Was mich aber vom Anblick her weit mehr fasziniert als der Aril, ist der kleine Hafen von Cassone mit seinem Leuchtturm und den Booten. Im warmen Licht des späten Nachmittags sieht er aus, als wäre er einem Bilderbuch entsprungen. So stellt man sich Idylle vor. Ich bemühe mich, die Stimmung mit der Kamera für alle Ewigkeit einzufangen. Danach spaziere ich entlang der Seepromenade wieder zurück ins Zentrum von Malcesine. Da ich nun Richtung Norden gehe, fallen mir die schneebedeckten Berggipfel wieder auf. Während im Tal bereits die Bäume blühen und die Margeriten die Fenster schmücken, ist hoch auf den Bergen noch Winter.
Nach zwei Pausen, die ich aufgrund meiner schon müden Beine einlegen muss, gelange ich pünktlich zu Sonnenuntergang wieder an den alten Hafen von Malcesine. Ich setze mich hin, sauge den Anblick des warmen Lichts und das Glitzern des Wassers auf, ehe ich mich total erschöpft und müde noch schnell in den kleinen Supermarkt schleppe, um mir etwas Essbares fürs Zimmer mitzunehmen. Auf Rausgehen habe ich heute nämlich keine Lust mehr – das Bett ruft!
Bardolino
"Wenn man mit dem Wasser zu tun hat, kann man nicht sagen, ich werde heute da oder dort sein."
Diesen Morgen heißt es dann wieder packen und weiterziehen. Ich verschlinge noch schnell mein Joghurt, habe dank der Kaffeemaschine in der Unterkunft auch heißen, guten Kaffee und mache mich dann auf den Weg zum Hafen, von wo aus mich das Schiff der Navigarda nach Bardolino bringen soll. Dort trete ich selbstbewusst an den Ticketschalter und bestelle „Un biglietto per Bardolino con il servizio rapido“. Mit dem Schnellboot in den Süden düsen, so habe ich mir das vorgestellt. Als mir der Ticketverkäufer dann erklärt, dass leider kein Boot nach Bardolino fährt, schaue ich ganz schön blöd aus der Wäsche. Ich erzähle ihm, dass ich doch am Plan gesehen habe, dass eines geht, schnappe mir den Folder mit den Abfahrtszeiten und zeige es ihm. Was er mir dann erklärt, lässt mich ganz kleinlaut werden: Auf dem Winterfahrplan, den ich korrekterweise in der Hand halte, steht bei meiner geplanten Verbindung ein klitzekleines B dabei, was bedeutet, dass dieses Boot nur an Samstagen fährt. Es ist aber Freitag und so habe ich keine Chance, heute über den Wasserweg nach Bardolino zu gelangen.
Ich verabschiede mich von dem netten Herren, den ich zwar leise verfluche, der aber nichts für den Fahrplan und meine Unfähigkeit, ihn zu lesen, kann, und marschiere in die nächste Tabaccheria. Dort kaufe ich mir ein Busticket nach Bardolino und mache mich auf den Weg zur Bushaltestelle. Wie gut, dass ich nicht noch länger mit dem Mann am Hafen diskutiert oder anderweitig Zeit verschwendet habe, denn der Bus kommt wenige Sekunden nach mir. Laut Plan ist er ein wenig zu spät dran, wie man am Gemecker einer Einheimischen bemerkt. Ich bedanke mich insgeheim beim Busfahrer für seine Trödelei, denn sonst hätte ich zwei Stunden auf den nächsten Bus gewartet. So fahre ich auf der Gardesana die Ostküste südwärts. Im März ist es hier schön ruhig, nicht wie im Sommer, wenn die deutsch-österreichische Blechlawine um den See rollt. Ich tagträume ein wenig und freue mich darüber, dass ich nun mit dem Bus fahre, weil es mein Budget mächtig schont. Ich beschließe, dass ich mir für das gesparte Geld – das Schiff hätte im Gegensatz zum Bus um gut elf Euro mehr gekostet – in Bardolino ein Gläschen Wein genehmigen werde.
Die restliche Busfahrt gleicht einem lustigen Theater: zwei deutsche Familien diskutieren mit dem Busfahrer über den Preis der Bustickets, der im Bus höher ist als bei Vorabkauf. Und sprechen mal nicht die Deutschen mit dem Herrn hinterm Steuer, so tut es eine rüstige italienische Mamma. Sie unterhalten sich so prächtig und lautstark, dass das Schild "Bitte nicht mit dem Fahrer sprechen" über seinem Kopf wie ein schlechter Scherz wirkt. Mit der Erkenntnis, dass sie sich solche Schilder in Italien wohl sparen könnten, steige ich endlich in Bardolino aus.
„Früh um zehn Uhr landete ich in Bartolino.“ Dies steht auf einer Steintafel an der Hafenpromenade geschrieben. Man ist in Bardolino wohl stolz auf den prominenten Besuch, den das Dorf 1786 empfing. Dabei lud Goethe hier eigentlich nur sein Gepäck vom Schiff auf das Maultier um und wurde dann weiter nach Verona geleitet. Auch ich habe nicht vor, lange zu bleiben, aber ein paar Stunden muss ich hier verbringen, bevor ich den Bus nach Verona nehmen kann. Also spaziere ich am gut ausgebauten Ufer entlang, beobachte Enten und Schwäne und flaniere durch den Ort.
Bardolino ist zwar eines der bekanntesten und beliebtesten Städtchen am Gardasee, mich reißt es aber nicht so vom Hocker. Wenngleich auch der ganze See recht touristisch angehaucht ist, so ist dies in Bardolino meinem Empfinden nach am stärksten spürbar. Abgesehen vom Stück einer alten Stadtmauer gibt es eigentlich kaum etwas anzusehen. Wenn man also keine Lust auf Shopping hat – die ich wirklich selten verspüre – und auch nicht teuer essen möchte, kann man sich Bardolino eigentlich sparen. Für ihren Wein ist die kleine Stadt allerdings bekannt. Daher werde ich mein Vorhaben jetzt in die Tat umsetzen und mir ein schönes Glas fruchtig-roten Bardolino genehmigen. Dabei werde ich leider enttäuscht. Den Wein, den man mir in einem Restaurant am Hafen vorsetzt, ist alles Mögliche, aber kein klassischer Bardolino. Ein wenig Ahnung habe ich ja von Wein. Die Sorte kenne ich und somit kann ich die Qualität, die mir gerade vor die Nase gesetzt wird, beurteilen. DAS ist wohl ein netter Abzockversuch.
Trotzdem genieße ich es, noch ein wenig am Wasser zu sitzen. Meine tiefe Verbindung zum See löst immer wieder Glücksgefühle in mir aus und erdet mich so richtig. Mit dem Blick auf die Wasseroberfläche habe ich das Gefühl, dass mein Inneres in der gleichen Ruhe wie der Gardasee schwingt. Und so verabschiede ich mich von meinem See und steige in den Bus nach Verona, wo ich schon freudig erwartet werde.
Verona
„Das Volk rührt sich hier sehr lebhaft durcheinander, besonders in einigen Straßen, wo Kaufläden und Handwerksbuden aneinanderstoßen, sieht es recht lustig aus.“
Endlich Verona! Wie sehr habe ich mich darauf gefreut, diesen Satz auszusprechen – nun ist es so weit. Ich steige an der Piazza Bra aus und befinde mich somit direkt am größten und wichtigsten Platz Veronas. Dort steht neben einem kleinen Park mit Springbrunnen die weltberühmte Arena. Goethe war ganz versessen darauf, sie zu sehen. Schließlich war es das erste römische Bauwerk in Italien, das er zu Gesicht bekam. Auch ich mag die Arena, kenne sie aber bei meinem mittlerweile vierten Besuch der Stadt bereits gut. Zweimal war ich schon drinnen, einmal sogar für eine Opernaufführung. Es ist ein faszinierendes Gemäuer und ich kann nur erahnen, wie imposant es damals auf Goethe gewirkt haben muss, als es nicht selbstverständlich war, so etwas einmal zu Gesicht zu bekommen.
Langsam schlendere ich über die Piazza und muss innerlich lachen. Weiß das Schicksal, dass ich hier auf Goethes Spuren unterwegs bin? Ist es einfach ein Zufall? Oder ist es seit zweihundertdreißig Jahren einfach üblich, dass Jungs im kleinen Park auf der Piazza Ball spielen? Goethe war erheitert von einem Spiel, bei dem Veroneser gegen Vicentiner Ball schlugen (was auch immer das für ein Spiel gewesen sein soll). Vor meiner Nase steht nun auch eine Runde von etwa acht Burschen, die sich gegenseitig den Ball zukicken und in einer Art Wettbewerb gegeneinander antreten. Das lockt mir doch ein Grinsen hervor.
Ich marschiere weiter durch die Fußgängerzone auf die Piazza delle Erbe, wobei ich mir mit meiner legeren Kleidung und dem Rucksack neben all den stilvoll gekleideten Menschen ein wenig fehl am Platz vorkomme. Nach einem köstlichen Eis begebe ich mich zum Treffpunkt, an dem mich meine Bekannte Annalisa abholt. Ich kenne sie aus Graz, sie hat einige Jahre dort gewohnt, ehe sie wieder zurück in ihre Heimat Italien zog. Meine Freude, sie zu sehen, ist riesig! Obwohl meine Reise erst eine Woche dauert, habe ich schon Sehnsucht nach einem bekannten Gesicht und freundschaftlicher Unterhaltung. Mein Vorhaben für die zwei Tage in Verona ist, ein wenig zu rasten, die gemeinsame Zeit zu genießen und Goethe einfach mal sein zu lassen. Er sah sich hier sehr viele Gebäude an und beschrieb die Stadt ausführlich, aber ich empfinde es als zu stressig, seinen vielen Eindrücken nachzugehen. Ich verbringe die Zeit lieber mit Annalisa, ihrem Mann Luca und Mira, ihrer entzückenden, original römischen Katze.
Das einzige, das ich mir ansehe, ist das Castelvecchio. Bei den vorherigen Besuchen in Verona schaffte ich es nie hinein und kenne nur die dazugehörige Pontevecchio, eine Brücke, die über die Etsch in die alte Festung führt.