Inselabenteuer. Von Schatzsuchern und Gestrandeten. Jonathan Swift. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jonathan Swift
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783958555181
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gemacht hatte.

      Ich stellte meinem Herrn so gut wie möglich den ganzen Zustand von Europa dar; ich sprach von Handel und Manufakturen, von Künsten und Wissenschaften, und die Antworten, die ich ihm auf alle Fragen gab, die sich bei den verschiedenen Gegenständen darboten, lieferten unerschöpflichen Gesprächsstoff. Ich werde hier jedoch nur die Hauptsache davon niederschreiben, was mein Vaterland betrifft, indem ich es so gut wie möglich ordne, wobei ich jedoch auf Zeit und andere Umstände wenig Rücksicht nehme und mich nur streng an die Wahrheit halte. Es tut mir leid, daß ich kaum imstande sein werde, der Beweisführung und der Ausdrucksweise meines Herrn Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Beide müssen durch meine zu geringe Auffassungsgabe sowie auch durch die Übersetzung in unser barbarisches Englisch viel Nachteil erleiden.

      Mein Herr fragte mich dann, welche Beweggründe gewöhnlich dergleichen Kriege verursachten. Ich erwiderte, die Ursachen seien unzählig; ich würde nur einige der hauptsächlichsten erwähnen. Bisweilen würden Kriege durch Fürsten bewirkt, die glaubten, daß sie niemals Land und Leute genug zu beherrschen hätten; bisweilen auch durch die Verderbnis der Minister, die ihren Herrn in einen Krieg verwickelten, um das Geschrei der Untertanen über eine schlechte Regierung zu ersticken oder ihm eine andere Richtung zu geben; Verschiedenheit der Meinungen haben mehrere Millionen Leben gekostet, ob Fleisch Brot oder Brot Fleisch sei; ob der Saft einer gewissen Beere in Blut oder Wein bestehe; ob man das Pfeifen als Laster oder Tugend annehmen müsse; ob es besser sei, einen Pfahl zu küssen oder in das Feuer zu werfen; wie man sich am besten bekleiden müsse, schwarz, weiß, rot oder grau; ob der Rock lang oder kurz, eng oder weit, schmutzig oder reinlich sein solle. Auch seien keine Kriege so wütend und blutig und dauerten so lange wie die, welche durch Verschiedenheit der Meinungen erregt würden, besonders wenn die streitigen Gegenstände unbedeutend seien.

      Bisweilen entstehe der Streit zwischen zwei Fürsten, um zu entscheiden, welcher von ihnen einen dritten seiner Länder berauben solle, wobei jedoch keiner auf ein Recht Anspruch machen dürfe; bisweilen zanke der eine Fürst mit dem anderen, aus Besorgnis, dieser werde Streit mit ihm anfangen; bisweilen, weil er zu schwach sei; bisweilen, fuhr ich fort, wollen unsere Nachbarn etwas haben, was wir besitzen, oder sie besitzen die Dinge, die wir haben wollen, und dann kämpfen wir beide, bis sie unsere Dinge nehmen oder wir die ihrigen haben. Es ist eine leicht zu rechtfertigende Ursache des Krieges, ein Land anzugreifen, wenn das Volk durch Hungersnot geschwächt, durch Pest zerstört und durch bürgerlichen Parteikampf verwirrt ist. Es ist leicht zu rechtfertigen, wenn wir unsern nächsten Verbündeten den Krieg erklären, sobald eine seiner Städte für uns sich eignet oder wenn ein Landstrich eine solche Lage hat, daß er unsere Besitztümer abgerundet und zusammenhängend macht. Wenn ein Fürst seine Streitkräfte einer Nation sendet, deren Volk arm und unwissend ist, so darf er mit Recht die eine Hälfte töten und die andere zu Sklaven machen, um sie zu zivilisieren und sie von ihrer barbarischen Lebensweise abzubringen. Es ist ferner, im Fall ein Fürst die Hilfe eines anderen nachsucht, um sich vor fremdem Angriff zu retten, ein königliches, ehrenvolles und häufiges Verfahren, daß der Bundesgenosse, wenn er den angreifenden Feind vertrieben hat, das Land für sich selbst in Besitz nimmt und den erretteten Fürsten tötet, verhaftet oder verbannt. Verbindung durch Blutsverwandtschaft oder Ehe ist eine häufige Ursache zu Kriegen zwischen Fürsten, und je näher die Verwandtschaft ist, desto größer ist auch die Neigung zum Zwist. Arme Nationen sind hungrig, reiche sind stolz; Stolz und Hunger werden stets miteinander in Streit geraten. Deshalb wird das Handwerk eines Soldaten für das ehrenvollste von allen gehalten. Ein Soldat ist nämlich ein Yähu, der gemietet wird, so viele Individuen seiner Gattung wie möglich, die ihn nie beleidigt haben, mit kaltem Blute zu töten.

      Es gibt ferner eine Art bettelhafter Fürsten in Europa, die nicht selbst imstande sind, Kriege zu führen, und die deshalb ihre Truppen für einen bestimmten Sold an reichere Nationen vermieten. Davon behalten sie drei Viertel für sich selbst, und dies ist das beste Einkommen für ihren Unterhalt. Dergleichen gibt es in mehreren Teilen Europas.

      Mein Herr erwiderte: »Was Ihr mir über den Krieg gesagt habt, zeigt wirklich auf bewunderungswürdige Weise, daß ihr der Vernunft entbehrt, worauf ihr dennoch Anspruch macht; es scheint jedoch ein glücklicher Umstand, daß die Schande größer ist als die Gefahr und daß die Natur euch so gebildet hat, daß ihr nicht viel Unheil anrichten könnt. Da nämlich euer Mund flach im Gesicht liegt, so könnt ihr ohne gegenseitige Einwilligung einander nicht beißen. Eure Klauen ferner, an euren Vorder- und Hinterpfoten, sind so kurz und weich, daß einer unserer Yähus ein Dutzend der euren vor sich hertreiben kann. Berechne ich deshalb die Anzahl derjenigen, die Ihr als in einer Schlacht getötet anführtet, so muß ich glauben, daß Ihr etwas gesagt habt, was nicht existiert.«

      Ich konnte es nicht unterlassen, über seine Unwissenheit den Kopf zu schütteln und ein wenig zu lächeln. Da ich nun selbst mit der Kriegskunst nicht unbekannt war, gab ich ihm eine Beschreibung von Kanonen, Feldschlangen, Musketen, Karabinern, Kugeln, Pistolen, Pulver, Degen, Schlachten, Belagerungen, Rückzügen, Angriffen; Minen, Konterminen, Bombardements, Seeschlachten, Schiffen mit tausend Mann, die untergingen, zwanzigtausend Mann, die auf beiden Seiten fielen, dem Wimmern der Sterbenden, Gliedern, die in die Luft flögen; von Rauch, Lärm, Verwirrung, wie Menschen durch Pferdehufe zertreten würden, von Flucht, Verfolgung, Sieg; wie die Felder dann mit Leichen besät seien, die als Fraß für Wölfe, Hunde und Raubvögel liegenblieben; vom Plündern, Berauben, Notzüchten, Verbrennen und Zerstören.

      Um die Tapferkeit meiner teuern Landsleute darzulegen, fügte ich hinzu: Ich habe gesehen, wie sie hundert Feinde bei einer Belagerung auf einmal in die Luft sprengten und dieselbe Zahl auf einem Schiffe; die toten Körper seien zur großen Ergötzung der Zuschauer stückweise von den Wolken herabgefallen.

      Ich wollte noch mehr Einzelheiten hinzufügen, als mein Herr mir zu schweigen befahl. Er äußerte: Jeder, der mit der Natur des Yähu bekannt sei, werde bei einem so elenden Tiere alles, was ich gesagt habe, für möglich halten, wenn Körperkraft und List ihrer Bosheit gleichkämen. Während nun aber mein Vortrag seinen Abscheu gegen das ganze Geschlecht vermehrt habe, sei dadurch zugleich in seiner Seele ein störendes Gefühl entstanden, das er bis jetzt durchaus nicht gekannt habe. Er glaube, seine Ohren möchten sich allmählich an so schändliche Worte gewöhnen und sie dann auch mit geringerem Abscheu anhören; obgleich er die Yähu dieses Landes hasse, tadle er sie nicht mehr wegen ihrer Eigenschaften als einen Gnnayh (einen Raubvogel) wegen seiner Grausamkeit oder einen scharfen Stein, weil er seinen Huf ritze. Wenn aber ein Geschöpf, das Anspruch auf Vernunft erhebe, Fähigkeiten zu solchen Scheußlichkeiten besitze, so besorge er, die Verderbnis dieser Eigenschaften werde noch schlimmer sein als die bloße tierische Roheit. Er sei deshalb vollkommen überzeugt, daß wir anstatt der Vernunft nur irgendeine Eigenschaft besäßen, die sich dazu eigne, unsere natürlichen Laster zu vermehren, so wie der Widerschein einer gestörten Wasserfläche das Bild eines schlechtgebildeten Körpers nicht allein größer, sondern auch entstellt wiedergebe.

      Er fügte hinzu: Sowohl in dieser wie in anderen Unterhaltungen habe er schon zuviel über Krieg gehört. Jetzt könne er noch einen anderen Punkt nicht recht begreifen. Ich habe ihm gesagt, einige Matrosen meiner Mannschaft hätten ihr Vaterland verlassen, weil sie durch das Recht ruiniert seien. Ich habe ihm die Bedeutung des Wortes schon erklärt, er könne jedoch nicht begreifen, wie das Gesetz, das man doch zur Erhaltung aller bestimme, irgend jemand zugrunde richten könne. Deshalb wünsche er, ich möge ihm eine weitere Erklärung von dem geben, was ich unter Recht verstehe und welcher Art die Personen seien, durch deren Gesetzesanwendung das Eigentum anderer verlorenging, anstatt erhalten zu werden, und zwar nach dem gegenwärtigen Verfahren in meinem Vaterlande. Er glaube, Natur und Vernunft seien vernünftigen Tieren genügende Führer, und wir machten ja auf Vernunft sehr viel Anspruch. Beide zeigten uns, was wir tun und vermeiden müßten.