2. Maurice Clavel, Profi-Triathlet, beschreibt sein Best-Case-Szenario so: „Dass ich vor dem Start ein bisschen Anspannung verspüre, das würde ich mir wünschen (lacht). Ich glaube, das wird der Fall sein. Dann so eine Fünfergruppe, Fünf-/Sechsergruppe, Führungsgruppe, mit der ich aus dem Wasser steige. Dann beim Radfahren wird sich die Fünf-/Sechsergruppe auflösen, und ich werde mit ein, zwei Jungs vom Rad steigen, aber schon mit einem guten Zeitpolster. Und dann auf den letzten drei Kilometern werde ich noch einen Turbo zünden und dann krawallmäßig einfach als Erster ins Ziel sprinten.“
Maurice antwortet auf meine Frage nach seinem Best-Case-Szenario für die Ironman-Europameisterschaft sehr konkret und positiv. Es fällt auf, dass er ganz in das Szenario eingetaucht ist und eine sehr positive Erwartung vermittelt. Auch hier ist zu beachten, dass es sich um eine Interviewsituation und kein Mentaltraining handelt, und die Antwort entsprechend kurz ist. Maurice skizziert aber fast schon ein idealtypisches Best-Case-Szenario.
3. Profi-Triathletin Daniela Ryf: „Für mich wäre das Optimale, wenn ich von Anfang an einfach Gas geben und das dann eigentlich bis zum Schluss durchziehen kann, das wäre mein Traumrennen. Und es ist auch mein Ziel, das zu erreichen. Ob ich das am Sonntag bei diesen Bedingungen schaffe, ist fraglich. Es wird sicher nicht leicht und es wird sicher auch nicht ein Good-Feel-Rennen. Es wird da schon mentale Kraft gefordert sein, um am Schluss den Marathon in einer guten Zeit oder mit einer guten Leistung zu schaffen.“
Kein Zweifel, Daniela Ryf ist eine der erfolgreichsten Triathletinnen der Welt und deshalb will ich sie in keiner Weise kritisieren. Angemerkt sei, dass es sich nur um ein Interview auf einer Pressekonferenz vor einem Rennen gehandelt hat und nicht um eine generelle Einstellung.
„Es geht um ein Flow-Erlebnis, persönliche Höchstleistung und Spaß beim Wettkampf“
Ich möchte allerdings einige Formulierungen, die aus meiner Erfahrung eher hinderlich sein können, aufgreifen:
1. „Ob ich das am Sonntag bei diesen Bedingungen schaffe, ist fraglich.“ Das Ergebnis ergibt sich sowieso am Ende eines Wettkampfs. Seine Ziele oder sein Leistungsvermögen kurz vor dem Wettkampf infrage zu stellen, ist nicht zielführend. Deshalb möchte ich dir dringend davon abraten.
2. „Es wird sicher nicht leicht und es wird sicher auch nicht ein Good-Feel-Rennen. Es wird da schon auch mentale Kraft gefordert sein, um am Schluss den Marathon in einer guten Zeit oder mit einer guten Leistung zu schaffen.“
Die äußeren Bedingungen wie das Wetter lassen sich in der Regel nicht beeinflussen. Entscheidend ist es, ein Best-Case-Szenario für sich zu entwickeln, wie man eben bestmöglich auch mit schwierigen Bedingungen umgeht, anstatt sich darauf zu konditionieren, dass man sich nicht gut fühlen wird. Sich gut zu fühlen, heißt ja nicht unbedingt, keine Schmerzen zu haben. Es geht um ein Flow-Erlebnis, persönliche Höchstleistung und Spaß beim Wettkampf.
ERFAHRUNGSBERICHTE AUS DER TRAININGSPRAXIS
Zum Abschluss teile ich mit dir noch einige Beispiele, welche Erfahrungen Sportler mit der Anwendung der Technik gemacht haben.
Anke, Triathletin – Übung macht den Meister: „Als besonders wichtigen Punkt habe ich mir ganz fett notiert: Best-Case-Szenario! (Die Energie fließt dahin, wohin ich meine Gedanken lenke.)
Ich habe mir sofort einen gesamten Triathlonwettkampf im Best-Case-Szenario formuliert. Es ist echt schwer und erfordert viel Übung, in der Ich-Form zu formulieren, nur Best-Case-Szenarien zu sehen, keine Verneinungsformen und wirklich nur positive Formulierungen zu verwenden. Aber es ist eine gute Übung und macht brutal viel aus.“
Katrin, Tennisspielerin, berichtet Folgendes: „Das Best-Case-Szenario hat mir in der Woche gut geholfen. Vor den Tenniseinheiten habe ich versucht, die negativen Gedanken beiseitezuschieben und mir stattdessen gesagt: Mein Fuß ist durch die Bandage optimal geschützt, es kann nichts passieren. Meine gute Athletik hat mir geholfen, schnell wieder fit zu werden, und ich kann darauf vertrauen, dass der Körper bei der Trainingsbelastung gut mitmacht. Ich konnte alle Laufübungen und Übungen im Gym bisher gut durchführen und bleibe auch bei der jetzt anstehenden Trainingseinheit schmerzfrei. Es wird mir super viel Spaß machen, endlich wieder richtig auf dem Platz zu trainieren, und es wird eine tolle Belohnung für die akribische Arbeit in der Reha werden. Nach dem Training absolviere ich ein gut abgestimmtes Regenerationsprogramm, das den Fuß vor Überlastung schützt.“
Jessica, Hockeyspielerin – Beispiel 1 aus dem Alltag: „Die Prüfung für die Fitnesstrainer-B-Lizenz stand ziemlich auf der Kippe. Der Prüfungstag war gesplittet in morgens eine schriftliche Prüfung und nachmittags zuerst eine praktische Prüfung (Übung ziehen & instruieren), danach eine mündliche Abfrage. Ich war miserabel vorbereitet aufgrund von Überstunden im Job und der Tatsache, dass bei uns im Betrieb die Hälfte der Übungen aus dem Übungskatalog nicht angeboten wird bzw. nicht möglich ist zu trainieren.
Ich kannte sie einfach nicht bzw. nur in der Theorie, und das nicht einmal wirklich gut (Mut zur Lücke beim Lernen irgendwann!).
Ich hatte die totale Panik, weil ich bisher in fast allen schriftlichen Tests durchgefallen bin, vom Führerschein damals bis Abi usw., immer brauchte es einen Zweitversuch. Ich wollte gar nicht erst hin, nicht schon wieder eine Erfahrung, die mir aufzeigt, dass ich eventuell eine Versagerin bin! Ich fragte meinen Chef tatsächlich am Tag vorher, ob ich mich dafür krankmelden darf. Er sagte Ja, aber meinte auch: ‚Sei kein Schisser, vielleicht schaffst du es ja doch. Bist doch ’ne Kämpfernatur! Und wenn du nicht bestehst, geht die Welt auch nicht unter!‘ Abends, da dachte ich mir: Scheiß drauf! Ich habe nochmals die halbe Nacht gelernt und mir gesagt: ‚Du hast getan, was möglich war, und machst daraus das Beste.‘ Dann habe ich mir meinen Best Case ausgemalt und gesagt: ‚Wenn es passt, dann passt’s, und wenn nicht, dann hattest du wenigstens den Mut hinzugehen.‘
Um es kurz zu fassen: Ich habe bestanden. Einige aus dem Betrieb, die mich ernsthaft versagen sehen wollten, die laberten: ‚War bloß Glück!‘ Und ich sagte mir: Nö! Erstens hätte ich eine bekannte Übung auch in den Sand setzen können o. Ä., und zweitens allein dafür, dass ich hingegangen bin, war das quasi die Belohnung!“
Jessica, Hockeyspielerin – Beispiel 2 aus dem Sport: „Seit über einem Jahrzehnt kämpfe ich mit meinen Sprunggelenken. In den letzten vier Jahren war ich mehr verletzt gewesen als fit. Immer Füße getapt, Bandage darüber und gehofft und gebettelt, es möge nichts passieren. Hab auch immer zu hören bekommen: ‚Lass es doch endlich sein, das wird nichts mehr!‘
Seit diesem Winter ‚vertraue‘ ich meinem Körper, denke positiv und versuche, nicht in einen Kopfkino-Strudel mit negativen Gedanken/ Möglichkeiten zu kommen. Ich betreibe das erste Mal seit unzähligen Jahren meinen Sport OHNE Tape, OHNE Bandage! Klar ist die Angst manchmal im Hinterkopf, aber dann versuche ich mich entweder abzulenken oder durch positives Denken und den Fokus auf das Best-Case-Szenario das Ganze umzudrehen! Klappt ganz gut.
Gestern hatte ich dann auch (endlich) mein erstes Spiel ohne die ganzen Bandagen und Tapeverbände. Um mein Best-Case-Szenario zu unterstützen, habe ich mir dann Dinge gesagt wie: ‚Ich habe vollstes Vertrauen in meinen Körper! Meine Füße wissen, was sie machen sollen, und haben den Bewegungsablauf sicher verinnerlicht!‘ Ansonsten habe ich mich einfach mit Musik abgelenkt und bin die Bewegungsabläufe nochmals durchgegangen, um in die richtige Anspannungsphase zu kommen. War gar nicht so schwer.“
Derya, Boxerin: „Mein nächster Wettkampf wird folgendermaßen aussehen: Ich werde mich bewusst auf meine schnelle Beinbewegung konzentrieren. Sprich, wenn die Gegnerin mich in der Vorwärtsbewegung bedrängt, werde ich zur Seite rausgehen und Sie abkontern. Hierbei achte ich auf meine Schnelligkeit. Ich werde mich darauf konzentrieren, dass ich sie mit schnellen Kombinationen abfange und die klaren Treffer setze, sodass dem Sieg nichts im Wege steht.“
David, Kampfsportler: „Ich