„Danke. Egon, du bist der Größte.“ Bei allen anderen schönen Frauen im Hause – und davon gab es in letzter Zeit immer mehr – hätte er gefürchtet, hinter dem Kompliment verstecke sich auch viel Spott auf einen unsportlichen Endvierziger. Aber nicht bei der schönen Lene. Als sie aufstehen wollte, hielt er sie am Arm fest: „Bleib' noch einen Moment. Dann beantworte ich dir auch deine noch nicht gestellten Fragen.“
„Da bin ich aber gespannt.“
„Wer kannte diese PIN-Zahlen?“
„Stimmt.“
„Natürlich der Chefkassierer.“
„Anzunehmen.“
„Der wird krank oder auf dem Weg zur Arbeit überfahren.“
„Oder macht Urlaub.“
„Eben. Und in der Zeit ruht der Betrieb der Filiale?“
„Natürlich nicht.“
„Also hat er mindestens einen Stellvertreter, der die beiden PIN-Zahlen ebenfalls kennt.“
„Anzunehmen“, wiederholte sie sich.
„So, und in so einer Bankfiliale wird vieles elektronisch erledigt, also werden die am Bühler Markt mit Sicherheit einen Mitarbeiter haben, der sich um den elektronischen Kram kümmert, wenn mal dein Computer abstürzt oder nicht so tut, wie es soll. Der oder die kennt dann auch die PIN-Zahlen und weiß, wie man sie verändert, wenn der eine sie vergessen oder den Zettel verlorenen hat, auf dem er sich verbotenerweise Zahlenkombinationen notiert hat. Die Bank kann es sich nicht leisten, jedes Mal den Hersteller anzurufen, damit der wie jetzt die Türen ausbaut. Die Bank muss ihren Tresor benutzen und die Filialen müssen weiter arbeiten können.“
„Klingt logisch, aber warum erzählst du mir das?“
„Weil ich dasselbe dem Kollegen Bürger verklickert habe. Ihr müsst also herausfinden, wer hat offiziell die Zahlen gekannt, und wer von denen hat sie weitergegeben oder für sich zwecks Aufbesserung seines Gehalts benutzt.“
„Ganz einfach, was?“
„Immer noch leichter zu kapieren als zu verstehen, wie ein kompliziertes IC oder simples Flipflop funktioniert.“
„Egon, du bist unersetzlich.“
„Du auch, meine Liebe. Ich freue mich immer, dich zu sehen.“
Lene eilte beflügelt in die Staatsanwaltschaft im Gebäude des Amtsgerichts. Frank Dobbertin hatte eigentlich mit Kollegen zum Essen gehen wollen, aber auch er überlegte es sich, eine Lene Schelm zu düpieren und zurückzuschicken. Über sie kursierten viele gerade ihn vorsichtig stimmende Gerüchte im Präsidium. Angeblich waren sie und ihr Freund mit dem langjährigen kommissarischen Leiter der Tellheimer Kripo und seiner damaligen Lebensabschnittsgefährtin, der Rechtsmedizinerin Professor Nadine Golowski, eng befreundet gewesen. Damals hatten es sich auch der Leitende Oberstaatsanwalt Hornvogel gut überlegt, ob er sich mit Marlene Schelm anlegen sollte. Das waren heute alles Geschichten, geblieben war eine gewisse Abneigung gegen die Leiterin des R – 11, die immer wieder zu verstehen gab, dass sie zwar an ihrem Beruf und an den Kolleginnen hing, aber auf diesen Job finanziell nicht angewiesen war.
Im Telegrammstil unterrichtete sie Dobbertin, was sich bisher im Fall Peter Korn ergeben hatte, erwähnte aber Pekos Tätigkeit für die Tafel in räumlicher Nähe zu einer spektakulär bestohlenen Bankfiliale so wenig wie ihren elektronischen Nachhilfe-Unterricht bei den Kollegen Bürger und Kurz, auch nicht die Tatsache, dass der ermordete Peko ein wohlgefülltes Konto bei eben der bestohlenen Bankfiliale besessen hatte, sondern ließ nur ihren Wunsch einfließen, das Nachlassgericht möge einen versierten Nachlassverwalter für Pekos Erbe einsetzen.
„Ihr Wunsch ist mir natürlich Befehl“, versuchte sich Dobbertin in forschem Selbstbewusstsein. „Noch keine direkten Verwandten aufgetan?“
„Nein. Es soll da eine Ex-Freundin geben, die mehr wissen könnte, aber die scheint in Urlaub zu sein, wir finden sie nicht.“
Dobbertin und Lene waren beide erleichtert, als sie gehen konnte. Tine hatte auch ohne Dobbertins Hilfe von der Bank alle nötigen Auskünfte bekommen. Das Geld stammte aus einem Lottogewinn und von einem Gewinn-Los in der Südwestdeutschen Klassenlotterie. Mithilfe eines seriösen Maklers hatte Peko mit dem Geld Container gekauft – die Firma hatte noch nicht Insolvenz angemeldet – und Anteile an einer Berliner Immobilienfirma erworben. „Absolut sauberes Geld, Chefin.“
„Prima, Tine; dann versuche doch bitte einmal, eine Ex-Freundin Pekos zu finden … Nein, leider keine Ahnung, wie sie heißen kann. Außerdem brauchen wir unbedingt Freunde und Bekannte Pekos, die uns etwas über ihn erzählen können.“
„Dann bin ich ja gut beschäftigt, Chefin.“
„Denke ich auch, vor allem eine Dobbbertinfreie Tätigkeit.“
Tine schluckte.
Annika Stierle wunderte sich, als sich Lene selbst zum Kaffee einlud, versprach aber, ihren leicht zerstreuten Göttergatten notfalls gewaltsam an den Kaffeetisch zu schleifen.
„Yoghurt-Kirschtorte mit Anissahne?“
„Mit Vergnügen, Annika.“
Fünftes Kapitel
Harald Stierle versuchte gar nicht erst, den Harmlosen zu spielen:
„Natürlich möchte Yvonne Dubois endlich herausbekommen, was damals zu der Stillen Migration geführt hat. Du weißt, welche Probleme die hohe Geburtenrate vielen afrikanischen Staaten bereitet?“
„Natürlich.“
„Yvonne hat bei ihren Recherchen nach Ende der großen Dürre festgestellt, dass in manchen Regionen die Geburtenrate signifikant gesunken ist, aus denen besonders viele Menschen aus bis jetzt unerklärlichen Gründen abgewandert sind.“
„Als Folge der Dürre?“
„Das hat sicher eine Rolle gespielt. Aber welche?“ Stierle musterte Lene amüsiert: „Vergiss die auf der Hand liegenden Gründe, regionale Seuchen und Epidemien, Kriege, Unwetter und dergleichen. Das hat Yvonne schon vor Jahren immer wieder geprüft. Aber sie hat erst vor Kurzem erfahren, dass ihre Recherchereise nach der großen Dürre vom französischen Außenministerium finanziert und bei den lokalen Behörden der Sahelstaaten organisiert worden ist, wahrscheinlich, damit sie als harmlose Doktorandin ahnungslos etwas untersuchte, woran die Pariser Politik zwar höchst interessiert war, das aber nicht zugeben wollte.“
„Ohne es ihr mitzuteilen?“
„Natürlich, Yvonnes Ahnungslosigkeit war doch die beste Tarnung, die sich Paris ausdenken konnte.“
„Und? Bist du dahintergekommen, was die französische Politik auf diesem Wege erfahren wollte?“
„Nein, noch nicht. Das wird, wenn überhaupt, auch noch etwas dauern. Stell dir mal vor, du gehst wegen undefinierbarer Beschwerden, Schlappheit und Müdigkeit zum Arzt und der soll nun den Grund herausfinden, kann und will aber aus Höflichkeit nicht fragen, ob du deine Leber nicht mit zu viel Rotwein verfettest. Deine Blutwerte sind alle in Ordnung, Darm- und Magenspiegelung haben nichts ergeben, keine Nieren- oder Gallensteine. Zähne, Augen in Ordnung, nun muss der arme Mann im weißen Kittel aus deinen wirren Erzählungen etwas herausfischen, was auf die Ursache deiner merkwürdigen Beschwerden hindeuten könnte.“
„Dafür wird er bezahlt.“
„Richtig, was aber, wenn es deine Beschwerden gar nicht gibt, sondern die meisten unter deinem Schädeldach entstehen und nur dort existieren?“
Lene wusste, dass man leicht in der Psychiatrie landen konnte, wenn die Ärzte mit ihrem Schulmedizin-Latein am Ende waren.
„Yvonne ist keine Medizinerin?“
„Nein, ihr Vater hat Tropenmedizin gelehrt. Seit Madame Yvonne ihre Arbeiten zu