Kein Wort wird er sagen. Er ist ganz einfach der Marshal.
Der Weg beschreibt einen Bogen um den Berg herum und fällt dann steil ab. Bills Stiefel rutschen plötzlich. Er will sich an der Wand festhalten, aber sie ist hier so glatt, dass er nirgends zugreifen kann. Die Zügel gleiten durch seine froststarren Finger. Hinter sich hört er das Wiehern, während er fällt und immer schneller wird. Er denkt, dass das sein Ende sein muss, als er hart gegen etwas schrammt und benommen liegenbleibt.
Die eisige Kälte und der Schnee, der vom Wind über den Kragen und unter sein Halstuch gewirbelt wird, bringen ihn schnell in die Wirklichkeit zurück. Er richtet sich an der Wand auf und sieht, dass der abfallende Weg gegen den Felsen gelaufen ist und nun an diesem entlang nach links biegt.
Bill weiß, dass er eben unwahrscheinliches Glück hatte. Ausgerechnet hier läuft der Weg anders herum, als es meistens der Fall ist.
Er zittert noch nachträglich und versucht sich einzureden, dass es an der Kälte liegt. Da sieht er das erste Pferd vor sich auftauchen. Er greift nach den Zügeln und geht weiter. Irgendwie muss er es schaffen, muss er diese gnadenlose Einsamkeit hinter sich bringen.
*
Als es dunkel wird, sieht er zwei grünlich schillernde Lichter, die sich genau vor ihm langsam nach links und rechts bewegen.
Seine starre Hand tastet nach dem Colt und zieht ihn langsam aus dem Halfter.
Die Lichter bewegen sich immer noch hin und her. Plötzlich drängen die Pferde rückwärts. Ihr ängstliches Wiehern schallt in das leise Fauchen des eisigen Windes hinein.
Ein Knurren ist zu hören, ein kurzer, abgerissener Heulton, und plötzlich nähern sich die beiden grünlich schillernden Lichter sehr schnell.
Bills Arm zuckt im Rückstoß des Frontiercolts. Der rotgelbe Feuerblitz blendet ihn für zwei Sekunden. Vor ihm schlägt etwas in den Schnee. Er beugt sich vor und erkennt, dass es ein Wolf ist. Ein schmaler, langer Körper. Ein Tier, das der Hunger in die Nähe eines Menschen trieb.
In diesem Moment spürt Bill seinen eigenen Hunger. Er will das Pferd weiterziehen, aber es hat die Vorderläufe eingestemmt und wiehert. Da geht er vorwärts und stößt den Körper von der Felsleiste. Nun bringt er die Pferde weiter.
Die Stunden vergehen. Bill hält nicht an. Vielleicht würde er nie mehr aufwachen, wenn er sich irgendwo niederlegt und einschläft.
Er kommt in ein großes, blank gefegtes Tal. Vor sich sieht er Lichtschein durch die Nacht leuchten. Seine Schritte knirschen im Schnee, so kalt ist es. Er geht auf das Licht zu.
„Halt!", kommandiert eine Stimme, als er die Hütte fast erreicht hat.
Bill Jackson bleiibt stehen. Obwohl er die Drohung deutlich aus der Stimme heraushören konnte, ist er erleichtert. Dort in der Hütte ist Schutz vor der Kälte, vielleicht sogar Wärme. Und vielleicht auch etwas zu essen für ihn. Fünfzig Dollar des Geldes kann er sich bestimmt nehmen. Die hat ihm Tetley versprochen.
Eine Gestalt löst sich von der Hüttenwand. Bill erkennt, dass es ein Mann mit einem Gewehr unter dem Arm ist.
Da wird die Hüttentür aufgestoßen und eine zweite Gestalt taucht auf.
„Was ist, Wade?"
„Ein Fremder. Hast du einen Namen, Stranger?"
„Bill Jackson."
„Nie gehört, Wade."
„Ich auch nicht. Komm näher, Jackson; aber vorsichtig!"
Bill nähert sich. Als er im Lichtschein steht und die drei Pferde hinter ihm deutlich zu seihen sind, lacht der Mann mit dem Gewehr unter dem Arm.
„Das ist gut, Bide", sagt er. „Mindestens zwei Pferde hat der Stranger übrig. Davon können wir eine ganze Zeit leben. Pferdefleisch schmeckt gar nicht so schlecht, wie viele denken."
„Komm herein, Fellow", knurrt der Mann vor der Tür und tritt zur Seite. „Mach keinen Blödsinn. Wir sind drei gegen dich."
Als Bill in die Hütte hineinsehen kann, entdeckt er den dritten Mann. Der steht an der rückwärtigen Wand und hat seinen Colt halb aus dem Halfter gezogen.
Jackson lässt die Zügel los und geht in die Hütte hinein. Wohlige Wärme empfängt ihn. Er spürt den Atem des anderen Mannes im Nacken und geht bis zu dem roh gezimmerten Tisch weiter. Der Mann an der Wand ist wie ein Cowboy gekleidet. Er hat sehr helles Haar, ein scharfes Kinn und ebenso scharf blickende Augen.
„Wade, du kümmerst dich am besten gleich um den Braten", sagt der andere hinter ihm.
Jackson schlägt sich den Schnee von der Wolfsfelljacke und nimmt den Hut ab.
Der Mann geht um ihn herum. Er ist auch wie ein Cowboy gekleidet. Er hat lederne Chaps über die Levishose geschnallt. Große Messingknöpfe funkeln daran im Licht der trüben Lampe.
„Wir sind Texaner", sagt Bide. „Männer, die im Winter keinen Job haben. Vielleicht sagt dir das eine ganze Menge."
„Doch", meint Bill und nickt. Er denkt an die zwanzigtausend Dollar.
Draußen kracht ein Schuss. Ein dumpfer Fall ist zu hören.
„Du siehst hungrig aus, Jackson", stellt Bide fest. „In zwei Stunden gibt es einen saftigen Braten. Wade sagt immer, wir müssten auf jeden Fall genug Salz haben. Bei Pferdefleisch ist das doppelt wichtig. Setz dich!"
Bill zieht die Jacke aus und setzt sich am Tisch nieder.
Bide nimmt ihm die Jacke ab und hängt sie an einen langen, rostigen Nagel. Bill blickt hinüber. Dort steckt das Geld in der Tasche.
„Wir haben unsere Mannschaft in Abilene verlassen", redet Bide weiter. „In Arizona ist Gold gefunden worden."
„Ich hörte schon vor einem Jahr davon."
„Wir dachten, wir kämen noch vor dem Winter über die Berge. Manchmal täuscht man sich eben. Wir sind schon drei Wochen hier. Bist du über Central City gekommen?"
„Ja."
„Wir auch. Der Weg weiter nach Westen ist zugeschneit. Im Canyon steht eine Schneemauer, die ihre vier Meter hoch ist."
„Wirklich?", fragt Bill mürrisch, und er denkt wieder daran, dass er unter solchen Umständen in Central City doch besser aufgehoben gewesen wäre. Die Pferde, die nun hier geschlachtet werden, hätte er dort verkaufen können.
„Du kommst nicht durch, Jackson. Wohin willst du denn?"
„Nach Hassel Junction. Schon mal gehört?"
Bide blickt den anderen Cowboy an der Wand an. Der schüttelt den Kopf.
„Ist uns unbekannt", meint Bide. „Willst du dort was Bestimmtes, dass du bei dem Wetter ..."
„Nein, ich suche einen Job. Es soll dort einen mächtigen Rancher geben."
Bide stößt ein raues, wildes Lachen aus. Der andere fällt ein.
„Du bist verrückt, und wahrscheinlich bist du auch kein Cowboy. Sonst müsstest du wissen, dass kein Großrancher einen Mann mitten im Winter auf seine Lohnliste setzt. Sie sind alle Halunken. Ob du im Winter vor die Hunde gehst oder nicht, interessiert sie einen Dreck! Im Frühjahr finden sie stets genug Leute, die bereit sind, für einen Hungerlohn die knochenbrechende Arbeit zu machen."
„Ich glaube, er lügt, Bide."
„Meinst du, Neal?"
„Ja. Er sieht mir nicht dumm genug aus, als dass er dies nicht selbst wüsste, Bide."
Bill fragt sich, was passieren wird, wenn die