"Ich habe so etwas in der Art gedacht, Brian."
"Was ist schon dabei! Ich nehme meinen Teil und verschwinde. Du siehst mich nie wieder, Geraldine, das ist versprochen!"
Geraldine verzog den Mund.
"Dir passt Dads Tod gut in den Kram, nicht wahr, Brian?" Brian runzelte die Stirn.
"Was soll das?"
"Gib es zu!"
"Ja, gut, ich gebe es zu! Etwas Besseres hätte mir gar nicht passieren können, als dass jemand daherkommt und ihn niederschießt! Wer weiß, wie lange ich sonst noch auf mein Geld hätte warten müssen!"
Geraldine lachte freudlos.
"'Mein Geld!' - Eine feine Art hast du, das auszudrücken!"
"Was soll das ganze eigentlich? Soll das eine Art Verhör sein?
Denkst du vielleicht, ich hätte Dad auf dem Gewissen."
"Ein Motiv hättest du doch, oder etwa nicht? Du hast es vorhin ja selbst zugegeben!" Sie musterte ihn kurz, sah wie er mit zitterigen Fingern nach der Flasche griff und sie zum Mund führte.
Dann schüttelte sie energisch den Kopf.
"Nein, Brian, ich denke, es ist ziemlich ausgeschlossen, dass du es warst. Schau dir nur deine Hände an... Du bist doch gar nicht in der Lage, eine Waffe ruhig genug zu halten, um damit jemanden zu treffen."
Brian lief puterrot an und knurrte ärgerlich vor sich hin.
"Man muss stets versuchen, aus den Dingen seinen Nutzen zu ziehen, ganz gleich in welche Richtung sie laufen", meinte Brian dann, nachdem er einen kräftigen Schluck genommen hatte. "Ich habe gewusst, dass es irgendwann soweit sein würde. Und jetzt ist es eben soweit. Jetzt hat er die Kugel im Schädel, die schon vor langer Zeit für ihn bestimmt gewesen ist."
"Gute Nacht, Brian. Ich hoffe, du verschwindest hier möglichst schnell wieder."
"Gute Nacht Schwester! Sobald ich mein Geld habe, kann ich mir jedes Hotel leisten!"
20
Es war eine üble Absteige, rund um die Uhr geöffnet und im Drei-Schicht-System mit jeweils wechselnden Portiers besetzt. Aber für den Mann, der in diesem Augenblick durch die Tür trat war es genau das Richtige.
Der Mann war hochgewachsen und schlecht gekleidet und trat mit bedächtigen Schritten auf den Tresen zu, hinter dem der Nachtportier saß.
Dieser schreckte von seiner Illustrierten hoch, in der er Kreuzworträtsel gelöst hatte.
Der Portier musste schlucken, als er das Gesicht seines Gegenübers sah. Im Schein der Neon-Röhre war die Narbe gut sichtbar, die die rechte Gesichtshälfte verunstaltete.
"Was wollen Sie?", fragte der Portier.
"Ich wohne hier."
Der Portier runzelte die Stirn, während der Mann mit der Narbe mit der flachen Hand auf den Tresen schlug. Seine Augen waren kaum mehr als schmale Schlitze, sein Mund ein dünner Strich.
Der Portier hatte diesen Mann noch nie gesehen, aber bei dem schichtweise wechselnden Personal war das auch kein Wunder.
"Welche Nummer?"
"Dreiundzwanzig."
Der Portier drehte sich herum und ging zu dem Nagelbrett, an dem die Schlüssel hingen. Schließlich hatte er den richtigen gefunden und knallte ihn eine Sekunde später auf den Tresen.
"Hier, Mister..."
Der Narbige hob den Kopf und unterzog sein Gegenüber einer kurzen Musterung.
"Bridger!", flüsterte er dann.
Es war der Name, unter dem er sich eingetragen hatte, aber es war nicht sein wirklicher.
"Wollen Sie Frühstück, Mister Bridger?"
"Nein."
Der Portier zuckte mit den Schultern.
"Wie Sie wollen..."
"Noch was?"
"Nein."
"Das ist gut. Sie quatschen nämlich zuviel, Mister!"
"Ich dachte nur..."
"Gute Nacht!"
Der Mann, der sich Bridger nannte, drehte sich um und ging die Treppe hinauf, um zu seinem Zimmer zu gelangen. Die Stufen knarrten entsetzlich...
Es hat mich niemand gesehen, dachte er und fühlte die Schalldämpfer-Pistole in der Tasche seiner Parka. Verdammt, es ist alles in Ordnung! Alles läuft wie am Schnürchen!
Aber Bridger war unruhig.
Er fühlte seinen Puls schlagen, obwohl es dafür doch eigentlich keinen Anlass gab. Brady war tot und die Gefahr, die er dargestellt hatte vorüber.
Bridger öffnete die Tür zu seinem Zimmer und verschloss sie sogleich sorgfältig hinter sich.
Dann atmete er tief durch.
Es war noch nicht zu Ende!
Roy Brady war nicht der Letzte auf seiner Liste!
21
Als Bount Reiniger am nächsten Morgen ins Büro kam, schlug ihm gleich Junes helle Stimme entgegen.
"Bount! Du kommst gerade richtig!"
"Was ist denn?"
"Telefon!"
Sie hielt den Hörer in der Hand.
Bount behielt den Mantel an. Er hatte es so im Gefühl, dass es sich vielleicht nicht lohnte, ihn auszuziehen.
"Wer ist es?"
"Captain Rogers."
Bount pfiff kurz durch die Zähne und den Hörer.
"Toby?"
"Ja, ich bin's!"
"Sag bloß, die Polizei arbeitet schon zu dieser frühen Stunde!"
"Jetzt ist keine Zeit für Witze, Bount! Wir wollen Maldini einen Besuch abstatten! Und da dachte ich, dass du vielleicht gerne dabei sein möchtest!"
Bount musste unwillkürlich grinsen.
"Schön, dass du an mich gedacht hast...", meinte er mit einem deutlich sarkastischen Unterton.
In Wahrheit konnte das nur heißen, dass Rogers bei seinen Ermittlungen gegen Maldini auf der Stelle trat und er von oben Druck bekommen hatte.
Nun, es war Bount einerlei worin die großzügige Kooperationsbereitschaft letztlich begründet lag.
"Wir sind schon auf dem Weg!", meinte Rogers. "Halte dich bereit! Wir kommen bei dir vorbei und laden dich ein!"
"Okay!"
Bount legte auf.
Er würde Maldini einige Fragen zu stellen haben. Und es konnte sicher nicht schaden, den Antworten genau zuzuhören. Vielleicht kam ja etwas dabei heraus.
Bount stand einen Augenblick lang nachdenklich da, dann holte er einen zerknitterten Zettel aus seiner Tasche, auf dem ein paar Namen standen, die er sich am Vortag in Rogers' Büro aufgeschrieben hatte.
"Was ist das?", fragte June.
"Eine Liste", murmelte Bount lakonisch. "Eine Liste von Männern , die allesamt zu Maldinis Organisation gehören oder mit ihm zu tun hatten - und nun mausetot sind." June warf einen Blick darauf.
"Joel Gardener...", entzifferte