Auch Burkhard Ellegast stellt in seinem Buch „Der Weg des Raben” die Frage:
„Muss es immer Kriege geben und das damit verbundene Blutvergiessen? Ist die Lage aussichtslos? Wiederholt sich das Drama ständig neu?”
Dazu noch ein Zitat aus dem Buch „Was ich glaube” von Hans Küng:
„Alller frommen Apologetik zum Trotz ist nüchtern einzugestehen: Wer als Theologe an diesem Punkt hinter das Geheimnis, welches das Geheimnis Gottes selbst ist, kommen möchte, findet dort bestenfalls seine eigenen Wunschprojektionen oder sein eigenes theologisches Konstrukt. Angemessener schiene mir an diesem äussersten Punkt, bei dieser schwierigsten Frage eine Theologie des Schweigens.”
Bei aller Ehrfurcht – irgend etwas will da nicht mit unserer Vorstellung vom allmächtigen „lieben Gott“ übereinstimmen. Auf seine Hilfe ist kein Verlass. Und wenn es eine gibt, dann ist sie ungleich, ja ungerecht verteilt. Zwischen seiner Allmacht, seiner biblischen Liebe und Güte einerseits und den irdischen Tatsachen andererseits klafft ein grosser Widerspruch. Es wäre offensichtlich unzureichend, sich bei der Lösung der anstehenden grossen Weltprobleme auf die Hilfe Gottes zu verlassen.
2 Die Sache mit dem Lieben Gott
In der „Fachsprache” würde man hier wahrscheinlich von „Theodizee” sprechen. Im Duden lautet die Definition des Begriffs Theodizee wie folgt:
„Rechtfertigung Gottes hinsichtlich des von ihm in der Welt zugelassenen Übels und Bösen, das mit dem Glauben an seine Allmacht, Weisheit und Güte in Einklang zu bringen gesucht wird.”
Nach all dem oben Gesagten fragen wir uns: Gibt es vielleicht gar keinen Gott? Ist die Welt mit ihrem ganzen Zubehör auf irgendeine, vielleicht zufällige Weise entstanden? Sind wir an den Zuständen auf der Welt selber schuld? Ja, das könnte so sein; ich könnte das Gegenteil nicht beweisen. Auf der Suche nach Antworten müssen wir vielleicht etwas ausholen.
Der Biochemiker Prof. Dr. Gottfried Schatz legt in einem bemerkenswerten Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung vom 20. Dezember 2014 dar, wie das Leben im Rahmen der kosmischen Entwicklungen entstanden sein könnte. Was die Situation vor dem Urknall angeht, schreibt er:
„Vor dem Urknall steht ein Fragezeichen, das sich der Wissenschaft entzieht. Wer in diesem Fragezeichen einen göttlichen Schöpfer sieht, hat das Fragezeichen für sich beantwortet. Mir jedoch genügt das Fragezeichen.“
Das ist die Antwort eines Wissenschaftlers, aus welcher Bescheidenheit und Demut vor der Grösse der Natur, des Weltalls und allem damit Zusammenhängenden spricht – und zugleich Respekt vor anderen Ansichten.
Wenn ich in einer klaren Nacht zum Sternenhimmel hinaufschaue und versuche, mir die ungeheuren Dimensionen des Weltalls vorzustellen, sein Werden und sein Vergehen, wenn ich dann an den Mikrokosmos denke bis zu den Teilen eines Atoms hinab, dann will mir die Vorstellung der zufälligen Entstehung des Universums nicht mehr recht einleuchten. Da steckt zu viel „System“ dahinter. Die Entstehung des Kosmos, seine Funktionsweise und seine Weiterentwicklung, die „unglaubliche“ Formen- und Farbenvielfalt der Lebewesen, ihre Lebensvielfalt, all das sind Dinge, die ich mir nicht als Zufallsprodukte vorstellen kann, denn jedes einzelne dieser Wesen ist ein vollkommen sinnreich konstruiertes, fehlerfreies System, das wiederum in einem Gesamtsystem von höchster Vollkommenheit seinen Platz hat. Zufall funktioniert anders, chaotisch. Deshalb ziehe ich auch die Theorie von Prof. Schatz über das zufällige Entstehen des Lebens in Zweifel, denn dieser Zufall wäre ein ausserordentlich unwahrscheinlicher, weil das Ergebnis ein ausserordentlich komplexes und zugleich perfektes ist. Mit jeder Zunahme der Unwahrscheinlichkeit dieser Zufälligkeit automatisch verbunden ist die Zunahme der Wahrscheinlichkeit, dass es anders, nicht zufällig geschehen sein könnte.
Was für ein ausgeklügeltes System unsere Natur ist, zeigt sich immer dann am deutlichsten, wenn menschliche Eingriffe ein Ungleichgewicht verursachen. Ich komme daher nicht um die Vorstellung einer ungeheuren, unvorstellbaren Macht herum, denn wie könnte es ohne eine solche alles das geben, was es gibt? Ich gebe zu, die „Vorstellung von etwas Unvorstellbarem“ ist ein Widerspruch, aber es fällt mir kein passenderer Begriff ein. Solche Widersprüche sind charakteristisch für die Frage, vor der wir stehen.
Nur ein kleiner Nebengedanke: Die Meeresfauna – da gibt es eine dermassen unglaubliche Vielfalt an Formen und Farben, dass ich mich manchmal frage, ob da nicht jemand Freude gehabt haben könnte, eine so vielgestaltige, phantasievolle Welt zu erschaffen? Und dann gibt es einen Fixstern Namens Beteigeuze im Sternbild Orion. Dieser hat einen Durchmesser von etwa einer Milliarde Kilometern, was etwa der 3000fachen Distanz Erde - Mond entspricht oder einem Volumen unseres Sonnensysems von der Sonne bis und mit Jupiter. Als Gegensatz dazu stellen wir uns das Wunder der Schneeflocken vor, von denen jede einzelne ihre eigene Form besitzt. Oder jene lästigen, winzigen Mücken, die im Sommer und Herbst unsere Küchen als unerwünschte Gäste heimsuchen. Obwohl wenig grösser als einen Millimeter, sind sie ein komplexes und vor allem perfektes System, das alle jene Organe enthält, die ihr Mückenleben ermöglichen. Sie können offenbar sehen, nehmen Luftdruck wahr, essen, verdauen, vermehren sich und – können fliegen! Ihr Schöpfer war unsern Wissenschaftlern in Sachen Nanotechnologie schon vor Millionen Jahren weit voraus. Zudem ist es der Natur immer gelungen, die Anforderungen der Funktion in eine perfekte Form zu bringen, ein Anliegen, um das unsere Architekten oft erfolglos ringen. Die lange Zeit, über die hinweg sich dieses Universum entwickelt haben soll, reicht mir nicht als Erklärung. Uns bleibt nur das Staunen.
Aber wie ist diese Perfektion mit den Feststellungen in Kapitel 1 auf einen Nenner zu bringen?
Ich habe nie aufgehört, die Existenz einer göttlichen Allmacht, der alles sein Werden und Vergehen zu verdanken oder – neutraler ausgedrückt - zuzuschreiben hat, für sehr wahrscheinlich zu halten. Ob man sie nun Gott, Manitou, Huitzilipochtli, Jehova oder Allah nennt, erscheint mir nebensächlich. Im frühen Christentum stellte man sich Gott als weisen, älteren Herrn mit weissem Bart vor und hielt diese Vorstellung in vielen Gemälden fest. Und so wie man sein Äusseres vermenschlichte, hat man menschliche Vorstellungen in seine Handlungsweise, seine „Denkweise“ hineinprojiziert. Man tut es noch heute; vermutlich können wir nicht anders. Er muss barmherzig sein, muss uns helfen, wenn wir in Not sind, sonst erfüllt er seine - ihm von uns zugedachten - Pflichten nicht (Thürkauf: „Gottes Treue ist bedingungslos…”). Und er muss unsere Massstäbe hinsichtlich Gerechtigkeit anwenden, sonst ist er kein gerechter Gott. Die offensichtliche Diskrepanz zwischen der Idealvorstellung dieses gerechten, liebenden Gottes und der Wirklichkeit hat in den christlichen Religionen vermutlich zu Einrichtungen wie Himmel und Hölle, Teufel, Fegefeuer und jüngstes Gericht geführt, denn irgendwie muss das Ganze ja einleuchten, und irgendwann einmal muss Gerechtigkeit geschaffen werden. Das ist eine simple Logik. Doch sie geht nicht auf.
Die Menschen