„Toll“, sagte sie zum Schluss. „Wir haben Sie tatsächlich für einen von der Stasi Beauftragten gehalten, der Helga Steinfeld aufscheuchen und unter Druck setzen sollte. Wir sind nicht immer zimperlich, aber ich gebe Ihnen mein Wort, sogar mein Ehrenwort, dass wir nie Luft aus Ihren Autoreifen gelassen und Schrauben an Ihren Autorädern gelockert und auch nie auf Sie oder ihr Haus geschossen haben. Wir verstecken auch keine Spitzen-BHs in fremden Kleiderschränken. Gibt es das gute Stück noch? Ich würde es gerne von Fachleuten untersuchen lassen.“
„Da muss ich erst nachsehen. Sonst weiß meine Putzfee Olga Paschke, wo das gute Stück geblieben ist.
„Bitte Olgas Anschrift und Telefonnummer.“
„Sofort! Wenn Sie mit ihr sprechen, ich bräuchte meinen Bademantel, meinen Rasierer und meine Zahnbürste, Zahnpasta und Seife. Und Handy mit Ladegerät würden den Komfort abrunden.“
„Ihre Olga hat Schlüssel zu Ihrem Haus?“
„Braucht Sie die noch, nachdem Ihre Leute meine Haustür geöffnet haben?“
„Den Spott habe ich verdient. Dann telefoniere ich mal mit Ihrer Fee.“
Als sie ins Zimmer zurückkam, machte sie ein ernstes Gesicht. „Ihre Bestellung wird morgen Vormittag frei Krankenhaus geliefert. Und ich bekomme den BH. Lieber Herr Jokisch …“ Sie lächelte, etwas verkrampft, aber immerhin. Und ihren Blick wagte er nicht zu deuten.
„Dann schon lieber Joko …“
„Okay. Künftig muss ich wohl mit offenen Karten spielen. Vor zwei Wochen haben wir die Leiche einer jungen Frau, eines Mädchens, im Schellenberger Wald gefunden, der man nach der Ermordung die Wäsche vom Leibe geschnitten hat. Wir haben die Tote noch nicht identifiziert, aber wir haben eine jetzt etwa dreißig Jahre alte Vermisstenanzeige eines jungen Mädchens. Die Eltern haben uns seinerzeit Wäschestücke ihrer Tochter übergeben, als Identifikationshilfe und für die Spürhunde. Die DNA-Technik hat seitdem solche Fortschritte gemacht. Vielleicht können wir DNA von der Leiche gewinnen und mit möglichen DNA-Spuren von einem roten Spitzen-BH und asservierten Wäscheteilen vergleichen.“
Joko blieb der Mund offen stehen. „Das nenne ich eine echte Blitzkarriere. Eben noch Opfer eines übergeschnappten Staatsschutzes und Objekt zahlreicher Mordanschläge und nun Mordverdächtiger in einem dreißig Jahre alten Mordfall. Wer die Polizei zum Freund hat, braucht in der Tat keinen Feind mehr.“
„Vorsicht, Joko, noch habe ich Sie nicht meinen Freund genannt. Aber wenn Sie Wert darauf legen …“
„Da hätte ich ja wohl auch ein Wörtchen mitzureden.“
„Das entscheidet der Staatsanwalt.“
Warum an sich nette Frauen immer so garstig sein konnten.
Etwas erschöpft und enttäuscht erkundigte er sich: „Sagen Sie bloß, Sie haben all die Jahre über Helga Schmied, verheiratete Steinfeld beobachtet und überwacht.“
„Nein, so viel Personal haben wir nicht. Es hat gereicht, alle Stellen immer mal zu informieren, unbedingt Alarm zu schlagen, wenn sich bei ihnen jemand nach Helga und Carsten Steinfeld erkundigen sollte.“
„Schule, Nachbarn, Freundinnen, Altschülerverein.“
„Und noch mehr Stellen.“
„Tut mir leid, dass ich Sie so lange habe warten lassen, aber der Blitz ist halt nicht früher eingeschlagen.“
„Das machen ich Ihnen auch nicht zum Vorwurf, mein Freund.“
„Glauben Sie denn immer noch, die Ehefrau habe irgendwie Kontakt mit dem abgängigen Ehemann gehalten?“
„Lieber Joko, man hat schon Pferde kotzen sehen, und das direkt vor der Apotheke.“
„Sie meinen jetzt nicht die Sperberapotheke an der Mellinghauser Straße am S-Bahn-Haltepunkt Essen-Süd?“
„Das wird sich noch herausstellen. Wir haben viel Zeit; wie schön für mich, dass Sie mit ihrem Arm und Fuß nicht weglaufen und Spuren verwischen können.“
Trotzdem träumte er angenehm von der KHK Beate Lorenz. Das konnte am ungewohnten Wein oder auch an der Person der Kriminalbeamtin liegen. Aufgefallen war ihm schon, dass sie keinen Ehering trug. Ein Brandsachverständiger lernte, auf die kleinsten Details zu achten …
Olga Paschke kam, wie versprochen und machte ein Gesicht, als hätte sie ihn lieber in der U-Haft aufgesucht.
Beate Lorenz ließ sich viel Zeit, kam nicht vorbei und rief nicht an. Bernd Jokisch hatte sich von Schwester Petra eine ganze Taschenbuch-Bibliothek aus dem Kiosk am Eingang besorgen lassen und mit mäßigem Vergnügen gelesen, bis Beate Lorenz ihn wieder besuchte.
„Hat sehr lange gedauert, tut mir leid, Joko. Aber die Mediziner und Biologen haben ewig gebraucht, bis sie die DNA-Vergleiche vornehmen konnten. Kein Zweifel, unsere Tote hat den roten BH getragen und der hat einer als vermisst gemeldeten Julia Hoppe gehört. Ihre DNA haben wir in den Wäschestücken gefunden, die uns die Eltern seinerzeit überlassen hatten.“
„Woher kenne ich den Namen Julia Hoppe?“ Und dann erleuchtete ihn ein gewaltiger Geistesblitz: „Auf welche Schule ging das Mädchen?“
„Viktoria, Essen, an der Kurfürstenstraße.“
„Dann musst du – Entschuldigung dann müssen Sie – Helga Schmied- Steinfeld befragen. Wenn ich mich nicht irre, haben die Mädchen sich gekannt.“
„Danke, Joko, lass uns beim Du bleiben, einverstanden?“
War er ohne nachzudenken.
Sie schoss davon, wie von der Tarantel gestochen. Joko las einen mäßig unterhaltsamen Roman zu Ende, sah sich die Tagesschau an und war einigermaßen genervt, als sie endlich zurückkam. Ihm lagen einige flapsige Bemerkungen auf der Zunge, die er sich nach einem Blick auf ihr Gesicht verkniff. „Ist was passiert?“
„Ja, leider, wir sind zu spät gekommen. Heute Vormittag in ihrer Wohnung in Krefeld erschossen.“
„Gibt es einen Hinweis auf den Täter oder die Täterin?“
Sie schüttelte müde den Kopf. „Nichts. Aber die Spurensicherung hat etwas gefunden, was du vielleicht behalten möchtest.“
Das vertrauliche Du überraschte ihn mehr als das Foto, das er vor Ewigkeiten zum letzten Mal gesehen hatte. Er stand mit einer jungen blonden Frau vor einem einmotorigen Flugzeug. „Unsere Cessna 172“, murmelte er melancholisch.
„Dein Flugzeug. Bis du früher geflogen?“
„Ja. Die Maschine gehörte dem Areo-Club, nicht mir.“
„Und die Blonde ist Helga …?“
„Ja, Helga Schmied. Ich durfte sie einmal zu einem Rundflug über Essen mitnehmen. Für sie war es der erste Flug ihres Lebens und für ihre Eltern der letzte unumstößliche Beweis, dass sie den Umgang mit einem so leichtsinnigen Menschen aufgeben müsse. Nur ein Motor! Nicht auszudenken, was da passieren konnte. Damals flog noch nicht jeder in den Urlaub.“
„Fliegen war damals aber auch ein teurer Sport?“
„O ja. Es sei denn, man machte Fudenzu.“
„Bitte was?“
„Segelfliegen. Nach 1918 hatten die Siegermächte Deutschland das Fliegen und Bauen von Motormaschinen verboten. Findige Köpfe haben daraufhin das Fliegen ohne Motor ins Leben gerufen. Fudenzu: ‚Für um die Entente zu uzen.‘“
„Hatten deine Eltern so viel Geld für den Motorflug?“
„Nein, aber die Krankenkassen.“
„Das verstehe ich nicht.
„Die Kassen finanzierten in einigen Fällen