"Der Tag eurer Verlobung soll für euch unvergesslich sein", sagte die Fürstin. Und dabei legte sie ihre Hand auf die des Fürsten und setzte hinzu: "So, wie es bei uns auch der Fall gewesen ist, nicht wahr?"
Fürst Friedrich nickte leicht.
"Ja, du hast recht, Margarethe... Ich erinnere mich immer wieder gerne daran zurück. Du hattest ein entzückendes Kleid an... Aber ich muss sagen, dass du seitdem nur noch schöner geworden bist!"
"Du bist ein Schmeichler", erwiderte die Fürstin. Dann wandte sie sich an Susanne und fuhr fort: "Ich hoffe nicht, dass unser Sohn diese Eigenschaft geerbt hat!"
"Oh, wäre das wirklich das schlimmste Erbe?", entgegnete Susanne.
Fürstin Margarete hob die Augenbrauen.
"Nun, ich gebe zu, dass man manchmal ganz gerne eine liebevolle Übertreibung zu Ohren bekommt."
Johann servierte unterdessen den ersten Gang. Es war etwas Leichtes mit viel Salat - aber sehr kunstvoll arrangiert.
"Ich muss sagen, unser neuer Koch versteht sein Handwerk", sagte Fürst Friedrich recht angetan. Dann setzte er an Susanne gerichtet hinzu: "Sein Vorgänger diente siebenunddreißig Jahre lang dem Haus Eichenbach, bevor er sich in den verdienten Ruhestand zurückzog - und ich dachte schon, dass es unmöglich wäre, je einen geeigneten Nachfolger für ihn zu finden. Aber wie mir scheint, habe ich mich da geirrt..."
Das Gespräch plätscherte so dahin.
Susanne ertappte sich dabei, dass sie manchmal gar nicht hinhörte. Äußerlich versuchte sie den Anschein zu erwecken, mit den Gedanken dabei zu sein. Aber ihre Gedanken waren ganz woanders. Es waren immer dieselben quälenden Fragen, die sie bedrängten.
Sie waren bereits beim Dessert, als Christiane von Buchenberg-Selm den Raum betrat. Sie trug ein schlichtes dunkles Kleid ohne jeglichen Schmuck. Alle Augen waren auf sie gerichtet. Ein Lächeln erschien auf ihrem blassen Gesicht. Sie schien die Aufmerksamkeit, die sie im Augenblick bekam regelrecht zu genießen.
"Nun", fragte sie dann und stemmte dabei provozierend den Arm in die Hüfte, "hat man sich in diesem kleinen Kreis bereits darüber geeinigt, wie man mich loswerden will?"
Sie ging auf die Tafel zu, musterte alle Anwesenden kurz und sagte dann schneidend: "Das ist es doch, was ihr euch alle wünscht, dass die Wahrheit unter den Teppich gekehrt wird!"
"Was soll dieser Auftritt!", unterbrach nun der Fürst den Redefluss der Komtesse. "Das ist absolut unwürdig, Christiane. Du solltest..."
"...schweigen?", Christiane lachte. "Das könnte euch so passen. Vor allem dir, Wilfried..." Ihr Gesicht versteinerte.
"Aber diesen Gefallen werde ich euch nicht tun. Niemals. Ihr könnt mich vielleicht in einem fernen Sanatorium einsperren. Aber in euren Gedanken werdet ihr immer mein Gesicht vor euch sehen."
Sie drehte sich auf dem Absatz um und ging hinaus. Beinahe wäre sie dabei mit dem herein eilenden Johann zusammengestoßen. Der Kammerdiener wich ihr im letzten Moment aus.
17
An diesem Tag war Susanne sehr erschöpft und so zog sie sich bereits früh am Abend in ihre Suite zurück. Sie schlief rasch ein.
Als schließlich ein heftiges Klopfen an der Tür sie weckte, war es bereits dunkel. Das Mondlicht schien durch die hohen Fenster herein.
Susanne fuhr auf.
"Ja, wer ist dort?", rief sie, schlug die Bettdecke zur Seite und ging auf den Eingang der Suite zu. Von der anderen Seite her hörte sie Schritte auf dem Flur.
Schritte, die sich rasch entfernten.
Wer mochte das sein?
Susanne dachte an die Möglichkeit, dass es vielleicht Komtesse Christiane war, die ihr wieder einen ihrer Besuche hatte abstatten wollen. Susanne öffnet die Tür, trat dann barfuß hinaus auf den Flur. Es war niemand zu sehen. Dann entdeckte sie den Brief auf dem kalten Steinboden. Er war offenbar unter der schweren Holztür hindurchgeschoben worden. Susanne trat zurück in die Suite, schloß die Tür und machte Licht.
Dann hob sie den Brief auf.
Das Kuvert war unverschlossen.
Sie öffnete es und entfaltete den darin enthaltenen Bogen Papier. In hastig dahingeschriebenen Zeilen stand dort: Kommen Sie zum Westturm. Nadine.
Susanne ging zum Fenster und blickte zum hoch aufragenden Westturm von Schloss Eichenbach hinüber. Nichts Ungewöhnliches schien sich dort zu tun.
Susannes Herz raste.
Was mochte das Zimmermädchen jetzt, um diese Zeit da draußen von ihr wollen? Ob sie doch mehr wusste, als sie zunächst vorgegeben hatte.
Susanne blickte angestrengt hinaus. Aber beim Turm war weder eine Bewegung, noch irgendein Licht zu sehen. Der größte Teil des alten Gebäudes lag im Moment ohnehin im Schatten des Mondlichts und war daher ziemlich dunkel. Das Gebäude selbst war nur im Umriss zu sehen. Es hob sich beinahe schwarz gegen den Nachthimmel ab, der etwas wolkenverhangen war.
Was soll ich jetzt tun?, fragte sich Susanne einen Augenblick lang, aber dann obsiegte ihre Neugier.
Sie musste einfach wissen, was hier vor sich ging...
So drehte sie sich um und zog sich etwas Praktisches über.
In Windeseile geschah dies, denn Susanne dachte gar nicht daran, sich diese Gelegenheit entgehen zu lassen. Als sie fertig war, trat sie ans Fenster und warf noch einen Blick zum Westturm. Groß und gewaltig stand er da. In früheren Zeiten war er wohl so etwas wie die letzte
Rückzugsmöglichkeit für den Fall gewesen, dass Angreifer den Rest des Schlosses bereits eingenommen hatten. Susanne blickte hinauf zu den Zinnen, aber dort war niemand. Sie atmete tief durch.
Etwas merkwürdig war das ganze schon? Warum machte Nadine so ein Geheimnis aus der Sache?
Natürlich wollte sie es sich auf keinen Fall mit ihrer Herrschaft verderben. Das konnte Susanne verstehen. Aber war es deshalb notwendig, einen derart ungemütlichen Treffpunkt zu wählen?
Susanne verließ das Zimmer, ging über die langen, hohen Flure des Schlosses. Schließlich erreichte sie die Eingangshalle. Alles war ruhig. Im Schloss schien jeder zu schlafen.
Susanne öffnete die Haupttür und trat hinaus ins Freie.
Sie stieg die steinernen Stufen des Portals hinab. Es war eine mondhelle Nacht. Und der Schlosshof war wie immer gut beleuchtet. Das Schloss wirkte bei Nacht beinahe noch prächtiger als am Tag.
Susanne blickte sich um.
Nirgends war jemand zu sehen.
Aber ein kühler Wind strich um die Mauern herum.
Susanne fröstelte leicht.
Ich hätte mir etwas Wärmeres anziehen sollen, ging es ihr durch den Kopf. Dann trat sie auf den Turm zu. Die hölzerne Tür war verschlossen. Aber eine schmale Treppe führte außen am Gemäuer des Turms empor. Seitlich war eine brusthohe Mauer. Die Stufen waren schmal und rutschig.
Susanne ging hinauf. Immer höher, bis sie schließlich die von einer steinernen Brustwehr umrandete Turmspitze erreicht hatte. Von hier aus hatte man einen überwältigenden Ausblick über das gesamte Schloss und die umliegenden Ländereien.
Aber es war niemand hier oben.
Niemand, der auf Susanne gewartet hatte, um mit ihr zu sprechen.
Den Brief, den man ihr unter der Zimmertür hindurchgeschoben hatte, hielt sie in der Hand. Immerhin ein Beweis dafür, dass ich