Eine Kamikaze-Tat.
"Es muss sehr schnell gehen!", sagte ich. "Wir werden nur eine einzige Chance bekommen... Die Täterin leidet vermutlich unter schizophrenen Wahnvorstellungen. Mit freiem Abzug oder dergleichen können wir sie nicht ködern..."
Milo und ich zogen die SIGs.
Mein Freund und Kollege nickte mir zu.
Mit einem Tritt öffnete ich die Tür, riss die SIG empor und duckte mich.
Cynthia wandte sich halb herum. Sie hatte in jeder Hand eine Waffe. Eine SIG in der Linken, in der rechten ihre Schalldämpfer-Pistole. Der Laserpunkt tanzte zitternd auf Mister McKees Stirn.
Die SIG streckte sie blitzschnell in meine Richtung und drückte ab.
Ich duckte mich.
Der Schuss zischte dicht über mich hinweg und blieb im Deckensturz stecken. Beinahe gleichzeitig drückte sie die Pistole ab, die sie auf Mister McKee gerichtet hatte.
Ich feuerte.
Ich musste es tun, auch wenn ich Mister McKee damit in Gefahr brachte. Aber wir hatten es mit einer Täterin zu tun, die nicht rational handelte.
Es war ein gezielter Schuss, der Cynthia an der Schulter erwischte, sie zurückriss. Mister McKee schnellte unterdessen vor, bog ihre Rechte mit der Automatik zur Seite, bevor es zweimal kurz hintereinander ploppte. Die Kugeln fetzten in die Tapete hinein. Cynthia krampfte sich zusammen, drückte immer wieder ab.
Dann war ich bei ihr.
Milo ebenfalls.
"Geben Sie auf!", rief Milo.
Aber dieser Ruf erreichte sie gar nicht. Ihre Augen waren glasig. Ihr Gesicht verzerrt. Blut färbte die Schulter ihres Kleides dunkel. Sie schwenkte erneut die SIG herum und ließ einen ungezielten Schuss durch die Luft krachen, der eine Neonröhre zerstörte.
Dann hatte ich ihr Handgelenk gepackt.
Milo nahm ihr die SIG ab.
Mister McKee gelang dasselbe mit der Automatik.
"Ein Notarzt!", rief ich in Richtung Flur.
Nicht nur für Cynthia, sondern auch Mister McKee war der dringend erforderlich.
Milo ließ die Handschellen klicken.
Cynthias Widerstand ließ nach. Sie ließ sich in einen der Bürostühle sinken.
Die Schusswunde an ihrer Schulter schien sie gar nicht zu bemerken.
Ihr Blick war nach innen gekehrt.
Sie atmete tief durch und beruhigte sich langsam.
Unsere Kollegen stürzten herein und umringten sie.
Ich wandte mich Mister McKee zu.
"Alles in Ordnung, Sir?"
"Einigermaßen..."
"Sie sind verletzt!"
"Halb so wild. In Korea habe ich schon Schlimmeres durchgemacht."
Er hatte Schmerzen, das war keine Frage. Trotzdem ging ein mattes Lächeln über sein Gesicht. "Das verdammt knapp, Jesse. Wie kommen Sie und Milo überhaupt hier her? Ich dachte, Sie sind in Ihrem Apartment und schlafen sich aus..."
"Eine lange Geschichte, Mister McKee", erwiderte ich.
38
Im Verlauf der nächsten Tage stellten sich weitere Einzelheiten heraus. Lester Rodrigez, Eric Hernandez Mann fürs Grobe, der sich bislang strikt geweigert hatte, auch nur einen Ton zu sagen, gab zu, zusammen mit Cynthia Hernandez für die Verwanzung von Mister McKees Wohnung gesorgt zu haben. Der Ohrabdruck an der Tür gehörte zu Cynthia. Sie hatte Rodrigez für die Aufgabe angeheuert, weil der sich besser mit der Installation von Abhörtechnik und dem Öffnen von Türen auskannte. Sie hatte das Apartmenthaus unabhängig von Rodrigez betreten. Und da sie nicht vorbestraft oder erkennungsdienstlich behandelt worden war, hatte eine Computerabfrage der auf der Videoaufzeichnung sichtbaren Personen nicht ihren Namen ausgespuckt.
Rodrigez' Angaben nach hatten weder Ray Torillo noch Eric Hernandez etwas von dieser Aktion gewusst. Das war Cynthias Privatangelegenheit gewesen. Seiner Aussage nach hatte sie neben ihm gestanden, während er die Wanzen installierte und fotografiert.
Rodrigez hatte nicht nachgefragt, sondern sich über seinen Zusatzverdienst gefreut. Inzwischen wurde ihm die Sache zu heiß. Und auch wenn Cynthias Bruder Eric ihn dazu drängte, weiterhin zu schweigen, so wollte Rodrigez doch nicht länger als Cynthias Komplizin dastehen.
Der Einbruch in Mister McKees Wohnung war juristisch gesehen schließlich ein Fliegengewicht gegenüber einer mögliche Anklage wegen gemeinschaftlichem Mordversuch.
Cynthia war eine kranke Frau.
Sie litt unter schizophrenen Wahnvorstellungen. Letztlich hing ihr Schicksal von den Geschworenen ab. Aber es war sehr wahrscheinlich, dass sie den Rest ihrer Tage in Sicherheitsverwahrung verbringen würde.
Mister McKee fehlte genau einen Tag, um seine Schusswunden behandeln zu lassen.
Dann saß er bereits wieder in seinem Büro auf seinem Posten.
"Langes Herumliegen würde mir nur schaden", meinte er, als seine Sekretärin Mandy ihn darauf ansprach.
Niemand sah ihm an, dass unter seinem korrekten dreiteiligen Anzug einige Meter Verbandmaterial an Schulter und Oberschenkel zu finden waren. Nur die Krücken, die er notgedrungen benutzte, um das verletzte Bein nicht allzu sehr zu belasten, deuteten auf seine Verwundungen hin.
"Ich möchte möchte mich nochmal bei Ihnen beiden bedanken", sagte Mister McKee, während er mit Milo und mir allein im Büro war. "Diese Frau war zu allem entschlossen. Und beinahe hätte sie ihr Ziel auch erreicht... Aber aber auf eine Sache muss ich doch noch zurückkommen."
"Und die wäre?", fragte ich.
Mister McKee seufzte auf eine Art und Weise, mir klar machte, dass jetzt etwas Unerfreuliches kam.
"Ihnen ist doch klar, dass Sie eine Wohnung ohne rechtliche Grundlage betreten haben..."
"Gefahr im Verzug!", wandte Milo ein. "Dann dürfen wir überall hin!"
"Milo, das ist nicht Ihr Ernst! Diese Begründung zerfetzt Ihnen vor Gericht doch ein Jurastudent in der dritten Studienwoche! Da können Sie auch gleich behaupten, dass die Tür offenstand. Das wäre genauso wenig glaubwürdig!" Mister McKee lehnte sich zurück. "Ich weiß, wenn Sie das nicht getan hätten, wäre ich jetzt nicht mehr am Leben. Und deshalb bin ich auch der Letzte, der Ihnen irgendeinen Vorwurf machen wird... Außerdem gehe ich davon aus, dass es nie herauskommen wird. Aber trotz alledem rate ich Ihnen, mit diesen Dingen vorsichtiger zu sein. Wenn Beweise auf unzulässige Weise erlangt wurden, kann das am Ende einen ganzen Prozess platzen lassen und der Täter geht straffrei aus!"
"Schon klar, Sir!", sagte ich.
"Ich hatte wirklich geglaubt, dass Alexandra Berringer es auf mich abgesehen hatte..." Er schüttelte mit nachdenklichem Gesicht den Kopf. "Ich war mir sicher!"
In diesem Moment meldete sich Mandy über die Gegensprechanlage.
"Agent Clive Caravaggio möchte Sie sprechen, Sir..."
"Stellen Sie durch, Mandy. Auf Apparat 2."
"Nein, nein, Sir. Sie haben mich missverstanden. Agent Caravaggio steht hier neben mir. Er meldet sich zum Dienst."
"Ich denke, der ist erst nächste Woche wieder fit!"
Jetzt meldete sich Clives Stimme. "Sir, hier Caravaggio..."
"Kommen Sie rein!", brummte Mister McKee.
"Scheint