„Nun bringen sie es auch schon in den Nachrichten. Zu meinem Bedauern muss ich Ihnen leider mitteilen, dass das, was sie eben in den Nachrichten gesehen haben, alles der Wahrheit entspricht. Umso wichtiger ist Ihre Mission. Ich kann Sie nur anflehen, herauszufinden, was sich dort oben verbirgt. Vielleicht gibt es einen Ausweg aus dieser schlimmen Lage. Sonst sind wir alle verloren.“
Der Präsident ließ seinen Blick durch die Runde schweifen. Er sah jeden Einzelnen von ihnen direkt ins Gesicht. Seine Schuppen glänzten in dem hellen Licht der Scheinwerfer, was ein Ausdruck für absolute Anspannung war. Zeru wusste, wenn der Präsident unter solcher Anspannung stand, musste es wirklich sehr ernst sein. Sie war nicht auf solche schlimmen Nachrichten vorbereitet und wirkte deshalb etwas abwesend. Zeru war geschockt. Nachdem Zeru den Blick vom Monitor abgewandt hatte, sah sie den Präsidenten an. Sie traute sich erst nicht, ihn anzusprechen. Da aber nun nicht die Zeit für unnötige Schüchternheit war, fasste sie all ihren Mut zusammen und sprach.
„Mr. Präsident, mein Name ist Zeru.“
„Ja, ich weiß. Ich bin über alle Mitglieder der Expedition unterrichtet. Sprechen Sie!“
Kaum erstaunt darüber, dass der Präsident jeden von ihnen kannte, sprach sie ihn so direkt an, als wäre er ein ganz normaler Maborier.
„Ist es wirklich so schlimm, wie der Nachrichtensprecher berichtet hat?“, wollte sie von ihm wissen. Der Präsident schaute verlegen in ihre Augen. Ihm gefiel es selbst nicht, dass diese Nachrichten durchdringen konnten. Er hätte am liebsten dafür gesorgt, dass man die Maborier noch ein wenig im Unklaren ließ.
„Ja, das ist es. Aber glauben Sie mir, wir werden alles Mögliche daransetzen, um diese schwere Stunde zu überstehen. Ihre Mission ist eines davon“, sprach er voller Stolz auf die Expeditionsteilnehmer. Aber Zeru begriff trotzdem nicht, wieso die Bevölkerung so lange im Unklaren gelassen worden war. Jeder wusste inzwischen von den eingeschlossenen Städten, aber dass es so dermaßen Schlimm war, hatte sie nicht geahnt.
„Sie wissen davon schon länger. Oder?“
„Ja, gut, wir wissen schon seit einiger Zeit, dass das Eis seine Geschwindigkeit erhöht hat. Aber, dass das so dramatisch erfolgen würde, ahnten wir nicht. Die Wissenschaftler, die sich damit beschäftigen, sind schon seit längerem vor Ort. Sie haben Tiefentemperaturmessungen vorgenommen. Unser Kern kühlt sich schneller ab, als bisher vermutet wurde. Und das geschieht seltsamerweise proportional. Wenn das so weitergeht, dann gibt es für unser Volk bald keinen Lebensraum mehr. Wir wissen nicht, was uns dort oben helfen könnte. Aber trotzdem legen wir alle Hoffnungen in Ihre Mission zum oberen Schleier. Ich möchte Sie eindringlich darum bitten, schnellstmöglich einen Weg zu finden, um uns zu retten. Außerdem bitte ich darum, Ihre Forschungen zurückzustellen. Darauf zu verzichten, unnötige, zeitraubende Ausflüge zu unternehmen, um Hirngespinsten hinterherzujagen.“ Zeru wusste genau, was er damit meinte. Der Präsident war wahrscheinlich schon längst von ihren Forschungen unterrichtet und von den hohen Gremien angewiesen worden, ihnen Einhalt zu bieten. Sie sah Tarom an, dass er ebenso von diesen Äußerungen geschockt war, wie Zeru. Sie ließen ihn aber weiterreden. Immerhin handelte es sich hier um bestätigte Daten, die nicht widerlegt werden konnten, dachte Zeru. Aber diese ignoranten Gremien beharrten wohl doch immer noch auf ihre alte Doktrin. Zeru hörte dem Präsidenten weiter zu.
„Dabei beobachten Sie die nördliche Barriere, um eventuelle Spalten oder ähnliches zu finden, die uns Auskunft geben könnten, wie schnell sie oberhalb unserer Lebenssphäre voranwächst. So lange eine Funkverbindung besteht, senden Sie uns diese Informationen, damit wir unser Vorgehen weiter koordinieren können. Danach, steigen Sie weiter an ihr empor.“
Der Präsident machte eine kurze Pause und nahm einen weiteren kräftigen Schwall Atemwasser in seine Kiemen auf und erläuterte schließlich weiter.
„Wenn Sie den Schleier erreicht haben, suchen Sie nach Hinweisen, die uns helfen können, diese Katastrophe noch rechtzeitig abzuwenden.“ Der Präsident machte eine weitere kleine Pause, um zu sehen, ob es eine Reaktion der Mannschaft gab. Etwas eingeschüchtert von dem hohen Besuch nickte Tarom dem Präsidenten zustimmend zu. Während er weiter redete richtete er sein Gesicht zu Zeru.
„Und wenn der Schleier irgendetwas beherbergt, dass uns in dieser schweren Stunde helfen kann, dann nehmen Sie dazu Kontakt auf!“ Zeru konnte es nicht fassen. Zog man nun doch in Erwägung, dass ihre Forschungen ein Fünkchen Wahrheit enthalten könnten? Der Präsident wandte seinen Kopf zur Seite, zu dem Maborier, der mit dem Präsidenten den Raum beschwommen hatte.
„Das ist Shatu. Er wird in allen Belangen darüber entscheiden, ob und wie mit potentiellen Fremden umgegangen wird.“
Shatu nickte der versammelten Mannschaft zu. Er schwebte völlig ruhig und emotionslos neben dem Präsidenten. Zeru staunte, wie wenig Flossenbewegungen dieser Shatu dazu brauchte.
„Wir müssen in dieser Lage jede noch so unwahrscheinliche Möglichkeit ergreifen, die es ermöglichen könnte, uns von der Eisbarriere zu befreien.“ Ehe Zeru ein Wort dazu sagen konnte, richtete der Präsident den Blick wieder dem Captain zu und signalisierte somit, Zustimmung zu erhalten.
„Ja, gut“, konnte Tarom darauf nur erwidern. Nachdem er sich etwas gefasst hatte setzte er noch etwas hinzu.
„Gut, wir werden unser Möglichstes versuchen“, sagte er zu dem Präsidenten. Tarom gab dem Präsidenten, was er wollte. Das fand Zeru gut. Er wurde ihr dadurch umso sympathischer.
Der Präsident nickte dem Captain dankend zu.
„Darf ich Sie dann alle bitten, Ihren Blick zum Monitor zu wenden!“, forderte der Missionsleiter die Anwesenden auf. Der bis jetzt untätig im Raum herumschwimmende Missionsleiter startete im selben Augenblick eine kurze Simulation, die der Monitor daraufhin anzeigte.
„Hier ist die Barriere“, zeigte er, “Sie Starten von hier, etwa 1 km weit weg von der Barriere. Während Sie emporsteigen, wird die Barriere auf die Hälfte des Weges auf Sie zugewachsen sein. Sie müssen Acht geben, dass Sie nicht zu nahe heranschwimmen. Denn dann besteht die Gefahr, dass Sie im gefrierenden Wasser hängen bleiben. Mit Ihrem heizbaren Außenmantel können Sie sich zwar wieder befreien. Das würde aber unnötige Energiereserven kosten, die Sie noch woanders dringender gebrauchen könnten.
Das Gesicht des Missionsleiters senkte sich. Er schwamm an die Seite des Präsidenten und überließ ihm das weitere Reden.
„Ich wünsche Ihnen also viel Glück bei Ihrer Mission.“
Nachdem er nochmals allen Mitgliedern der Expedition die Hände geschüttelt hatte, verließen sie den Raum. Die Tür verschloss sich hinter ihnen. Die sechs Besatzungsmitglieder sahen dem Präsidenten mit seinem Gefolge verdutzt nach. Jedem von ihnen wurde bewusst, dass ihre Welt dem Untergang geweiht war, wenn nicht ein Wunder geschah.
Der Mechaniker der Mannschaft, Kakom, ergriff als erster das Wort. Seine hellgelben Schuppen glänzten im Monitorlicht. Seine Mundwinkel zog er nach unten, so dass ein verschmitztes Lächeln zu sehen war.
„Ich werde mir erst mal die Maschine ansehen. Kontrollieren ob alle Energiespeicher aufgeladen sind. Unsere Reise wird ja nun etwas aufregender.“
„Tun Sie das, Kakom, und sehen Sie gleich noch nach, ob die äußeren Greifarme funktionieren!“
„In Ordnung, Captain.“
Damit verabschiedete sich Kakom von den anderen und schwamm zur Luke, die durch Bewegungssensoren auch gleich nach oben glitt und Kakom nach draußen entließ.
„So, Zeru, nun kann ich Ihnen die anderen Mitglieder vorstellen,“ der Captain drehte sich zu den anderen dreien um und sprach weiter, „da wäre also unser Geograph Jirum.“
Der Geograph begrüßte Zeru.
„Sie sind das also, die diese Signale von oben aufgefangen hat. Es ist aufregend.“
Zeru war erstaunt, dass man hier schon von