In all den Jahren. Barbara Leciejewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Barbara Leciejewski
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783862823727
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dies und das, angeregte Gespräche, aber niemals zu persönlich.

      Keiner von denen hätte ausgelassen mit mir zusammen darüber gejubelt, dass ich meine erste Synchronhauptrolle ergattert hatte.

      Da stand ich nun mit meinem Triumph vor einem Tengelmann, bereit, die teuerste Flasche Wein zu erstehen, die sie dort hatten, vielleicht sogar zwei, nur leider machte das so gar keinen Spaß mit der Aussicht, sie alleine trinken zu müssen. Das war so traurig, fand ich, alleine zu trinken. Das machte man nur, wenn man depressiv war oder ein Säufer. Und alleine mit sich selbst auf einen Erfolg anstoßen, war nicht besser. Es schmälerte den Erfolg sogar irgendwie, gab ihm einen schalen Geschmack.

      Mir fiel ein, dass ich kein Brot mehr daheim hatte, also betrat ich den Laden trotzdem, kaufte Brot, Toilettenpapier und Nussschokolade. Keinen Wein. Es war idiotisch.

      Ich machte, dass ich nach Hause kam.

      So war es oft: Ein kurzes Hochgefühl verwandelte sich so schnell in Ernüchterung, wie man brauchte, um mit den Fingern zu schnippen. Zack! Da war ich wieder auf der Erde, wo ich hingehörte. Ich hatte eine Hauptrolle, eine nette Altbauwohnung im Glockenbachviertel, Nussschokolade und konnte das Wort Kiosk aussprechen, ohne Menschen dabei Nervenzusammenbrüche zuzufügen, was wollte ich denn noch?

      Warum schleppte ich sogar an guten Tagen immer dieses Miesepeter-Gefühl mit mir herum? Warum war ich so eine blöde Kuh?

      Warum konnte ich nicht einfach ganz locker meinem neuen Nachbarn ein Handtuch reichen, mit dem er sein entblößtes Genital bedecken konnte, oder besser noch einen Bademantel?

      Warum konnte ich nicht einfach den mir aufgedrängten Kaffee nehmen und mich dann souverän verdrücken, anstatt mir ein Gespräch oder vielmehr einen Monolog aufzwingen zu lassen?

      Warum konnte ich nicht einfach eine Flasche Wein kaufen, mir eine Pizza bestellen und den Abend genießen? Einfach so. Warum tat ich nie, was ich wirklich wollte?

      Ich sollte meine Eltern anrufen und sie fragen, was sie bei mir falsch gemacht hatten. Ich meine, außer meinen älteren Bruder entscheiden zu lassen, welchen Namen ich bekommen sollte. Der war damals in der ersten Klasse und kannte aus seiner Fibel Hans, Heiner und Elsa. Elsa! So sollte ich heißen, meinte er und bestand darauf mit der Entschlossenheit eines Sechsjährigen, nachdem meine Eltern ihm nun einmal den Freibrief dazu erteilt hatten. Elsa! Kein schönes Schicksal!

      „Griaß Gott, Frolein Frank!“

      Die dicke, nervige Nachbarin aus dem vierten Stock, Frau Obermoser, grüßte mich, und ich stellte fest, dass ich mich bereits im Durchgang zu unserem Haus befand. Rasch versuchte ich, aus meinen trüben Gedanken wieder ins Hier und Jetzt zurückzukehren, grüßte ebenfalls und vergaß sogar, mich innerlich darüber aufzuregen, dass sie mich mal wieder ‚Fräulein’ genannt hatte.

      „Sangs amol“, setzte Frau Obermoser an, und ich befürchtete ein längeres Gespräch, zu dem mir jegliche Lust fehlte.

      „Kenna Sie den neie Nachborn scho?“ Sie legte den Kopf etwas schief, als erwartete sie von mir zu hören: ‚Ja, das ist doch dieser gefährliche Massenmörder, wissen Sie das nicht?’ Doch ich sagte nur: „Nicht wirklich, nur vom Sehen.“

      „Aha!“, sagte sie und nickte, als hätte ich gerade gesagt: ‚Ja, das ist doch dieser gefährliche Massenmörder, wissen Sie das nicht?‘

      Ich wollte schon weitergehen, da rief sie hinter mir her: „Der spuilt scho den gonzn Ownd Trumbet, wann er bis achte ned afherd, konner wos erlem.“

      Ich sah auf die Uhr. Es war gerade mal halb sieben, wo war das Problem? Doch es wunderte mich, dass Finn Trompete spielen sollte. Ich besann mich darauf, was ich in meinem Beruf gelernt hatte und gab meinem Gesicht einen Ausdruck, der zwischen Verständnis und Bedauern jede Interpretation offen ließ. Ich hoffte, dass es damit getan war, und begab mich in den Vorraum unseres Treppenhauses, wo ich in meinen Briefkasten schaute.

      „I moan, des is a ganz a Windiger“, tönte es hinter mir. Die Obermoserin verfolgte mich. Vielleicht erhoffte sie sich in mir eine Verbündete, denn ich wohnte genau neben Finn und sie genau unter ihm, aber damit konnte ich nicht dienen. Wenn ich mich auf der Welt mit jemandem nicht verbünden würde, dann war es diese bayrische Granatwachtel, die mich mit Fräulein anredete, täglich ein Stück Fleisch für ihren Franzl auf den Tisch bringen musste („des braucht’s scho“), in alles ihre Nase steckte, als wäre sie die Aufseherin des Hauses („Sie, so geht des fei ned“), und in ihrem Wohnzimmer ein Bild von Franz Josef Strauß hängen hatte („Des worn noch Zeitn.“)

      Ich holte eine Theaterzeitung, die ich abonniert hatte, aus dem Briefkasten und sagte: „Wie gesagt, ich kenne ihn nicht. Schönen Abend noch, Frau Obermoser!“

      Ich schenkte ihr ein kurzes, abschließendes Lächeln und rauschte betont geschäftig zur Treppe. Ich konnte sicher sein, dass sie mich dort nicht mehr einholen würde, denn ich hatte einige Zentner weniger die Stufen hinaufzuwuchten als sie.

      Allerdings war ich trotz meines Fliegengewichts – in Relation zur Obermoserin – restlos außer Puste, als ich endlich im fünften Stock vor meiner Wohnung ankam. Ich sollte mehr Sport treiben, dachte ich, ohne es tatsächlich so zu meinen. Wie immer musste ich erst einmal in meiner viel zu großen und viel zu unordentlichen Handtasche nach meinem Schlüssel kramen. Aus der Nachbarwohnung drang Musik, aber es war keine Trompete, wie die Nachbarin behauptet hatte, für deren Ohren sicher jedes Blasinstrument gleich klang und die wahrscheinlich auch nichts anderes kannte. Nein, es waren eindeutig die weichen, schnurrenden Töne eines Saxophons, die den Weg zu mir nach draußen fanden. Ich hielt inne und lauschte, was er da spielte, falls er es war. Oder war es doch eine Platte? Ob ich es in meiner Wohnung wohl noch hören konnte? Die dicken Wände des Altbaus waren normalerweise ziemlich geräuschresistent. Zum ersten Mal bedauerte ich das. Die Musik brach ab. Dann nach ein paar Sekunden ging es weiter. Ein anderes Lied. The Rose. The Rose auf einem Saxophon. Ich wollte auf dem Flur übernachten, direkt vor der Tür, aus der die Musik kam, und die ganze Nacht zuhören.

      Ich fand meine Schlüssel, sperrte auf und ging in meine Wohnung.

      Innen hörte man kaum noch etwas, wie ich schon vermutet hatte. Wieso regte sich die alte Schreckschraube dann so auf? Sollte sie doch ihr billiges Fleisch in die Pfanne hauen, das Brutzeln und Spritzen würde schon alles übertönen.

      Ab und zu drückte ich mein Ohr an die Wand, um zu hören, ob noch etwas zu hören war, und kam mir dämlich dabei vor. Aber es sah mich ja keiner. Und es wusste auch keiner, welches Bild in meiner Vorstellung erschien, wenn ich die Augen schloss: Finn, nackt auf einem Sofa und dabei The Rose auf dem Saxophon spielend. Hätte ich doch nur den verdammten Wein gekauft, dachte ich, ich könnte mich auf diese Weise ins Delirium träumen.

      Ich schaffte es auch so. Der lange Tag und die schlechte Luft im Studio hatten mich so müde gemacht, dass ich vollkommen angekleidet auf meinem Bett einschlief, sobald ich mich darauf niederließ.

      Zwei Stunden später wachte ich wieder auf. Im Zimmer war es inzwischen fast dunkel, die Kleider engten mich unbequem ein und ich war völlig kaputt. Als ich das Gekeife vor der Tür hörte, wurde mir klar, was mich geweckt hatte.

      Frau Obermoser schimpfte mit durchdringender Stimme und machte damit wahr, was sie unten vorm Haus angekündigt hatte: „Do konner was erlem.“ Finn erlebte also gerade ein Donnerwetter vom Feinsten.

      Ich rappelte mich auf und versuchte zu verstehen, was Frau Obermoser alles im Köcher hatte, doch ihre Stimme überschlug sich und war so schrill und bairisch, dass das unmöglich war. Von Finn hörte man nichts.

      Ich mochte normalerweise ein eher introvertierter, vielleicht sogar ein wenig verklemmter, mit Sicherheit aber harmoniebedürftiger Mensch sein, doch das alles war vergessen, wenn ich gewaltsam und ohne Not aus dem Schlaf geholt wurde.

      Es war mir in diesem Moment egal, ob mein Make-up verschmiert war, meine Augen verquollen und meine kurzen Haare in alle Richtungen abstanden. Ich riss die Tür auf und sagte laut und empört: „Was ist denn hier los?“

      Frau Obermoser schrak zusammen und sah mich mit großen Augen an, doch sie fasste