Die Quasarrechner erzeugten so ein perfektes Bild der Umgebung und schickten dieses einschließlich aller relevanten und gewünschten Zusatzinformationen verzögerungsfrei zurück an die Eyefoils.
Die meisten nutzten ihre Eyefoil ausschließlich in den beiden Standard-Modi 'Normal' und 'Real'.
Im Realmodus erschien die Umgebung exakt wie mit bloßem Auge, wobei auch wichtige Informationen angezeigt werden konnten. Im Normalmodus wurde alles entsprechend dem persönlichen Profil und den darin eingestellten Vorlieben und mit optimaler Klarheit und Helligkeit dargestellt. Selbst bei völliger Dunkelheit konnte man in dieser Einstellung alles deutlich wie bei Tageslicht erkennen.
Die Eyefoil diente natürlich auch der Video- und Audiokommunikation. Die von ihr erzeugten Bilder konnten an andere weitergestreamt werden, genauso wie sie über ihre Audiofunktion Gespräche möglich machte. Der Ton war hervorragend, denn alle Störgeräusche wurden sowohl durch die Algorithmen als auch durch ein passendes Korrekturschallfeld völlig unterdrückt.
Als Mikrofon diente die gesamte Oberfläche der Eyefoil, die so aus allen Richtungen Schallwellen aufnehmen konnte.
Darüberhinaus diente sie als Steuerzentrum für die verschiedensten Funktionen, die man ausführen wollte. Diese konnten in Form von Symbolen angeboten werden, die je nach Art, Thema oder Wichtigkeit in bestimmten Sektoren im Blickfeld der Eyefoil angezeigt wurden und über Finger- und Handbewegungen aktiviert werden konnten. Dazu wurden diese von den in der Eyefoil vorhandenen Tracker-Algorithmen permanent verfolgt und analysiert, um sie mit den Symbolen zu koordinieren und die gewünschten Befehle auszuführen.
Die zum Betrieb notwendige Energie bezogen die Eyefoils, wie auch die Quasarrechner und alle anderen Geräte und Maschinen, über die überall vorhandenen Ladepunkte des Energienetzes, mit denen sie sich bei Bedarf drahtlos verbanden und in Sekundenschnelle wieder aufluden. Diese Energie wurde völlig klimaneutral von Fusionsreaktoren erzeugt, die überall in kompakter Form vorhanden waren.
Jia war ziemlich enttäuscht, obwohl sie schon damit gerechnet hatte, dass auch die gestern gestarteten Tests wieder negativ verlaufen würden. Trotz einer erneut verbesserten Giftresistenz waren wieder alle Algen abgestorben, wenn auch ein paar Mikrosekunden später als bisher.
Die Algen in ihren Versuchen stammten von den alten Arten aus der Zeit vor der Klimakatastrophe ab und hatten besondere Fähigkeiten, die sie dringend für ihr Projekt benötigten.
Allerdings starben sie im Meerwasser sofort ab, da dieses wegen der heute darin lebenden Algenarten für sie tödlich war. Diese produzierten zur Abwehr konkurrierender Algen extrem starke Gifte. In vielen Regionen der Ozeane war das Meerwasser dadurch so gefährlich wie früher die stärksten Schlangengifte. Von einigen Algengiften wurden diese sogar noch übertroffen, nur die Verdünnung durch das Meerwasser reduzierte die Wirkung wieder etwas.
Seit Monaten arbeitete Jia zusammen mit anderen hervorragenden Nature-Scientists an einer Gensequenz, mit welcher sie die mikroskopisch kleinen Lebewesen gegen diese Gifte resistent machen konnten.
Leider hatten sie bisher damit bestenfalls nur ansatzweise Erfolg gehabt. Das gesamte Projekt stand womöglich kurz vor dem Scheitern, wenn sie hier nicht bald einen Durchbruch erzielen würden.
Dabei waren sie in dem anderen wichtigen Punkt, nämlich der CO2-Aufnahme, vor kurzem erst sogar erfolgreich gewesen. Nur diese letzte Hürde schien unüberwindlich.
Jia hatte jetzt noch genügend Zeit für ihr fünfzehnminütiges, morgendliches Fitnessprogramm, bevor sie zum Hyperport fahren würde. Sie schlüpfte schnell in ihre V-Schuhe, die sie immer bei Simulationen trug, um den Eindruck des Gehens oder Laufens auf realem Untergrund zu erzeugen, ohne sich tatsächlich mehr als einen Meter von der Stelle zu bewegen.
Sie begab sich in die Mitte ihres Hauptwohnraumes, wo sie ausreichend Platz dafür hatte. Dann klickte sie auf die virtuelle Schaltfläche für ihre Lieblingsstrecke.
Mit ihrer Eyefoil tauchte sie sofort ein in die Szenerie einer kleinen karibischen Insel. Diese war mit ihrem üppigen Grün, der unendlichen Zahl farbenreicher Blüten und dem blauen Ozean so wunderschön wie immer. Jia blickte sich kurz um. Unterhalb zu ihrer Linken erstreckte sich eine schmale Bucht nach Osten, die von hunderten schlanken Palmen gesäumt war. Im türkisblauen Wasser glitzerte die Sonne in tausenden kleinen Sternen und leichte Wellen plätscherten an den weißen Sandstrand, nur etwa fünfzig Meter von Jia entfernt. Für einen Augenblick spielte sie mit dem Gedanken, dort schwimmen zu gehen, aber im nächsten Moment ließ sie diesen wieder fallen, denn natürlich funktionierte das nicht mit der Ausrüstung, die sie gerade trug. Sie wandte sich wieder von dieser Seite der Insel ab und sah den Naturpfad vor sich, den sie so mochte. Er verschwand schon nach wenigen Metern in der dichten, tropischen Vegetation und führte hinauf in die Hügellandschaft, von wo es immer wieder fantastische Ausblicke gab.
Die Bilder, die Jia in ihrer Eyefoil sah, wurden von den Algorithmen aus zweihundert Jahre alten Daten rekonstruiert und so animiert, dass nicht nur die Bewegung der Blätter im Wind und die Wellen auf dem Wasser zu sehen waren, sondern überhaupt jedes noch so kleine Detail. Die gesamte Szenerie war jedoch nicht nur visuell absolut realistisch und wäre von einem wirklichen Aufenthalt vor Ort nicht zu unterscheiden gewesen. Die perfekte Illusion wurde vom VG erzeugt, einem V-Generator, der alle weiteren Umweltbedingungen simulierte.
Als Jia in lockerem Tempo loslief, spürte sie sofort den warmen, leichten Gegenwind in den Haaren und auf ihrer Haut. Zum leichten Luftstrom erzeugte der VG über elektrische Felder dort auch ein angenehmes Kribbeln.
Hinzu kamen reale Substanzen, die er versprühte und die zur jeweiligen Szenerie passten. Mit tiefen Atemzügen sog sie den typischen Geruch des Meeres und den süßen Duft der Pflanzen ein. Schon nach kurzer Strecke wurde sie deutlich munterer.
Sie klickte einen vorgeschlagenen Soundtrack an. Die fröhlichen karibischen Klänge wirkten zusätzlich entspannend und verstärkten gleichzeitig ihr Lauferlebnis. Sie empfand plötzlich wieder die tiefe Sehnsucht nach intakter Natur.
Anders als sonst gingen ihr die Probleme im Labor heute aber nicht aus dem Kopf.
Nach ihrem Lauf und einigen abschließenden Tai-Chi-Chuan-Übungen ging sie ins Bad, um sich frisch zu machen.
»Was passt am besten zum heutigen Reisetag?«, fragte sie Aida, ihren persönlichen Bot.
Sofort entstand in zwei Metern Entfernung ein Hologramm, das sie realistisch wie ein dreidimensionales Spiegelbild mit dem vorgeschlagenen Outfit zeigte, ihrem graublauen seidig glänzenden Anzug mit weißem Top und den weißen klimatisierten Softboots. Sie nickte kurz, worauf Aida zum Schrank ging und die gezeigten Kleidungsstücke und den für sie gepackten Backpack holte. Nach zwei Bāozis und einer Tasse Tee verließ sie pünktlich ihre Wohnung, die ihr hier im Wohnkomplex zur Verfügung stand, so wie allen Nature-Scientists, die nur zeitweilig in Svalbard arbeiteten. Die Shuttle-Station war in nur zwei Minuten zu Fuß erreichbar.
Der Shuttle fuhr in einem Tunnel einschließlich eines kurzen Stopps direkt zum Flughafen, der in der Zentralregion der Insel lag. Für die einhundert Kilometer lange Strecke benötigte er fünfzehn Minuten.
Drei Stunden Flug lagen heute vor ihr. Jia wusste schon, dass ein ganz neues Modell eines Hypersonics auf der Strecke eingesetzt wurde. Es würde fast doppelt so schnell sein wie alle Maschinen, die sie kannte, und in noch größerer Höhe fliegen. Sie freute sich darauf, denn von dort aus konnte man schon die Krümmung der Erdoberfläche erahnen. Früher wäre sie am liebsten Astronautin geworden, aber es gab keine Projekte mehr auf dem Mond, dem Mars und im Erdorbit, außer für Bots, die Satelliten warteten.
Die Hypersonics gab es erst seit knapp vierzig Jahren. Sie wurden seitdem auf allen Langstrecken eingesetzt, nicht nur für die 20.000-Kilometer-Strecke Antarktika-Svalbard. Sie verbanden auch weit auseinanderliegende Städte an Antarktikas Küste. Zuvor waren auch dort nur Subs unterwegs gewesen, die U-Boote, die auch zwischen den antarktischen Inseln eingesetzt wurden. Bis Svalbard hatte man damit fast zwei Wochen benötigt.
Das Fixin-Projekt war im Jahr 2122 gegründet worden, nachdem