Da war was. Eine der Kerzen ist kaputt gegangen … wahrscheinlich ist sie schief gestanden. Das Wachs hat sich durch die Kerzenwand einen Weg gebahnt und ist über den Wannenrand in das Wasser gelaufen. Schließlich konnte ich das ausgelaufene Wachs im Wasser ertasten. Ich hob ein seltsames Gebilde heraus. Durch das Wasser wurde das Wachs sofort hart. Es sah aus wie eine wunderschön geformte Lilie, mit dunklen und hellen Blüten. Als ich diese Lilie in meiner Hand sah und bemerkte, wie wunderschön und zufällig diese Blume in meinem Badewasser entstanden ist, hörte ich ganz tief in mir drin meine innere Stimme sagen: „Alles wird gut! Mach dir keine Sorgen!“ Es war ein Gefühl von Freiheit und von einem tiefen Wissen. Ich wusste, mir konnte nichts passieren. Ich wusste, diese Lilie hat mir das Universum geschickt, damit ich fest an mich selbst und an eine gute Zukunft glaubte und mich von dieser Stimme leiten lasse. Auch wenn die Zeiten schwierig waren wusste ich, dass ich nur auf mein Innerstes zu hören brauchte. Diese Lilie gab mir, zusammen mit dem Mentaltraining, das ich gemacht hatte, ein gutes Gefühl und eine unglaubliche Kraft.
Am nächsten Tag fuhr ich zu dem Chirurgen. Ich hatte zu dem Zeitpunkt überhaupt keine Schmerzen mehr. Ich legte mich auf die Liege und der Doktor drückte auf meinem unteren Rücken herum. „Hm“, brummte er. „Wo ist das denn? Wo ist das denn?“ Er drückte eine ganze Weile und ich hatte überhaupt keine Schmerzen dabei. „Ah! Da ist etwas!“, rief er plötzlich. „Naja, so groß wie eine Erbse“, sagte er weiter. „Also die Operation wird sicher komplizierter als dieses Ding ist“, erklärte er mir. „Weil es an einer ungünstigen Stelle ist, gleich beim Becken. Da geht sicher öfters die Naht auf. Also einfach wird die Sache nicht.“ Er schien an dem Ding in meinem Rücken kein besonderes Interesse zu haben. „Also würden Sie sagen, ich sollte das nicht operieren lassen?“, fragte ich ihn. „Das hab ich nicht gesagt“, sagte er. „Das müssen Sie selbst entscheiden. Wollen Sie einen Termin, oder nicht?“ Ich nickte. Der Arzt begleitete mich zur Ordinationshilfe, die beim Eingang ihren Platz hatte und sagte: „Einen Termin im August!“ Dann reichte er mir die Hand, wünschte mir alles Gute und verschwand wieder. Ich war überrascht. „Ein Termin im August? Meine Hausärztin sagte, es wäre dringend und müsste sofort operiert werden?“, fragte ich erstaunt und sah die Ordinationsassistentin verwirrt an. „Wenn der Herr Doktor der Meinung wäre, dass es dringend ist, dann hätten Sie einen Termin nächste Woche bekommen!“, antwortete sie. „Dann brauche ich den Termin im August auch nicht“, erklärte ich ihr, bedankte und verabschiedete mich. Im Auto war ich überzeugt von meiner mentalen Stärke und von dieser mysteriösen Lilie, die ich am Vorabend aus meiner Badewanne, zusammen mit dieser inneren Botschaft erhalten habe. „Es ist viel mehr da, als wir uns vorstellen können“, sagte ich zu mir selbst. „Wir haben unsere Helfer in der Matrix, oder was immer das ist! Es ist alles erfunden und alles ist in uns! Es ist ein Spiel! Aber eigentlich habe ich keine Ahnung, was es wirklich sein soll. Keine Ahnung, was die Wirklichkeit ist!“
Ich meldete mich wieder gesund und erklärte meiner Ärztin, dass ich mich nicht operieren lassen würde. Sie machte einen besorgten Gesichtsausdruck und riet mir trotzdem ganz dringend zu dem Schritt. Trotzdem war sie auch sehr überrascht davon, dass der Chirurg plötzlich den Tumor nur noch als erbsengroß wahrgenommen hat und ich auch überhaupt keine Schmerzen mehr hatte. Sie konnte mich schließlich nicht davon überzeugen, mich operieren zu lassen und so machte ich mich auf den Weg nach Hause, schließlich musste ich meine Arbeit wieder aufnehmen. Ich war ja schließlich selbstständig und für das Laufen meiner Geschäfte selbst verantwortlich. Und ich war zum ersten Mal in 15 Jahren Selbstständigkeit im Krankenstand! Glücklich, motiviert und voller Tatendrang wegen dieser drei Wochen, die mich diese Krankheit beschäftigt hat, habe ich mein Verliebtsein zwar nicht vergessen, aber etwas in den Hintergrund gedrängt. Und genau in dem Moment, wo ich es überhaupt nicht mehr erwartete, schrieb er mir.
2
DIE ACHTERBAHN DES LEBENS
„Hallo, wie geht’s dir? Möchtest du mich heute um 20.00 Uhr wieder vom Bahnhof abholen?“ Ich war erstaunt und erfreut zugleich und natürlich enttäuscht, weil Farid sich mehr als drei Wochen lang nicht gemeldet hat und plötzlich so tat, als ob wir uns erst gestern gesehen hätten. Aber natürlich wollte ich ihn trotzdem abholen. Ich hatte große Sehnsucht nach ihm. Es war unheimlich, wie mich dieser Mensch nach nur zwei Begegnungen dermaßen in seinen Bann ziehen konnte. Deshalb sagte ich zu und machte mich auf den Weg, um pünktlich um 20.00 Uhr am Parkplatz des Bahnhofs zu warten. Es dauerte nicht lange, da kam er auch schon. Und sofort bemerkte ich in seinem Gesicht eine Traurigkeit, eine Verzweiflung, eine Angst. Er war noch nicht einmal in meinem Auto, trotzdem konnte ich in seinem Gesicht lesen, dass etwas nicht in Ordnung war. „Was ist passiert?“, fragte ich sofort, nachdem er sich ins Auto gesetzt hatte. „Ach, nichts“, antwortete er. „Doch, ich sehe es dir doch im Gesicht an, dass etwas passiert ist!“, bohrte ich weiter. „Was ist los?“ Schließlich erzählte er mir, dass er sich eigentlich heute von mir verabschieden wollte. Er wollte mich noch ein letztes Mal sehen. „Ich werde nächste Woche nach Frankreich fahren“, erklärte er mir traurig. „Ich kann hier nicht bleiben. Die Polizei hat mir eine Mahnung und eine Strafe geschickt und meine Rechtsanwältin hat mir geschrieben, dass ich bis zum 16. April das Land verlassen muss. Es ist aber so, dass die Polizei jederzeit kommen kann, um mich abzuschieben. Deshalb muss ich schnellstmöglich das Land verlassen.“ Ich war traurig und schockiert. Jetzt habe ich einen Menschen kennengelernt, der von Anfang an den Weg in mein Herz gefunden hat, auf eine Weise, wie es noch keiner vor ihm geschafft hat. Ich spürte, dass ich diesen Menschen liebe, dass er mein Seelenpartner ist, dass ich ihm von Anfang an vertraue und jetzt soll ich ihn einfach nach Frankreich aufbrechen lassen? Einfach so? Niemals! Ich wusste nicht,