Der Hebräerbrief - Ein heilsgeschichtlicher Kommentar. Roman Nies. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roman Nies
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Афоризмы и цитаты
Год издания: 0
isbn: 9783347131354
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Tradition zu brechen, über seine Sichtweise aufzuklären und sie dadurch zu rechtfertigen.

      Erstaunlicherweise werden von den meisten Auslegern andere Gründe genannt als diesen, der sich aber aus dem Brief herauslesen lässt. Die Gründe, die für die Abfassung des Hebräerbriefes angegeben werden, sind überwiegend so abwegig, dass es sich nicht lohnt, darauf einzugehen.

      Der Hebräerbrief ist auf mehreren der ältesten Handschiften mit Pro Hebraiois tituliert. *54 Tatsächlich beschäftigt er sich auch mit hebräischen Themen. Er könnte von Paulus auf Hebräisch für Juden geschrieben und von Lukas ins Griechische übertragen worden sein, denn das ist die Lehre von Paulus, während das Griechisch nicht mit dem Stil der anderen Paulusbriefe übereinstimmt.

      Paulus hätte ausreichend Gründe gehabt, an das Judentum, insbesondere das messianische Judentum, einen Lehrbrief zu schreiben. Die orthodoxen Juden waren lehrmäßig schnell mit ihm fertig, denn Paulus behauptete nicht nur, dass Jesus von Nazareth der Messias sei, sondern auch noch, dass die Torah nur Mittel zum Zweck sei, auf Jesus hinzuführen. Und vielleicht das Schlimmste: Er hob die Nationen auf die Stufe Israels. Das war für orthodoxe Juden alles so abwegig – das kann man wissen, weil es das orthodoxe Judentum mit seinen Stellungnahmen ja noch heute gibt -, *55 dass es mit Paulus nicht zu spitzfindigen oder feinsinnigen Auseinandersetzungen kam. Anders sah die Konfrontation mit den messianischen Juden aus, die keineswegs bereit waren, Paulus in allem zu folgen. Die messianischen Juden meinten, sie müssten die Nichtjuden erst zum Judentum überführen, wenn diese für das Heil reif gemacht werden wollten. Diese messianischen Juden waren in den Gemeinden von Paulus aufgetaucht und versuchten, die „Versäumnisse“ von Paulus auszumerzen, zum Ärgernis und Zorn von Paulus.

      Der Hebräerbrief ist so aufgebaut, dass er als Entgegnung gegen die Kritiken an der neuen Lehre des Evangeliums über Jesus Christus verstanden werden kann. Es ist ein Lehrbrief für lernwillige Juden. Vielleicht sollte der Brief die Behauptung der Gegner Pauli entkräften, dass er gegen die jüdische Überlieferung predigte, obwohl er das natürlich, jedenfalls zum Teil, tat. Das bedeutete nicht, dass Paulus nicht vielleicht sogar der einzige war, der zu seiner Zeit wusste, wie das Alte Testament im Verhältnis zum Evangelium Jesu Christi zu verstehen war. In diesem Licht scheint der Brief geeignet zu sein, dieses Verhältnis zu erklären und die Verständnislücken bei den Kritikern zu schließen.

      Ein Ausleger schreibt: „Sehr wahrscheinlich handelt es sich um eine heidenchristliche Gemeinde. Der Verfasser warnt nämlich in 3,12 ganz allgemein vor einem Abfall vom Glauben und nicht vor einem Rückfall ins Judentum.“ *56 Der Ausleger unterstellt also, dass eine Warnung an eine messianisch-jüdische Gemeinde eine Warnung vor einem Rückfall ins Judentum beinhalten müsste. Das ist natürlich nicht zwingend, insbesondere ist dann eine solche Warnung nicht notwendig, wenn der Briefschreiber weiß, dass die Gemeinde ihre jüdischen Wurzeln nicht aufgegeben hat. Und genau das gilt für messianisch-jüdische Gemeinden, über die man vielleicht, wenn nicht sogar sehr wahrscheinlich, grundsätzlich sagen kann, dass sie eher im historischen Judentum des Glaubens an den Gott JHWH stehen als die nichtmessianischen Juden.

      Außerdem scheint der Ausleger anzunehmen, dass eine messianisch-jüdische Gemeinde nicht vor einem Abfall vom rechten Glauben gewarnt sein könnte, sondern nur eine heidnisch-christliche Gemeinde. Eine logische Erklärung dafür gibt er nicht. Man sieht, dass er kein Argument für seine These hat und diese offenbar nur einer Vormeinung Rechnung trägt. *57

      Vor solchen Auslegungen kann man nur warnen, weil sie nicht erkennen lassen, dass sie das Wort Gottes ernst nehmen. Das zeigt sich dann oft auch in der Maximierung des Widerspruchs zu dem, was die Bibel sagt. Der gleiche Autor sagt, für die seit Urzeiten dem Hebräerbrief zugeeignete Empfängerschaft gelte: „'An die Hebräer' hilft nicht weiter.“ Er sagt also, das, was die Bibel sagt, hilft nicht weiter, wenn man die Bibel verstehen will. Das ist natürlich Unsinn. *58

      Richtig ist jedenfalls, dass der Hebräerbrief nicht nur für Hebräer, sondern auch für andere Menschen, die sich für Jesus Christus irgendwie interessieren, von Bedeutung ist. Insofern muss der Verfasser nicht allein an die „Hebräer“ gedacht haben. Es ist aber inhaltlich klar, dass die Thematik alle Juden angehen muss und daher jeder, der den Brief liest als solcher „Hebräer“ erkannt und dementsprechend auch benannt werden kann.

      Man muss das, was die Bibel sagt, ernst nehmen, aus dem einfachen Grund, weil man sonst nicht wissen kann, was sie, bzw. ihre Verfasser, sagen wollen. Sie sagt, dass dieser Brief an die Hebräer geschrieben ist. Wer waren die Hebräer im ersten Jahrhundert, also der Abfassungszeit des Briefes? Es waren alle Juden und Angehörige des Zwölf-Stämme-Volks Israel in und außerhalb des Landes Israel. Der Brief war also auch an die Juden und die sich als Angehörige Israels verstehen den in der Diaspora gerichtet. Leider scheinen das viele Kirchenvertreter und Bibelausleger nicht wahrhaben zu können. In dem Wahn, die christliche Kirche sei das „neue Israel“, unterstellen sie dem Briefeschreiber tatsächlich, dass er mit „Hebräer“ lediglich „Christen“, mithin auch Nichtjuden gemeint haben soll. Sie seien also die neuen Hebräer des Neuen Bundes. Dem steht aber nicht nur Jer 31,31 entgegen, sondern auch allzu deutlich Röm 9-11. Vielen Bibelauslegern ist es nicht verborgen geblieben, dass in Röm 9-11 unter „Israel“ das jüdische Volk zu verstehen sein musste, weil es hier in der gleichen Ergänzung und Präposition steht wie im Alten Testament. *59 Hier bleibt kein Deutungsspielraum.

      Indes zeigt der Inhalt des Briefes und die Thematik, dass es dem Schreiber darum geht, alles das, was die Juden aus dem Alten Testament wussten und glaubten, im Lichte des Neuen Bundes und, noch wichtiger, im Lichte des Jesus von Nazareth zu erklären. Schon deshalb, weil der Hebräerbrief diese klaren Linien vom Alten Testament zum Neuen Testament zieht und dabei immer bei Israel und dem Messias Israels bleibt, ist klar, dass die Ersatztheologen mit ihrer Idee von der ersatzlosen Streichung Israels als Gottes Volk nicht recht haben können.

       Das große Erbe

       Heb 1,1-13; 2,1-11

      Der Verfasser des Hebräerbriefs stellt Jesus gleich zu Anfang als Erben „von allem“ vor, durch den Gott „auch die Äonen gemacht hat“ (Heb 1,2). Das ergibt mit der Aussage von Vers 1 eine heilsgeschichtlich erhebliche Aussage, denn Gott hat „vielfach und [auf] viele Weise [zu] den Vätern durch die Propheten gesprochen“ (Heb 1,1 KÜ), ehe „Er an [dem] letzten dieser Tage [zu] uns in [dem] Sohn“ (KÜ) gesprochen hat. Der Sprecher am Ende war der Sprecher am Anfang, denn es war am Anfang der Schöpfung als Gott sprach „Es werde!“, und es wurde. Das größte „Es werde!“ wurde am Kreuz von Golgatha zum „Es ist geworden!“, nämlich die Erlösung der Menschheit ist geworden.

      Und auch das hat der Sohn ausgeführt. Er ist immer der Sprecher, immer das Wort Gottes, immer auch der Berufende. Wer von Ihm nicht angesprochen wird, dessen Zeit der Näherung Gottes ist offensichtlich noch nicht gekommen und er muss warten, bis er endlich angesprochen wird.

      Heb 1,2 bezeichnet Jesus als „Losteilinhaber [von] allem … durch den Er auch die Äonen gemacht hat.“ (KÜ) Und damit ist der erste Satz des Hebräerbriefes noch gar nicht beendet. Die Tragweite dieses einen Satzes hat kaum einer richtig erfasst. Er enthält gleich mehr Grundlegendes als viele theologischen Werke, wenn man sie ihrer Bibelzitate entledigt hat.

      Die erste Feststellung lautet, dass der Brief an die Nachkommen von Juden gerichtet ist, denn Gott hat einst „zu den Vätern durch die Propheten gesprochen“. Die Propheten hatten immer Angehörigen Israels die Worte Gottes weitergegeben. Dass Gott überhaupt gesprochen hat, damit sagt der Verfasser außerdem zugleich etwas, was den jüdischen Lesern selbstverständlich war: Das Alte Testament, die hebräische Bibel, ist das zuverlässige Wort Gottes. Seine weiteren Ausführungen würden sonst auch keinen Sinn machen, denn er lässt eine Beleuchtung des Alten Bundes durch die Darstellung des Neuen Bundes folgen. Im Rückblick auf das Alte wird auch das Neue erlichtet. Am Ende der Tage hat Gott „zu uns durch den Sohn gesprochen.“ (Heb 1,2) Das Frühere läuft in Christus auf das Ziel des Ganzen zu und anders als bei anderen „Geschichten“ und „Abläufen“, ist das, was erreicht