Das Wetter vor 15 Jahren. Wolf Haas. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolf Haas
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783455009798
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      Wolf Haas Ganz genau! Und dann sagt er auch noch, er hat sich als Kind immer vorgestellt, im Auto verwendet die Luftmatratze die ihr rechtmäßig zur Aufplusterung zustehende Luft, um diesen Geruch zu erzeugen. Also er hat das noch viel besser gesagt. Es hat in seiner Version wirklich so geklungen, als wäre die Luftmatratze ein krankes Lebewesen, ein verendender Organismus, der sich nicht ausdehnen darf. Die Luftmatratze braucht die ganze Luft zum Überleben ihres Krisenzustandes da hinter dem Beifahrersitz.

      Literaturbeilage Hinter dem Beifahrersitz. Das betonen Sie auch im Buch so. Auf dem Beifahrersitz saß ja immer die Mutter.

      Wolf Haas Ja, die hatte keinen Führerschein. Das hat mich auch immer gewundert, weil sie ja sonst eine sehr moderne Frau war.

      Literaturbeilage Wahrscheinlich ihr Asthma!

      Wolf Haas (lacht)

      Literaturbeilage Der Vater dagegen war um einiges älter.

      Wolf Haas Der ist schon auf die vierzig zugegangen, als Vittorio auf die Welt kam.

      Literaturbeilage Ich wollte aber noch etwas dazu sagen, dass die zusammengepresste Luftmatratze hinter dem Beifahrersitz steckt. Wieso betonen Sie das im Buch so?

      Wolf Haas Na ja, das hat er mir so erzählt. Weil seine Mutter größer war als sein Vater. Ich fand das irgendwie ein interessantes Detail. Die Vorfahren des Vaters waren Bergmänner, Wettersteiger, die mussten klein sein. Die Mutter war jünger und größer.

      Literaturbeilage Obwohl sie von Italienern abstammt.

      Wolf Haas Ja seltsam. Aber sie war ja auch nicht gerade eine Riesin oder so. Nur eben groß genug, dass der Sohn hinter dem Fahrersitz mehr Platz hatte. Und deshalb war der Platz für die Luftmatratze eben hinter dem Beifahrersitz. Ich finde nicht, dass ich das so betone. Aber wieso betonen Sie das so, dass ich das angeblich so betone?

      Literaturbeilage Ich betone es nicht. Ich frage mich nur, wie sehr Sie hier die phallische Symbolik der Luftmatratze –

      Wolf Haas Wie bitte?

      Literaturbeilage Das drängt sich doch auf. Die Luftmatratze, die darunter leidet, dass sie sich nicht in ihrer ganzen Größe ausbreiten darf, weil sie hinter dem Muttersitz eingeklemmt ist.

      Wolf Haas Sie werden es nicht glauben. Mir wäre das nicht im Traum – also, das ist ja wirklich.

      Literaturbeilage Ja?

      Wolf Haas Für mich sind Luftmatratzen einfach irgendwie geile Geräte.

      Literaturbeilage Na ja, das ist jetzt nicht gerade das stärkste Gegenargument.

      Wolf Haas Nein, ich meine doch. Ich meine doch, Luftmatratzen sind irgendwie sinnliche Zeugen einer Zeit oder eines Milieus, ohne dass man gleich in diese totale Damals-gab’s-noch-Afri-Cola-Sentimentalität verfällt. Auch weil sie sich vom Material her so interessant entwickelt haben im Lauf der Zeit. Von den richtigen Gummiluftmatratzen zu diesen immer dünneren, durchsichtigen Hightech-Häuten. Und in allererster Linie fand ich einfach, dass man da wirklich spürt, wie sehr das Kind bei der Anfahrt leidet. Dieses Zusammengepferchtsein, dieser betäubende Gestank. Dann lag beim Käfer auch noch der Tank vorne, da hat’s die Benzindämpfe hereingetragen, das hat sich alles beim Kind hinten gestaut. Wie Gewitterwolken, die am Berg hängen bleiben, hat sich das alles vor der Heckscheibe zusammengebraut.

      Literaturbeilage Ja, bei Kindern staut sich vieles.

      Wolf Haas Ich hab einfach den Gegensatz schön gefunden. Dass man eigentlich in den Urlaub fahren will. Hinaus! In die Natur! Auf der Luftmatratze weit in den Waldsee hinauspaddeln.

      Literaturbeilage Sie zitieren ja auch immer wieder die Mutter, die im Urlaub bei jeder Gelegenheit ausruft: »Ah, diese gute Luft!«

      Wolf Haas Sie ist dauernd mit ihrem Asthma hausieren gegangen.

      Literaturbeilage Ich war anfangs nicht sicher, ob das vielleicht nur ein Stilmittel des Autors ist, um den Kontrast zu betonen. Das Ruhrgebiet mit seiner dreckigen Luft und im Gegensatz die gute Bergluft.

      Wolf Haas Nein nein, »die gute Luft«, das ist schon Originalton Frau Kowalski. Die war überhaupt sehr, wie soll ich sagen? Sie hat sich gern Luft gemacht.

      Literaturbeilage Aber meine Interpretation ist Ihnen zu psychoanalytisch.

      Wolf Haas Nein, überhaupt nicht. Sie gefällt mir sogar irgendwie. Wenn’s nicht grad mein Buch wäre!

      Literaturbeilage Für mich war das nämlich beim Lesen ganz eindeutig. Ich dachte, jetzt winkt mir der Wolf Haas aber mit dem Zaunpfahl. Er schickt den Jungen auf die Reise zu seinen ersten sexuellen Erfahrungen, und unterwegs meditiert der über die Luftmatratze, die sich nicht ausdehnen darf, und von vorne schiebt noch die Mutter den Beifahrersitz so weit zurück, dass die Luftmatratze ganz furchtbar eingeklemmt ist.

      Wolf Haas Oh Gott. Da muss ich passen. Das hört sich für mich so an, als würden Sie sagen: Luftmatratze, da besteht bestimmt auch ein Zusammenhang damit, dass Annis Vater an einer Stelle des Buches über Vittorios Mutter sagt, sie sieht aus wie eine Volksmatratze.

      Literaturbeilage Ja, wegen ihrer rot gefärbten Haare. Das ist mir erst beim zweiten Lesen aufgefallen, welche Brisanz diese Verunglimpfung hat angesichts der späteren Entwicklungen.

      Wolf Haas Da geht’s mir aber mehr um die kulturellen Unterschiede. Um einen gewissen Entwicklungsvorsprung der deutschen Sommergäste gegenüber den Einheimischen. Also früher hat es da ja noch ziemliche Unterschiede gegeben.

      Literaturbeilage War das mehr Stadt–Land oder mehr Deutschland–Östreich?

      Wolf Haas Ich glaub, beides. Jedenfalls sind die auffällig gefärbten Haare ein typisches Beispiel. Modische Kleidung und so weiter, darin haben sich die Touristinnen von den einheimischen Frauen noch unterschieden zu der Zeit. Darum hab ich das reingenommen, wie der Bonati, der ja schon ein ziemlicher Prolo war, einmal zu seiner Frau sagt, Vittorios Mutter schaut mit ihren roten Haaren aus wie eine Volksmatratze.

      Literaturbeilage Natürlich nur hinter vorgehaltener Hand.

      Wolf Haas Dass Anni es gehört hat, war ein Betriebsunfall. Und sie musste ihrer Mutter hoch und heilig versprechen, dass sie es auf keinen Fall weitererzählt. Und Vittorio musste dann eben noch am selben Tag Anni hoch und heilig versprechen, dass er es auf keinen Fall seinen Eltern weitererzählt.

      Literaturbeilage Der hat sich aber dran gehalten.

      Wolf Haas Ja, der hat sich immer an alles gehalten.

      Literaturbeilage Ich kann Sie beruhigen, mit dieser Verunglimpfung Frau Kowalskis als »Volksmatratze« hätte ich die Luftmatratzenstelle auch nicht in Zusammenhang gebracht.

      Wolf Haas Da bin ich jetzt wirklich froh, dass ich die Luftmatratzenstelle im letzten Moment noch so zusammengestrichen habe. Weil da hatte ich ursprünglich noch viel geschrieben über die realen Waldbadszenen. Wie die Kinder eben mit der Luftmatratze hinausgepaddelt sind. Gegenseitiges Von-der-Luftmatratze-Drängen und so weiter, Luft rauslassen und die ganzen Albernheiten.

      Literaturbeilage Schade, dass Sie das gestrichen haben. Da liegt doch auch viel kindliche Erotik drin ürgendwie. Vielleicht würde es weniger symbolistisch wirken, wenn etwas mehr Fleisch dran wär.

      Wolf Haas Und auch das Vergehen der Jahre hatte ich in einer Rohversion über die Luftmatratze transportiert. Verschiedene Luftmatratzentypen. Wie er zum Beispiel eines Tages eine Doppelluftmatratze hatte. Die war sein ganzer Stolz! Ich hab seine Geschichte total witzig gefunden, wie er dann beim Rauspaddeln bemerkt hat, dass die Doppelluftmatratze nicht funktioniert.

      Literaturbeilage Was heißt, sie funktioniert nicht.

      Wolf Haas Also man liegt ja auf einer Luftmatratze auf dem Bauch, und links und rechts hängen die Arme ins Wasser. So kann man mit den Armen paddeln. Das war eine Geschichte, die mir sehr gefallen hat, wie Herr Kowalski mir erzählt hat, dass er so stolz war auf seine neue Doppelluftmatratze, aber beim ersten Versuch, mit ihr rauszupaddeln, bemerkt er, jetzt reichen die Hände seitlich nicht mehr ins Wasser, weil die zu breit ist! (lacht)