Mordnacht. Dieter Weißbach. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dieter Weißbach
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Зарубежные детективы
Год издания: 0
isbn: 9783869066455
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gesagt, Sie schauen so aus.«

      »Ja, von seiner Frau.«

      »Frau Summer?«

      »Ja.«

      »Und bei Frau Zimmerl? Ist da auch schon jemand?«

      »Nein, der hat keine Frau und auch sonst keine Angehörigen. Zumindest sind keine bekannt.«

      »Er lebt allein?«

      »Ja.«

      »Vielleicht taucht ja noch jemand auf. Soll ja öfter vorkommen, wenn’s was zum Erben gibt.«

      »Wieso meinen Sie, dass es da was zu erben gibt?«

      »Nur so. Wie war’s bei Frau Summer? Wie geht’s ihr?«

      »Das können Sie sich ja denken. Nicht gut. Meine Frau bleibt noch so lange bei ihr, bis die Kinder da sind. Die Tochter lebt in München, und der Sohn ist Arzt in Füssen. Die sind gleich losgefahren. Wissen Sie«, fügte er erklärend hinzu, »wir kennen uns schon seit der Schulzeit, auch die Frauen.«

      »Auch den Herrn Zimmerl?«, fragte Paulig ohne nachzudenken.

      »Ja.« Bevor er weiterredete, zupfte er an seiner Nase und zog zugleich die Augenbrauen hoch, etwas, das Paulig noch öfter an ihm beobachten würde. »Haben Ihre Leute schon etwas herausgefunden? Gibt es schon eine erste Spur?«

      »Nein, noch nicht. Wir gehen aber erst einmal davon aus, dass es kein Raubmord war. Es ist alles noch da, Geld, Kreditkarten und so weiter. Bei beiden. Allerdings keine Handys. Wissen Sie, ob die beiden normalerweise eines mit sich trugen?«

      Neuner zuckte mit den Schultern.

      »Warum fragen Sie?«

      »Könnte ja sein, dass sie in der Freizeit …«

      Paulig brach ab. Sie war immer noch beschäftigt mit der Neuigkeit, dass alle drei sich gut kannten, wusste aber nicht, wie sie es auf die Schnelle einordnen sollte. »Wir wissen nur, dass der Täter äußerst brutal zugeschlagen haben muss. Bei beiden. Das Genick …«

      »Ich weiß«, Neuner hob abwehrend die Hände, »ich hab’s gesehen. Schrecklich. Wie bei einem Karnickel.«

      »Haben Sie eine Idee?«

      »Eine Idee? Ich? Sie meinen, wer das war? Nein. Nicht die geringste. Der Summer hatte keine Feinde, wenn Sie das meinen. Im Gegenteil. Wenn es überhaupt jemanden gibt, der keine Feinde hat, dann der Wolfram, also der Summer. Und der Zimmerl genauso wenig. Ich mein, Sie haben ihn ja gesehen. Wer soll so jemandem was antun wollen.«

      »Sie meinen, zur falschen Zeit am falschen Ort?«

      Paulig wusste aus Erfahrung, dass der Weg in die Hölle oft genug mit Pathos gepflastert war und ein Mensch ohne Feinde ungefähr so häufig wie ein Winter ohne Erkältung.

      »Das ist das Einzige, was ich mir vorstellen kann«, sagte Neuner rasch, Pauligs Meinung nach eine Spur zu rasch.

      Ihr Handy vibrierte: »Keine Handys gefunden«, lautete die Nachricht. »Auch keine weiteren Leichen. Bleiben dran.«

      »Okay«, schrieb sie zurück. Dabei fragte sie sich, warum Neuner eigentlich nicht auf die Idee kam, dass es vielleicht noch weitere Leichen geben könnte.

      »Hm. Wenn Sie gemeinsam aufgewachsen sind, dann gehe ich mal davon aus, dass die beiden Opfer sich auch kannten.«

      »Ja, natürlich. Hab ich ja gesagt.«

      »Ich wollte das nur noch einmal feststellen. Weil: Es passt zu der Annahme, dass der Täter seine Opfer, ich sage mal, abgepasst haben könnte. Ich könnte mir also schon vorstellen«, tastete sie sich weiter voran, »dass es vielleicht etwas Persönliches war. Außer einer der beiden hatte etwas dabei, von dem wir nichts wissen. Akten. Irgendwelche Unterlagen.«

      »Oder einen Koffer voll Geld«, schnaufte Neuner verächtlich. Sie und Neuner saßen sich gegenüber. Die Kommissarin in einem metallenen Besucherstuhl mit immerhin gepolsterter Lehne und Sitzfläche, der Polizeidirektor in einem bequemen Drehsessel. Zwischen ihnen standen zwei längsseitig aneinandergestellte Schreibtische, auf denen sich die üblichen Aktenberge erhoben, dazu Monitor, Tastatur, eine Maus mit weißblauem Rautenmuster und ein altmodisches Tischtelefon mit Gegensprechanlage. Zwischen Papierkorb und Rechner stand auf einer Gummimatte ein Paar rindslederne Jagdstiefel. Sie sahen aus, als würden sie ernsthaft warm halten.

      »Und der andere ist dem Täter irgendwie in die Quere gekommen«, fuhr Paulig ungerührt fort, »warum nicht? Oder ihre Handys. Vielleicht hatte es jemand auf ihre Handys abgesehen?«

      »Nein, die hatten keine besonderen Handys. Nur, was jetzt alle haben, so Smartphones. Aber um die wird’s ja wohl kaum gegangen sein.«

      »Vielleicht um das, was drauf ist.«

      »Was soll denn da drauf sein. Ich bitte Sie! Sie wissen wohl nicht, von wem Sie da reden. Das waren allseits geachtete Bürger, alle beide. Ich kann mich nur wiederholen. Und Feinde … das ist einfach absurd.«

      Es klang endgültig.

      Paulig zog die Schultern hoch und ließ sie wieder fallen. Die Richtung, in der der Kollege unterwegs war, war definitiv nicht zielführend. »Aber irgendwer hat sie schließlich umgebracht, und irgendwo müssen wir ja anfangen.«

      »Ich weiß. Aber wie gesagt …« Er schüttelte den Kopf und drehte sich weg. »Sie sind tot, das ist im Moment alles, was ich weiß. Sie sind tot, und ich versteh’s nicht. Ich mein, wer macht denn so was … Das ist doch … das ist doch krank … Das macht doch überhaupt keinen Sinn. Das kann doch nur ein Verrückter gewesen sein. Einfach totgeschlagen …«

      Es schien ihm wirklich nahezugehen, auf jeden Fall näher, als sie erwartet hatte. Eine unangenehme Situation.

      »Trotzdem …«

      »Haben Sie mich nicht gehört!«, fauchte er mit einer Stimme, die bei jedem Wort zu versagen drohte. »Ich sage, das ist unmöglich. Die hatten keine Feinde. Der Wolfram, und das sage ich nicht einfach dahin, der ist … der war ein Ehrenmann. Und zwar in jeder Hinsicht. Da können Sie fragen, wen Sie wollen, da wird Ihnen keiner was anderes sagen, aber schon gar keiner. Und der Erwin genauso.«

      »Ich finde es ja schön, dass Sie so eine hohe Meinung haben von Ihren Freunden, und ich verstehe auch, dass Sie einen persönlichen Hintergrund für die Tat ausschließen, Sie kennen sie schließlich besser als ich. Aber …« Ihr Gespräch war definitiv an einem Punkt angelangt, an dem jetzt, und zwar jetzt gleich, zu Beginn ihrer Zusammenarbeit, klargemacht werden wusste, dass sie mit Denkverboten nicht weit kommen würden und dass sie auch nicht gedachte, sich welche auferlegen zu lassen, Gefühle hin oder her. Und wenn er das nicht einsähe, könne er sich gerne über sie beschweren, wo auch immer. »Aber«, allein der Ton genügte, die unterschiedlichen Dienstgrade unter den Pflug zu nehmen, »Sie müssen mich schon auch verstehen, ich kann das nicht einfach ignorieren, nur weil Sie mit den Opfern befreundet waren. Auf jeden Fall werden wir mit dieser Einstellung nicht weit kommen. Aber …«, schaltete sie schnell wieder einen Gang zurück, »vielleicht wenden wir uns jetzt erst einmal dem Nächstliegenden zu. Bis jetzt sind das ja sowieso nur alles Spekulationen. Ich denke, vielleicht sollte ich mich als Erstes mit der Frau unterhalten, die Herrn Summer gefunden hat. Was meinen Sie, können wir die noch einmal sprechen?«

      Neuner seufzte. »Natürlich. Frau Andrä. Ich ruf sie an. Und bitte entschuldigen Sie, dass ich … das ist sonst nicht meine Art, dass ich so … Aber wie gesagt, der Wolfi, der Erwin …« Diesmal hatte er wirklich Tränen in den Augen. »Wollen Sie einen Kaffee?«

      »Ja, gerne. Ach ja, wir haben am Tatort Herrn Häusler getroffen. Er hat gesagt, dass Sie am Abend noch zusammen waren. Also Sie und …«

      Vielleicht war das der Grund, warum sie instinktiv davon ausging, dass keine weiteren Leichen gefunden würden. Als hätte ihr Unterbewusstsein bereits eine Art mentales Flatterband um diese fünf gezogen. Blöd nur, dass ein Polizeidirektor mit dabei war.

      »Ja, das stimmt.« Er schien nicht im Geringsten