Die vom römischen Papst ausgerufenen Kreuzzüge gegen die südfranzösischen Ketzer und die Hexenverbrennungen finden keinerlei
Legitimation in den Schriften der Christlichen Bibel, wohl aber im Gottesbild des Alten Testamentes. Sich einer anderen Religion, d.h. einem anderen Gottesbild zuzuwenden hat Steinigung zur Folge. Der Freund muss den Freund, der Gatte die Gattin denunzieren: Wenn dich dein Bruder, deiner Mutter Sohn, oder dein Sohn oder deine Tochter oder deine Frau in deinen Armen oder dein Freund, der dir so lieb ist wie dein Leben, heimlich überreden würde und sagen: Lass uns hingehen und andern Göttern dienen, die du nicht kennst noch deine Väter, von den Göttern der Völker, die um euch her sind, sie seien dir nah oder fern, von einem Ende der Erde bis ans andere, so willige nicht ein und gehorche ihm nicht. Auch soll dein Auge ihn nicht schonen, und du sollst dich seiner nicht erbarmen und seine Schuld nicht verheimlichen, sondern sollst ihn zu Tode bringen. Deine Hand soll die erste wider ihn sein, ihn zu töten, und danach die Hand des ganzen Volks. Man soll ihn zu Tode steinigen, denn er hat dich abbringen wollen von dem Herrn, deinem Gott, der dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt hat, auf dass ganz Israel aufhorche und sich fürchte und man nicht mehr solch Böses tue unter euch (5 Mos 13, 7-12; Luther 84).
Die Zauberinnen sollst du nicht am Leben lassen. Wer einem Vieh beiwohnt, der soll des Todes sterben. Wer den Göttern opfert und nicht dem Herrn allein, der soll dem Bann verfallen (2 Mos 20. 17 ff Luther 84). Wer seinem Vater oder seiner Mutter flucht, der soll des Todes sterben. … Wenn jemand die Ehe bricht mit der Frau seines Nächsten, so sollen beide des Todes sterben (3 Mos 20, 8 f Luther 84). Wenn jemand bei einem Mann liegt wie bei einer Frau, so haben sie getan, was ein Gräuel ist, und sollen beide des Todes sterben (3 Mos 20, 13 Luther 84). Wenn ein Mann oder eine Frau Geister beschwören oder Zeichen deuten kann, so sollen sie des Todes sterben; man soll sie steinigen, ihre Blutschuld komme über sie (3 Mos 20, 27 Luther 84).
Auch die Psalmen, unter denen sich viele herrliche Stücke wie z.B. Ps 23, 27, 91 und viele andere finden, sind nicht alle erhebend. So heißt es in Psalm 149: Der Herr hat Wohlgefallen an seinem Volk… Die Heiligen sollen fröhlich sein… Ihr Mund soll Gott erheben; sie sollen scharfe Schwerter in ihren Händen halten, dass sie Vergeltung üben unter den Heiden, Strafe unter den Völkern, ihre Könige zu binden mit Ketten und ihre Edlen mit eisernen Fesseln, dass sie an ihnen vollziehen das Gericht, wie geschrieben ist. Solche Ehren werden alle seine Heiligen haben. Halleluja!
In den Fluchpsalmen Ps 69, Ps 109 und Ps 137 werden schreckliche Wünsche ausgesprochen wie: An den Wassern Babylons saßen wir und weinten. … Tochter Babel, du Verwüsterin, wohl dem, der dir vergilt, was du uns angetan hast! Wohl dem, der deine jungen Kinder nimmt und sie am Felsen zerschmettert! (Ps 137 Luther 84)
Die Bibel des Alten Testaments und des Neuen Testaments hat ihren Mittelpunkt in Jesus Christus als der Mitte der Zeiten. … Dabei darf nicht übersehen werden, dass das Alte Testament eine eigenständige Gottesoffenbarung enthält, die durch Christus anerkannt und aufgenommen und
bestätigt worden ist (Calwer 160). Letztere Behauptung stimmt absolut nicht. Das Gottesbild der Jüdischen Bibel ist mit dem der Christlichen Bibel in keiner Weise vereinbar. Jesus sprach selbst davon, dass seine Lehre als skandalös empfunden werden könnte (Mt 11, 6). Als gotteslästerlich wurde sie sowieso ausgelegt, was denn auch zu seiner Hinrichtung führte.
Besonders das Matthäus-Evangelium, das sich bekanntlich an die Juden richtet, stellt gleich zu Anfang viele Unterschiede deutlich heraus. Schon in der Bergpredigt (Mt 5) sagt Jesus sechs Mal: Ihr habt gehört … Ich aber sage euch. Auch widerspricht er der im Alten Testament oftmals geforderten Steinigung (Joh 8, 3 ff).
Sicher überliefert ist auch, dass Jesus oftmals am Sabbat heilte, was nach dem Gebot in der Thora mit dem Tode bestraft werden sollte (2 Mos 31, 14 f). Allgemein als echt anerkannt wird die Bemerkung Jesu dazu: Der Sabbat wurde für den Menschen gemacht, nicht der Mensch für den Sabbat (Mk 2, 27). An die Kolosser schreibt Paulus: Keiner soll euch kritisieren beim Essen oder Trinken oder wegen eines Feiertags, eines Neumondes oder Sabbats. All das ist ein Schatten der zukünftigen Dinge, das Substantielle gehört zum Christus (Kol 2, 16 f).
Auch die Tieropfer finden sich nicht mehr: Denn es ist unmöglich, dass das Blut von Stieren und Böcken die Sünden wegnimmt (Hebr 10, 4).
Jesus der Christus bezeichnet alle, die vor ihm gekommen waren, als Diebe und Raubmörder. … Ich bin die Tür, wenn jemand durch mich hineingeht, wird er errettet werden (Joh 10, 8 f). Der Weg zu Gott führt nur über seinen Christus, keineswegs über die Werkgerechtigkeit nach jüdischer Lehre: Weh euch Pharisäern! Denn ihr gebt den Zehnten von Minze und Raute und von jedem einzelnen Kohlkopf. Aber am entscheidenden Punkt, nämlich der Liebe Gottes, daran geht ihr vorbei. Aber nein: das hier hätte man tun und jenes dort nicht unterlassen sollen. … Weh euch Schriftgelehrten! Denn ihr ladet den Menschen Lasten auf, die kaum zu tragen sind. Und ihr selbst rührt sie mit keinem Finger an. … Weh euch Theologen! Denn ihr habt den Schlüssel der Erkenntnis fortgenommen. Selbst seid ihr nicht eingetreten, und die eintreten wollten, habt ihr daran gehindert (Lk 11, 42-52).
Der jüdische Gelehrte Ben Chorin bemerkt dazu: Die Pharisäer bildeten die Partei der Schriftgelehrten. … Ihr Streben war die Einheiligung des ganzen Lebens, das in Gesetz und Brauch dem geoffenbarten Willen Gottes unterstellt werden sollte. Nichts lag außerhalb dieser einzuheiligenden Sphäre: Essen und Trinken, Arbeit und Ruhe, Geschlechtsleben und Hygiene, Kleidung und Haartracht, und nichts war zu gering, um nicht mit letztem Ernst in den Dienst Gottes mit hineingenommen zu werden. Damit wurden die Pharisäer … zu den geistigen Vätern der späteren jüdischen Orthodoxie.
Wir können an der Realität und Problematik der heutigen jüdischen Orthodoxie die Pharisäer des Neuen Testamentes wie in einem Spiegel erkennen. Tiefer Ernst, bedingungslose Hingabe an das Gesetz Gottes, minutiöse Pflichttreue gegenüber diesem Gesetz zeichnen die Enkel der Pharisäer noch heute aus.
Andererseits sehen wir bei ihnen die Gefahren einer Entartung, von der das Neue Testament fast ausschließlich spricht. Diese Entartung besteht darin, dass der Gläubige in einen Panzer von 613 Geboten und Verboten eingeschnürt wird, so dass der Regung des lebendigen Glaubens nicht mehr der nötige Raum gegeben ist (Ben Chorin, Jesus 17 f).
Der christliche »neue Weg zu GOTT« geht von einem völlig neuen Gottesbild aus. Aus dem alttestamentlichen »HERRN« ist der liebende »Vater« geworden, im philosophischen Sinne also das schöpferische Prinzip, das zugleich Leben und Liebe ist. Als Geist ist dieser Vater und Schöpfer unendlich, allgegenwärtig. Er ist uns immer nah, untrennbar mit uns verbunden wie die Lichtquelle mit dem Licht. Unsere einzige Aufgabe ist es, sich dies bewusst zu machen. Falsche Gottesbilder führen in die Irre. Sie sollen Gott suchen, ob sie ihn fassen und ihn finden können, ihn, der ja nicht weit entfernt von jedem einzelnen von uns ist. Denn in ihm leben wir, in ihm bewegen wir uns, und in ihm sind wir, wie es auch einige von den Dichtern bei euch ausgesprochen haben: “Denn wir stammen von ihm“ (Apg 17, 27 f).
Gott ist nicht mehr der Verborgene, der im Dunkeln wohnt. Matthäus berichtet vom Tode Jesu und schreibt: Und siehe, der Vorhang des Tempels riss entzwei von oben bis unten (Mt 27, 51). Wohl kein historischer Vorgang, wohl eher sinnbildlich gemeint: Die neue Lehre verkündet, dass jeder Mensch freien Zutritt zu Gott hat (Eph 3, 11 f). Gott wohnt im Licht: Und die Botschaft, die wir von ihm gehört haben, besteht in folgendem: Gott ist Licht und in ihm ist keinerlei