Mordnacht. Dieter Weißbach. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dieter Weißbach
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Зарубежные детективы
Год издания: 0
isbn: 9783869066455
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ein »Gelobt sei Jesus Christus« hinterher und verschwand wie immer mit dem unbestimmten Gefühl, dass wieder einmal keiner verstanden hatte, um was es gegangen war. Aber anders konnte und wollte er nicht, entweder sie verstanden oder eben nicht, und besonders dieses Thema war peinlich genug.

      Aber auch Lufti fand schließlich einen Weg, mit seiner Andersartigkeit umzugehen. Von der sinnlosen Hoffnung getrieben, durch besonders männliches Verhalten seinen Makel zu besiegen, sein erwachendes Schwulsein auszureißen mit Stumpf und Stiel, warf er sich in die Schlacht. Oscar war’s recht. Raufen war seine Welt, und die drei anderen, Wolfram Summer, Erwin Zimmerl und Joseph Neuner, hatten keinen Grund, das anders zu sehen. Zusammen nannten sie sich die Enzianbrüder. Damals, Ende der Fünfziger-, Anfang der Sechzigerjahre, ging es bei Weitem nicht mehr so zur Sache wie noch zwanzig, dreißig Jahre zuvor, als zwischen verfeindeten Gemeinden noch regelmäßig die Messer gezogen wurden. Trotzdem waren die Wirthausschlägereien, die die fünf anzettelten, immer etwas ganz Besonderes gewesen im an Kurzweil dieser Art so reich gesegneten Werdenfelser Land.

      Begonnen hatte es in der Regel damit, dass sie sich unauffällig im Raum verteilten. Erwin blieb dabei stets in der Nähe vom Ausgang. Fasziniert beobachtete er von dort aus das Geschehen. Manchmal kam es vor, dass er sich vor lauter Aufregung einnässte. Er schob es dann immer darauf, dass er sich wo hineingesetzt hätte. Lufti fing an herumzustänkern, am liebsten bei den Holzknechten, die sich verwundert ansahen und meinten, ob er sich etwa verlaufen habe und ob sie erst den Krankenwagen anrufen sollten oder gleich den Abdecker, sich dann aber nicht lange betteln ließen und ihm erst einmal eine langten. Und er langte zurück. Wie ein blindwütiger Eber warf er sich in den Kampf. Jetzt trat Wolfram auf den Plan. Lautstark beschimpfte er die feigen Holzknechte, schrie, dass man es nicht zulassen würde, dass einer, der hier nur friedlich sein Bier trinken wolle, brutal zusammengeschlagen würde. Oscar war immer der Erste, der dem Ruf folgte und mit einem kernigen »Auf geht’s, pack mas« dem Bedrängten zu Hilfe kam und seinen massigen Körper in die Bresche warf. Er war es auch, der dafür sorgte, dass die von Lufti angezettelten Schlägereien nie zu dessen Nachteil ausgingen. Vielleicht weil er fühlte, dass die wahnhafte Wut, zu der der junge Lufti, der damals noch nicht so hieß, neigte, nicht reiner Rauflust entsprang, sondern eine tiefere Ursache hatte. Bei ihm, Oscar, war es das südländische Aussehen, all der Spott, dem er ausgesetzt war als Kind, was ihn trieb zuzuschlagen. Bei Lufti spürte er etwas Ähnliches, aber er hätte nicht sagen können, was. Erst viel später, als Lufti Häusler längst der war, als den ihn alle kannten und schätzten, als auch anderen sein Besonderssein auffiel, die ausgewählte Kleidung, der akkurat gestutzte Schnauzbart, die Art, wie er den Kopf hielt, seine Wortwahl, die Neigung, sich an gewissen Gesprächen nicht zu beteiligen, sich herauszuhalten, wenn es zotig wurde, begriff er. Aber er hätte ihn nie darauf angesprochen.

      Aus der Küche klang gedämpfte Zithermusik, eine von Marthas ausgeleierten Musikkassetten, Vroni war im Keller beim Umzapfen. Am Stammtisch saßen zwei Männer über ihrem Bier, die Rücken rund, die massigen Schädel zwischen die Schultern gezwängt, hinter ihnen der schwere Kachelofen – eine Dreifaltigkeit mit dem Verdrängungspotenzial eines mittleren Wals. Wer sich näherte, wusste, was er tat, wer meinte, sich ungefragt dazusetzen zu müssen, eher nicht.

      »Der Wolfram wird uns abgehen. Seine Verbindungen beim DSV waren schon Gold wert.« Oscar sah ihm an, dass er litt, trotzdem blieb er bei seinem geschäftsmäßigen Ton. »Also, das reißt schon eine Lücke, dass er jetzt …«

      »Ist das wirklich alles, was dir dazu einfällt?«, fuhr Lufti ihn an. »Der Wolfram und der Erwin sind tot, irgendein Wahnsinniger hat sie totgeschlagen, und du denkst ans Geschäft?«

      »Entschuldige«, gab Oscar sich zerknirscht. »Natürlich ist das furchtbar. Meinst du, mir geht’s anders … Das ist eben meine Art. Ich bin eben nicht so … Vielleicht liegt es am Beruf, was weiß ich …« Er merkte selbst, wie er sich immer weiter hineinritt. Mit fester Hand griff er nach seinem Bier.

      »Ja, ich weiß«, schnaufte Lufti. »Verzeih. Jeder geht eben anders mit so etwas um. Warum soll’s dir auch anders gehn. Entschuldige, ich wollt dich nicht anschnauzen. Aber das ist alles so … unwirklich.«

      Wenn Oscar Vincenti Gefühle zeigen wollte, tat er das am besten, indem er sich ein wenig kleiner machte und erst einmal schwieg.

      »Und, was machen wir jetzt?«, schleppte Lufti sich zurück ins Gespräch.

      »Ja mei«, Oscar schob unauffällig seinen Hintern nach vorne, was ihn wieder ein Stück wachsen ließ, »was sollen wir schon machen. Das Leben geht weiter, ob uns das jetzt passt oder nicht. Weißt, ich hab das jede Woche in meiner Kanzlei, und glaub mir, wenn ich da nicht immer meine Gefühle im Griff hätt … Aber denen sag ich auch nichts anderes, als dass das Leben einfach weitergeht, egal, ob einem gerade der Sinn danach steht oder nicht, was will man machen. So ist es halt.« Er nahm noch einen Schluck, wischte sich breitflächig über den Mund und gab dann ein seiner Körperfülle angemessenes Schnauben von sich. »Ich würd sagen, jeder macht einfach da weiter, wo er gerade ist, nimmt seine Termine wahr, und die vom Wolfram und vom Erwin teilen wir einfach auf. So viele werden es schon nicht gleich sein.«

      »Hm. Ist das nicht gefährlich?« Ohne es zu merken, übernahm Lufti Oscars sachlichen Tonfall. »Ich meine, dann werden vielleicht, wie soll ich sagen, Verbindungen offenbar …«

      »Hast du eine bessere Idee?«

      »Nein … Aber …«

      »Ich würd sagen, wir warten erst einmal ab, was der Joseph meint. Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass er da anders denkt. Ich hab auch schon die Firma informiert. Der Pelzer sieht das genauso. Er meint, dass wir immer noch am besten wüssten, was zu tun sei. Auf jeden Fall keine Hektik verbreiten.« Er senkte seine Stimme zu einem bedrohlichen Murmeln. »Mich interessiert vor allem, wer das war. Den wenn ich erwisch, den schlag ich tot wie einen Ratz. Und dann auch noch den Erwin. Der hat doch wirklich keiner Fliege was zuleide tun können. Ich sag dir, den wenn ich in die Finger krieg.« Er ballte die Faust, beugte sich dann zu Lufti und sagte leise: »Dass wir uns da einig sind, also wegen gestern. Ich mein, dass wir uns da vielleicht abstimmen. Also nur, damit das keine überflüssigen Diskussionen gibt vonseiten der ermittelnden Beamten.« Bevor er weiterredete, schaute er sich unauffällig um. Sie waren nicht mehr alleine im Stüberl. Der Bürgermeister bei seinem zweiten Frühstück und der Morgenzeitung, ein Tisch Bauern, die sich nach dem Markt hier verabredet hatten, und die Tankwartin von gegenüber. »Also«, fuhr er fort, »wegen der Kommissare aus München. Die werden schnell heraus haben, dass wir gestern Abend zusammen waren.«

      »Das wissen die schon. Ich hab’s ihnen gesagt.«

      »Ah so …? Ja, logisch. Du hast sie ja getroffen. Aber gut … Nein, ganz gut. Dann ist das wenigstens schon vom Tisch. Du hast ihnen doch nicht erzählt, über was wir geredet haben?«

      »Natürlich nicht. Also bitte. Das haben die aber auch gar nicht nachgefragt.«

      »Gut. Wir treffen uns wegen der alten Zeiten, ganz einfach. So hab ich das auch schon mit dem Joseph besprochen. Wir haben übrigens schon einen Termin. Um fünf sollen wir unsere Aussagen machen. Ich hoff, das passt dir.«

      »Ja, passt … Aber was anderes, was mir nimmer aus dem Kopf gehen will …«

      »Was?«

      »Ja, denkst du dir das nicht?«

      »Was?«

      »Was, wenn der weitermacht?«

      »Wer?«

      »Ja, der halt. Der den Erwin und den …?«

      »So ein Schmarrn. Wie kommst denn auf so was?«

      »Wenn’s nur der Erwin g’wesen wär«, sinnierte Häusler. »Aber so … Und dann, dass der noch einmal los ist, mitten in der Nacht.«

      »Ja, das stimmt. Dass der Erwin in der Nacht da herumhatscht, versteh ich auch nicht. Noch dazu mit seinem Haxen. Aber was in dem seinem Kopf vorgeht, war mir immer schon ein Rätsel. Andererseits, allein daran sieht man, dass das ein Zufall sein muss. Dass der noch mal losmarschiert, noch dazu bei dem Schnee, auf so etwas rechnet doch wirklich keiner.«

      Tische