Auch der andere Bandit war tot.
Mitten auf der Stirn hatte er ein kleines, rundes Loch.
Irgendwo war zu hören, wie jemand rannte. Farley wandte sich an Laura.
"Bleiben Sie hier liegen!"
Er schnellte nach oben.
Im letzten Moment konnte er sich dann noch ducken, als eine Kugel auf ihn abgefeuert wurde.
Der Schuss riss ihm den Hut vom Kopf, während sein Gegenüber sich zu Boden warf und sich abrollte.
Es war Rogers - oder Mortimer, wie er sich inzwischen nannte.
Farley feuerte postwendend zurück. Ein unterdrückter Schrei kam ihm über die Lippen. Farley hatte ihn an der Schulter erwischt.
Für den Bruchteil eines Augenaufschlags war Rogers wie gelähmt.
Dann hob er blitzschnell die Waffe.
Farley ging ebenso schnell zu Boden, und der Schuss krachte ins Leere. Er rollte sich herum und wollte dann zurückfeuern.
Aber da war der Mann mit dem halben Ohr bereits hinter einem Felsen verschwunden.
Anscheinend hatten die Kerle dort ihre Pferde versteckt.
Farley hörte das Wiehern der Tiere und spurtete hinter dem Killer her.
Pferdehufen klackerten im wilden Galopp auf hartem Grund.
Farley kam hinterher, aber er konnte nicht schnell genug sein. Er sah Rogers dann wenige Augenblicke später nur noch davonreiten.
Die Pferde seiner Komplizen ließ er mit sich davonrennen.
Farley fluchte und ballerte noch einmal hinter ihm her. Aber er sah schnell ein, dass es keinen Sinn machte.
Er steckte den Colt zurück ins Holster und wandte sich um.
Zu dumm, dass der Kerl alle Pferde davongejagt hatte!
Als er zurückkam, war Laura inzwischen aus ihrer Deckung hervorgekommen.
Farley kam heran, bückte sich zwischendurch und nahm einem der Toten den Revolver ab und warf ihn der jungen Rancherin hin.
Sie fing die Waffe geschickt auf.
"Nehmen Sie den", meinte er. "Schätze, sie werden das Ding noch brauchen!"
"Was machen wir jetzt? Die Pferde einfangen?"
Farley schüttelte den Kopf.
"Nein, es ist nicht mehr weit. Wir gehen zu Fuß weiter, sonst würden wir zu viel Zeit verlieren!"
28
So ein Fußmarsch war keine angenehme Sache, zumal für jemanden, der es gewohnt war, im Sattel zu sitzen. Aber im Moment gab es dazu keine Alternative.
Wenn sie erst versucht hätten, die Gäule wieder einzufangen, wären ein paar Stunden draufgegangen, vielleicht auch ein halber Tag. Und soviel Zeit hatten sie nicht. Ihre Gegner waren schließlich mehr als gewarnt.
Vielleicht würde Clayburn nun die ganze Meute ausschwärmen lassen, um sie beide zu fassen.
Sie hatten sich von den erschossenen Banditen je ein Winchester-Gewehr und etwas Munition mitgenommen. Laura hatte den Colt, den Farley ihr gegeben hatte, vorne in den Hosenbund gesteckt.
Aufmerksam ließen sie die Blicke über die sie umgebenden Felsen schweifen.
Überall konnte der Tod plötzlich auf in Gestalt einer Gewehrmündung auf sie lauern. Sie mussten sehr auf der Hut sein, wenn sie bis zum Abend überleben wollten.
Die meiste Zeit über gingen sie schweigend daher.
Aber hin und wieder kam es dann doch zu so etwas wie einer kurzen Unterhaltung.
"Sie wagen eine ganze Menge, Farley!", meinte sie einmal zu ihm. "Es muss Ihnen viel daran gelegen sein, diesen Killer wie war noch sein Name? - in die Hände zu bekommen! Verdammt viel!"
Er wandte den den Kopf zu ihr herum.
"Ist es nicht egal, weshalb man etwas tut?"
Sie schüttelte energisch den Kopf.
"Nein Farley, für mich spielt das eine große Rolle."
"Für mich nicht. Meiner Meinung nach kommt es nur darauf an, dass das Richtige getan wird, nicht aus welchem Grund!"
Er sah sie kurz an und dann fragte er: "Wird es ihnen zu heiß?"
"Nein. Außerdem gibt es ja wohl ohnehin keine Möglichkeit für ein Zurück, oder irre ich mich?"
Farley lächelte etwas gezwungen.
"Sie irren sich nicht, Miss!"
29
Die Dämmerung setzte ein, als sie das Lager der Bande erreichte. Sie befanden sich oben an einem steilen Hang und blickten hinab in das Tal, in dem die alten Army-Zelte aufgestellt waren.
Es sah aus wie ein kleines Heerlager.
Hinter ein paar Büschen waren sie in Deckung gegangen und beobachteten nun, was sich unten tat.
Es war nicht besonders viel.
"Was meinen Sie, wo die Pferde und meine Rinderherde geblieben sind?", flüsterte die junge Rancherin. Sie hatte die Winchester grimmig mit beiden Händen gepackt.
Farley zuckte mit den Schultern.
"Ich weiß es nicht. Vielleicht in eine benachbarte Schlucht getrieben... Oder schon über der Grenze. Letzteres halte ich für das Wahrscheinlichste."
"Weshalb?"
"Zählen Sie mal die Leute im Camp!"
"Ich zähle nicht einmal ein halbes Dutzend!", meinte sie. "Vielleicht ist der eine oder andere noch in den Zelten..."
"Ja, aber es ist nicht anzunehmen, dass die meisten von diesen Kerlen jeden Abend schon bei Sonnenuntergang in den Zelten liegen und schlafen... Wir haben gesagt, es müssen ungefähr dreißig Mann sein. Einige sind schon tot, aber da fehlt trotzdem noch ein ganzer Trupp!"
Sie schluckte.
"Sie meinen, die treiben jetzt gerade meine Herde nach Mexiko?"
"Verlassen Sie sich drauf: Es werden nicht nur Ihre Tiere sein. Sie werden sie aus der gesamten Umgebung zusammengesammelt haben, bis sie eine Herde zusammen hatten, die ein solches Unternehmen lohnt!"
Farley blickte wieder hinab auf das Lager.
Er sah bei einem der Zelte eine Bewegung. Ein Mann trat hinaus. Er trug einen dunklen Anzug und eine Schleife um den Kragen.
Farley deutete mit dem Winchester-Lauf.
"Sehen Sie, Laura! Das muss dieser Clayburn sein!"
"Der Anführer?"
"Ja, wenn es stimmt, was die beiden Latinos gesagt haben!"
"Auf mich wirkten sie vertrauenswürdig!"
Und dann sah Farley ganz genau hin.
Seine Augen wurden schmal.
Noch ein Mann trat aus dem gleichen Zelt, aus dem Clayburn gekommen war. Es war ein guter, alter Bekannter!
"Sehen Sie mal, wen wir da haben!", lachte Farley dann.
"McCann!"
"Ja."
Laura sah ihn triumphierend an.
"Mein Verdacht war also von Anfang an richtig!"
Sie sahen zu, was sich weiter ereignen