„Freut mich, dass du mich darum bittest“, sagte Martin Kant dunkel. „Ehrlichkeit gegen Ehrlichkeit: Vieles von dem, was du mir gebeichtet hast, wusste ich schon.“
Jeanette sah ihn verdutzt an. „Von wem?“
Er hob etwas verlegen die Schultern.
„Ich habe einen Mann beauftragt, Erkundigungen über dich einzuholen, bevor ich dich bat, bei mir einzuziehen. Ich hoffe, du nimmst mir das nicht übel.“
„Es war dein gutes Recht, dich zu informieren, wen du dir ins Haus holst“, gab sie zurück, „und es zeugt von menschlicher Größe, dass du mich trotz allem bei dir behalten hast.“
Er kräuselte die Stirn und schüttelte den Kopf.
„Ich könnte dich nicht fortschicken, denn mir ist auf meine alten Tage etwas ganz Wunderbares widerfahren: Ich habe mich in dich verliebt.“
Sie beschloss, nun alles auf eine Karte zu setzen. Ohne ihn anzusehen, sagte sie leise: „Ich bin mit meiner Beichte leider noch nicht fertig, Martin. Das Schlimmste kommt erst, und ich kann nur hoffen, dass du mich danach auch noch liebst.“
Er lehnte sich mit gespannten Zügen zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Nervös und unsicher begann sie zu sprechen.
Er erinnerte sich daran, dass man einen Mann, den er sogar persönlich gekannt hatte, eines morgens tot aus einem der Hafenbecken gefischt hatte. Seine Lippen wurden schmal, als er hörte, auf welche Weise Jo Dengelmann Jeanette unter Druck setzte und was er von ihr verlangt hatte. Er drehte sich zur Seite und schlug mit der flachen Hand auf seinen Schenkel.
„Komm her!“
Sie zögerte, sah ihn mit tränenfeuchten Augen an.
„Na, komm schon“, sagte er.
Sie stand auf, ging zu ihm und setzte sich auf seinen Schoß.
„Ich vergebe dir in allen Punkten“, sagte er mild. „Und ich werde dafür sorgen, dass du diesen Job für Jo Dengelmann nicht zu tun brauchst.“
„Wie denn?“
Er strich zärtlich über ihr Haar. „Lass das meine Sorge sein!“
„Aber er hat diese Videokassette...“
„Er wird sie nicht gegen dich verwenden. Verlass dich drauf!“
„Was hast du vor?“
„Ich werde einen recht ungewöhnlichen Weg gehen.“
„Welchen?“
„Ich sag’s dir hinterher, okay?“
„Ich möchte nicht, dass du dich für mich in Gefahr begibst, hörst du?“
Er lächelte beruhigend.
„Keine Sorge, ich werde vom Anfang bis zum Ende alles unter Kontrolle haben.“
„Du bist ein wunderbarer Mensch, Martin.“
„Und du bist eine wunderbare junge Frau.“
„Ich hatte Angst, dich zu verlieren, wenn ich dir die ganze Wahrheit über mich erzähle.“
„Es gehörte sehr viel Mut dazu, so aufrichtig zu sein. Das rechne ich dir hoch an.“ Er nahm ihren Kopf zwischen seine Hände und drückte ihr einen innigen Kuss auf die Lippen. Sein sorgfältig gestutztes Bärtchen kitzelte sie. Er lächelte. „Ich kann mich an keinen Morgen erinnern, an dem jemals so viel Wahrheit preisgegeben worden wäre. Darf ich dir auch etwas beichten?“
Sie schmunzelte unendlich erleichtert.
„Nur zu. Was hast du mir zu gestehen?“
„Wir sind noch nicht lange zusammen, aber du hast mich in dieser kurzen Zeit so glücklich gemacht, wie ich es noch niemals war, und deshalb möchte ich dich fragen - ob du meine Frau werden möchtest.“
Tränen quollen aus ihren Augen.
„Damit scherzt man nicht, Martin.“
„Ich scherze nicht.“
Obwohl Jo Dengelmann davon gesprochen und sie selbst damit kokettiert hatte, überraschte sein unerwarteter Antrag sie so sehr, dass sie kopfschüttelnd sagte: „Es kann dir unmöglich ernst damit sein.“
Er schlang die Arme um sie. „Doch.“
„Ein Mädchen wie ich und ein Mann wie du - das kann doch nicht gutgehen.“ Herrgott nochmal, war sie verrückt? Wieso sprach sie gegen ihre Interessen?
„Es ist bisher gutgegangen ...“
„Die paar Tage.“
„Ich möchte dich zur Frau haben.“
„Warum?“ Jeanette stand nervös auf und sah auf ihn hinunter, Verwirrung und Verständnislosigkeit im Blick. „Hast du Angst, dass ich weglaufe? Ich hau’ schon nicht ab. Ich bin doch froh, dass ich bei dir sein darf.“
Martin Kant seufzte. „Ich bin ein alter Mann.“
„Du bist sechzig. Das ist noch nicht alt.“
„Ich habe keine Kinder und keine Verwandten. Wenn ich eines Tages die Augen für immer zumache, fällt alles, was mir gehört, dem Staat in den Schoß.“
„Das kann dir dann doch egal sein. Und wenn du das nicht möchtest, kannst du per Testament bestimmen, wer deinen Besitz im Falle deines Ablebens bekommen soll.“
„Ich möchte, dass mich meine Ehefrau beerbt“, erklärte der Millionär. „Also du.“ Er lächelte dünn. „Die Frau mit der dunklen Vergangenheit, die mir, geläutert, meinen Lebensabend bis zum letzten Tag versüßt hat.“
Jeanette schüttelte unwillig den Kopf.
„Herrje, Martin, sprich nicht so, als müsstest du morgen schon abtreten.“
„Nicht morgen. Nicht übermorgen. Aber bald.“
„Bist du krank?“
„Ich schätze, dass ich noch fünf Jahre zu leben habe.“
Ihr lief es eiskalt über den Rücken. „Woran leidest du?“
„Die Ärzte sagen, mir fehlt nichts.“
„Wie kannst du dann ...“
„Ich bin erblich belastet“, fiel er ihr ernst ins Wort. „Mein Vater starb mit fünfundsechzig Jahren, seine beiden Brüder mit vierundsechzig, meine beiden Großväter mit Sechsundsechzig. Sie waren alle bis zu ihrem Ende völlig gesund. Und plötzlich - wie ein Blitz aus heiterem Himmel: Schlaganfall. In ihrem Gehirn platzte eine Ader und es war aus und vorbei.“
„Ich glaube nicht, dass dir das auch bevorsteht. Das mit deinen Verwandten kann Zufall gewesen sein.“
„Ich kann an so viele Zufälle nicht glauben.“
„Trotzdem kann es sie geben. Nichts ist unmöglich - wie man sieht: Du machst mir einen Heiratsantrag ...“
Er griff nach ihren Hüften, zog sie zu sich, sie beugte sich zu ihm hinunter und gab ihm einen Kuss.
„Ich hoffe, dass du ihn annimmst“, sagte er.
35
Sobald Boris Reitmann wieder in Hamburg war, kam es zu einem Treffen, das in der Geschichte der Hansestadt wohl als einmalig zu bezeichnen war und sich mit Sicherheit nicht wiederholen würde. Ein bekannter Vertreter des norddeutschen Geldadels kontaktierte persönlich den Boss der Unterwelt, ohne dass Dritte davon erfuhren, und lud ihn zu einer wichtigen Besprechung in sein Haus ein. Reitmann nahm die Einladung an. Das Gespräch dauerte dreißig Minuten, dann kehrte der Unterweltboss