihen und vergeben. Was geschehen war kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Ich kann mich bemühen, darüber nachzudenken und zu philosophieren, warum es so war, wie es war. Es macht jedoch keinen Sinn und ist vergebene Liebesmühe, alles Alte aufzurollen.
Die Erkenntnis für mich liegt darin, dass der wohl lohnendste Weg nur der sein kann, selbst die Probleme, die dazu geführt hatten, zu erkennen, um es selbst besser machen zu dürfen.
Als Kind war ich machtlos und konnte mich nur selten gegen die Gewalt meines Vaters wehren. Ich entwickelte während dieser Zeit meinen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Ich erkannte auch sehr schnell die betrügerischen Methoden, die seitens meines Vaters sehr markant waren. Er hatte seine eigenen Strategien, an Geld zu kommen entwickelt und ich musste als Mitglied der Familie mitmachen, funktionieren und den Mund halten.
Mein Vater war als Lagerverwalter auch für die Bestellungen von Waren zuständig. Handelsvertreter liefen ihm während der Hochkonjunkturphase im Baugewerbe die Bude ein. Oft schenkten sie ihm ganze Werkzeugkisten, gefüllt mit hochwertigen Werkzeug, um im Geschäft zu bleiben und wer dies nicht tat, der war so gut wie aus dem Geschäft.
Er nutzte seine Position regelrecht aus. Er verlieh häufig an Wochenenden Werkzeuge aus der Firma an Freunde und Bekannte, aber wenn er dies machte, hatte er immer einkalkuliert und war darauf bedacht, dass er diesen Freundschaftsdienst doppelt und dreifach an Wert wieder zurückbekam.
Mein Vater konnte auch ein sehr geselliger und spaßiger Mensch sein, machte sich aber oft auf Kosten von anderen Menschen lustig. Einmal kam ein Mitarbeiter mit Schnupfen zu ihm. Es ging ihm sichtlich nicht gut. Mein Vater meinte er hätte ein sehr gutes Mittel für ihn und versprach ihm, dass seine Nase danach wieder frei wäre. Mein Vater öffnete den Kanister gefüllt mit Salzsäure und bat ihn erst ein Nasenloch mit dem Finger zu schließen und durch das andere tief Luft einzuatmen. Vertrauensvoll tat er dies, bückte sich über den Kanister und atmete tief durch. Was dann geschah, kann sich jeder denken. Er verätzte sich die Nasenschleimhäute und aus seinen Augen, die herausquollen wie bei einem Frosch, rannen dicke Tränen. Mein Vater lachte lauthals und war sich den Folgen seines Tuns gar nicht bewusst.
Eine weitere Geschichte hätte noch schlimmere Folgen haben können. Die Firma Schäfer hatte den Auftrag den Altrheinarm zwischen Erfelden und Stockstadt mit einem Saugbagger tiefer zu legen, denn der Altrhein drohte in diesem Abschnitt zu versanden. Mein Onkel Herbert hatte mit zwei anderen Kollegen über Jahre hinweg an dieser Baustelle zu tun. Mein Vater war der Vorarbeiter und schaute das ein oder andere Mal unangemeldet nach dem Rechten. So kam es, dass mein Onkel im Herbst am nebelverhangenen Altrhein im Morgengrauen seinen Kontrollgang machte. Mein Vater wusste dies und lauerte ihn auf einem Baum, unter dem er darunter vorbeikommen musste auf. Als mein Onkel unter ihm war, griff er ihm von oben am Kragen seiner Jacke und schrie so laut er konnte. Mein Onkel erschrak so stark und sprang so weit weg, dass er Bob Beamen bei seinem Weitsprungweltrekord wohl übertroffen hätte. Er rannte um sein Leben und kam erst 200 m später zum Stehen. Mein Vater lachte lauthals und war sich auch hier seines Handelns nicht bewusst.
Die Entwicklung meiner Wachsamkeit
Menschen mit schwachen Nerven und Herzen waren in der Umgebung meines Vaters gefährdet und mussten immer auf der Hut sein.
Ich wusste dies und war immer besonders wachsam, wenn ich mit meinem Vater arbeitete. Einmal, als wir gerade beim Holzmachen waren, flog eine brennende Kettensäge über meinen Kopf hinweg und landete 2 Meter neben mir auf dem Boden. Der Motor lief noch. Mein Vater hatte sie weggeworfen, als sie zu brennen begann. Glücklicherweise hatte ich blitzschnell reagiert und mich geduckt, um nicht verletzt zu werden. Dies war nur eine von vielen Aktionen, bei denen ich auf der Hut sein musste.
Wie man die Fasanen rupft
Ich Spätherbst kaufte mein Vater alljährlich von den Jägern zwischen 15 bis 20 erlegte Fasanen und übergab diese meiner Großmutter zur Weiterverarbeitung. Ich musste ihr beim Ausnehmen, Abbrühen und Federnrupfen behilflich sein. Am Ende wurden die nackten Viecher über das lodernde Feuer des Holzofens gehalten, um die restlichen Federn abzusengen. Dabei entwickelte sich ein bestialischer Gestank, der mich zum Würgen brachte. Es war so unerträglich dass ich diesen Geruch bis heute in Erinnerung behielt. Im Winter gab es ausnahmslos bis ins Frühjahr hinein an jedem Wochenende Fasan mit Blaukraut und Klößen. Ich wurde zum Fasanenexperten und wusste am Ende bereits schon vorher, wo sich die Schrotkugeln verbargen. Wie ein Chirurg trennte ich die Kugeln aus dem teilweise sehr zähen Fleisch und positionierte sie provokativ auf dem Tellerrand. Wenn mir heute in einem Gourmettempel ein Fasanengericht angeboten wird, so lehne ich dies mit einer würgenden Erinnerung an meine Vergangenheit, dankend ab.
Konfirmation
Mein erstes Schweige-Retreat
Im Herbst 1974 traten mein Bruder und ich als jüngste Mitglieder dem Männergesangverein in Biebesheim bei. Es brachte uns sehr viel Spaß und wir waren mit großer Leidenschaft bei allen Veranstaltungen dabei. Einmal sollten wir im Rahmen einer feierlichen Weihung einer über 300 Jahre alten Eiche im Biebesheimer Wald, ein Gedicht aufsagen. Jeder sollte die Hälfte des Gedichtes lernen und im Rahmen der Feierlichkeiten vor den Gästen vortragen. Ich war zuerst dran und trug lauthals und mit kräftiger Stimme meinen Teil vor. Dann sollte mein Bruder den zweiten Teil übernehmen. Es kam aber nichts. Er hatte vor lauter Angst seinen Part vergessen und so lauschten ungefähr einhundert geladene Gäste über angenommene zwei Minuten dem Schweige-Retreat meines Bruders. Danach wurden noch ein paar Lieder gesungen und die Feierstunde