Gerne wollte ich dieses Angebot annehmen, schließlich wusste ich sowieso nicht, wohin ich sonst gehen sollte. Und natürlich kam Farid auch mit. Und so fuhren wir gemeinsam in den Park. Farid fuhr mit mir und Felix im Auto mit. Im Park konnte Felix wenigstens ein bisschen ohne Aufsicht herumlaufen. Erich hat einen Frühstückstisch vorbereitet und freute sich sehr, mich zu sehen. Schließlich habe ich ihm zwei wunderbare Arbeiter verschafft. Mir war nicht nach frühstücken und lustig sein. „Erich, können wir am Donnerstag frei haben, weil wir machen eine Abschiedsparty für Farid?“, fragte Hamid. Mir war so, als müsste ich gleich tausend Tode sterben, als er das sagte. Eine Abschiedsparty? Für Farid? Und ich war da nicht eingeladen? Warum eigentlich nicht? Viele Fragen schossen mir durch den Kopf. Aber ich stellte diese Fragen nicht. Ich wollte mich nicht aufdrängen. Wenn er mich nicht bei der Party dabeihaben wollte, dann konnte ich auch nichts machen. Trotz aller Beherrschung, die ich von meinem Vater gelernt hatte, konnte ich mich an diesem Tag nicht mehr zurückhalten. Ich begann an diesem Frühstückstisch zu weinen. Mein Vater hat immer gesagt: „Ein Indianer kennt keinen Schmerz!“ Das sagte er immer, als ich noch klein war und meine Knie zerschunden waren, vom Sturz mit dem Fahrrad, oder weil ich über meine eigenen Beine gestolpert bin. Wenn mein Vater diesen Satz zu mir sagte, schluckte ich krampfhaft meine Tränen hinunter. Ich wollte meinen Vater nicht enttäuschen und unbedingt sein Indianer sein. Er sollte doch auf mich stolz sein! Vergebens dachte ich an diesen Satz, der meine Tränen früher immer ganz schnell zum Trocknen gebracht hat. Es gelang mir diesmal überhaupt nicht! Ich weinte und ließ alle Tränen los. Farid nahm mich in den Arm und Erich wusste nicht, was er sagen sollte. Niemand fand in dem Moment tröstende Worte für mich. Und plötzlich schämte ich mich auch nicht mehr für meine Tränen. Ich ließ sie einfach los. Alle waren ruhig an diesem Frühstückstisch. Niemand erklärte mir, dass es einen anderen Ausweg gab. Ich fühlte mich hoffnungslos verloren. Und obwohl ich Farid nicht lange kannte und auch noch nicht oft gesehen hatte, wusste ich, dass ich diesen Mann unendlich liebte. Ich spürte ganz tief in meinem Herzen, dass das mein Seelenverwandter war. Er war der Mann, den ich mir schon lange gewünscht und den ich oft in meinen Träumen gesehen habe. Er hatte alles – nicht nur sein gutes Aussehen – sondern auch seine Intelligenz, seinen Humor, seine Weisheit – ich liebte alles an ihm. Irgendwann an diesem Vormittag fuhr ich mit Felix nach Hause. Dunkle Augenringe, schmerzende Augen und zerzauste Haare ließen meinen Anblick sicher nicht gerade attraktiv erscheinen. Farid kam nicht mit mir mit. Ich wollte ihn auch nicht darum bitten. Den restlichen Tag verbrachte ich wie ferngesteuert und wie traumatisiert und ging früh schlafen. Was war das für ein schreckliches Jahr? Zuerst der Tumor, dann verliebe ich mich in jemanden, der nicht bleiben kann! Und von dem ich nicht einmal wusste, ob ich ihm überhaupt etwas bedeutete. Wie schlimm konnte dieses Jahr noch werden? Irgendwie spürte ich, dass mir dieses Jahr noch mehr Prüfungen auferlegen würde. Angst stieg in mir hoch. Die Angst, dass ich eventuell diese Prüfungen nicht bestehen konnte.
3
AUFBRUCHSTIMMUNG
Ein paar Tage später besuchte ich meinen Vater. Ich liebte meinen Vater sehr. Er ist in den letzten Jahren erblindet, hatte Demenz und wurde schon seit dem Tod meiner Mutter vor neun Jahren, von Pflegerinnen aus Rumänien betreut. Durch seine Intelligenz gelang es ihm sehr lange, gegen das Fortschreiten der Demenz anzukämpfen. Wir hatten schon seit einigen Jahren zwei sehr liebe und verlässliche Pflegerinnen: Gabi und Elena. Diesmal war Elena bei ihm. „Adriana, ich muss mit dir reden“, sagte Elena, als ich gerade mal eine halbe Stunde dort war. Das klang nicht nach einer netten Unterhaltung und gerade jetzt in meiner Situation mit Farid und in meiner finanziellen und beruflichen Situation, sowie mit der Aufregung wegen des Tumors, konnte ich wirklich kein weiteres Problem brauchen. „Die beiden Katzen müssen weg!“, forderte Elena. „Wir müssen uns um deinen Vater kümmern! Die Pflege wird nicht einfacher. Und überall sind Katzenhaare! Ich kann mich nicht um die Katzen auch noch kümmern. Gabi sieht das genauso! Wir können gerne einen Videocall mit ihr machen.“ Elena ließ mich überhaupt nicht zu Wort kommen und rief sogleich Gabi über Messenger an.
Es schien, als wäre Gabi gut vorbereitet auf dieses Gespräch gewesen, denn sie hob nicht nur gleich ab, sondern wusste sofort, worum es jetzt gehen sollte. „Elena hat Recht“, sagte Gabi. „Die Katzen sind nur Arbeit für uns. Dein Papa hat überhaupt nichts von den Katzen! Außerdem wollen wir mehr Geld. Wir sind beide schon einige Jahre bei euch und verdienen immer das gleiche. Wir sind beide gut ausgebildet und woanders zahlen sie auch mehr. Wir wollen mehr Geld haben. Ansonsten, es gibt genug andere Pflegerinnen und wir können auch einen anderen Arbeitsplatz haben.“ Dieses Gespräch überstieg nun wirklich meine Kräfte. Nicht nur, dass die geliebten Katzen meines Vaters weg sollten? Die beiden wollten auch mehr Geld haben? Ich zahlte von meinem Geld dazu, damit mein Vater in seiner Wohnung seine spezielle Betreuung haben konnte und jetzt sollte ich noch mehr zahlen? Das war mir überhaupt nicht möglich! Am liebsten hätte ich geschrien vor Verzweiflung. Am liebsten hätte ich mich irgendwo hinuntergestürzt, weil ich dieses Leben mit all seinen Schwierigkeiten, die derzeit so geballt auf mich einprasselten, nicht mehr aushalten konnte. Aber wieder dachte ich daran, dass ein Indianer keinen Schmerz kennt und wieder beherrschte ich mich, obwohl ich innerlich kochte vor Enttäuschung und Verzweiflung.
Nach dem Gespräch ging Elena einkaufen und ich war mit meinem Vater allein. „Was sagst du dazu?“, fragte ich Paps. „Warum hast du jetzt nichts gesagt? Die beiden wollen, dass ich deine Katzen weggebe!“ Paps wirkte verstört. Er hatte die ganze Zeit nichts gesagt, obwohl er genau gehört hatte, was Elena und Gabi mit mir besprochen haben. „Meine Katzen bleiben da“, sagte er bestimmt, aber verunsichert. „Dann müssen eben andere Pflegerinnen hierher kommen“, ergänzte er. Und genau das war die Antwort, die ich für meine Entscheidung gebraucht habe. In dem Moment entschied ich mich dafür, die Katzen zu behalten und eine Agentur zu engagieren, damit Gabi und Elena ihr Glück bei einer anderen Familie finden konnten. Meine Entscheidung stand fest und noch am selben Tag rief ich bei einer Pflegeagentur an und teilte erst ein paar Tage später den beiden mit, dass sie sich eine andere Arbeit suchen mussten. Sie waren schockiert, denn sie hatten mit dieser Entscheidung nicht gerechnet. Hätte ich nur einen