Lucy fällt. Gaby Mrosek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gaby Mrosek
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347049574
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so, wie ich bei unseren Treffen auftrete. Das dient nur zu deinem Besten. Lass dich niemals von einer Hülle täuschen. Ach, und ja, du darfst Josua zu mir sagen. Das ist sogar völlig in Ordnung.“

      Lucy atmet tief durch. Dabei hält sie ihre Augen geschlossen. Ihre Logik, ihr Verstand, schlägt Purzelbäume und versucht irgendwelche Puzzleteile zusammenzusetzen, die gar nicht zusammengesetzt werden können. Sie hat nur zwei Möglichkeiten: entweder alles skeptisch zu hinterfragen und hierbei nicht mitmachen zu wollen, weil es so irre ist, oder auf ihr Gefühl zu hören, das genau in der Bauchmitte ganz warme Wellen wirft. Liebe durchströmt sie da und eine Ahnung, dass sie ihre Monster anschauen muss, wenn sie etwas lernen will, das sie aus ihrer selbstgemachten Hölle befreit. Ihr wird gerade deutlich klar, wie sehr sie Menschen nach der Optik beurteilt. Ja, da ist eine Enttäuschung, weil er sich nicht mehr als äußerst attraktiver junger Mann zeigt, sondern als dickliche Frau, mittleren Alters. Und nein, das will sie nicht mehr.

      „Josua, sag mir, was du mir in diesem Haus zeigen möchtest“, bittet sie.

      „Du bist wahrhaftig bereit, Liebes. Bevor ich dir gleich etwas sehr Wichtiges zeige, geht es noch einmal in einen theoretischen Teil. Dann bist du endgültig vorbereitet. Und zwar so gut, dass wir endlich loslegen können.“ Ein Lächeln zieht sich über das volle schwarze Gesicht, und es ist so einladend, dass Lucy meint, ein Leuchten zu erkennen. Trotzdem hakt sie nach: „Aber ich dachte, wir hätten schon längst losgelegt. Ich war schon in der Berghütte und habe die Teigmetapher gelernt. Ich habe meine Beziehung zu dir überdacht und bemerkt, dass ich ganz neu auf all die Religionen, die stark begrenzen und gar nicht liebevoll sind, schauen sollte. Ich habe dich als Bruder akzeptiert und habe dich…hm…darf ich es sagen? Ich habe dich vom Kreuz genommen – in meinem Geist…“

      „Juchu Lucy!“, freut sich Josua und umarmt sie so herzlich, dass ihr vor lauter Glück ganz warm ums Herz wird.

      „Das ist genau der richtige Ausgangspunkt. So kann ich dir hilfreich zur Seite stehen. So bin ich dir ganz nahe – näher noch als dein Herz. Und dass du diese Dinge tatsächlich jetzt aussprichst, zeigt mir deine Bereitwilligkeit. Dennoch waren alle Sequenzen, die du während deines Fallens erlebt hast, bis jetzt lediglich Vorbereitungen. Dein Geist muss felsenfest überzeugt sein, dass er heilen will in all seinen scheinbaren Außenbeziehungen. Vertrauen ist das aller wichtigste. Du vertraust mir doch?“

      „Und ob ich dir vertraue!“, ruft sie aus.

      „Ich habe erstens schon lange nicht mehr so intensiv etwas gewollt, wie zu heilen und nochmal neu auf alles zu schauen, und zweitens habe ich noch nie jemandem so sehr vertraut wie dir gerade…“

      „Dann geht es jetzt wirklich los, Lucy – Lichtträgerin…“, Josua schaut sie noch einmal prüfend an und sagt feierlich: „Du bist bereit. Dann lehn dich entspannt zurück und höre mir gut zu.“

      „Okay, Bruder Josua“, lacht sie heiter und spitzt ihre Ohren.

      „Glaubst du, dass es irgendein lebendiges Wesen in dieser Welt gibt, das nicht früher oder später mit Leid konfrontiert wird? Egal ob es sich dabei um das eigene Leid oder das eines anderen handelt? Die Formen können dabei stark variieren. Bei dem einen ist es eine schwere Krankheit oder auch nur ein leichter Schnupfen. Bei dem anderen handelt es sich um den Verlust eines geliebten Menschen durch Tod oder ganz einfach, weil dieser nicht mehr mit ihm sein will. Leid hat viele Facetten und unzählige Nuancen. Und sehr oft begegnet es dir so geschickt verkleidet, dass du es nicht einmal als das, was es ist, erkennst. Nehmen wir das Beispiel Essen. Stell dir vor, dein Magen knurrt, du hast richtig starken Hunger. Du bist aber in einer halben Stunde mit deinen Freunden in deinem Lieblingsrestaurant verabredet. Und du freust dich auf deine Lieblingspizza und ein gutes Glas Rotwein. Da steckst du doch dein Hungrigsein locker weg, oder? Schließlich erwartet dich gleich etwas Schönes: deine lieben Freunde, das tolle Ambiente und natürlich richtig gutes Essen. Da lohnt es sich zu warten. Was merkst du nicht? Dass du leidest! Jetzt und genau in diesem Augenblick leidest du. Es gibt in Wahrheit nur diesen einen Augenblick. Wo du noch in deinem Büro sitzt, einen letzten Bericht für heute fertig tippst und dein Magen laut rumort, was sich nicht gut anfühlt. Die Abbildung des italienischen Essens in deinem Geist ist eben nur was sie ist: ein Bild. Genau das ist eigentlich die Art und Weise, wie die gesamte Menschheit ihr körperliches Leben fristet: der Wecker weckt dich am Morgen, du bist noch so müde – Leid. Du frierst, wenn du aus der Dusche kommst – Leid. Die Allergie lässt deine Augen brennen – Leid. Der Nachbar hat dich vor der Haustür gar nicht nett gegrüßt – Leid. Zwei Stunden nach dem Frühstück hast du schon wieder Hunger – Leid. Du isst etwas, obwohl du ja eigentlich ein paar Kilos abspecken wolltest – Leid. Und dann kurze Wohlfühloasen darin: Mitten in der Hungerattacke bekommst du eine süße WhatsApp Nachricht von deinem Partner oder den Anruf aus der Arztpraxis, dass die Blutwerte alle in Ordnung sind. Und so merkst du gar nicht, dass du dich mehr schlecht als recht durchs Leben hangelst.

      Jedes Menschlein, kommt irgendwann an den Punkt, an dem es alles in Frage stellt, an dem es sich fragt, wozu das alles gut sein soll. Oft ist es in der Mitte deines Lebens, in der du innehältst und einen neuen Weg suchst. Auch wenn es dir bereits mit fünf oder erst mit 85 dämmern kann. Wenn du dann tatsächlich genau an diesem Punkt angelangt bist, gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder du wendest dich schnell wieder der Tagesordnung zu und überdeckst all das mit so viel Illusionen wie eben möglich oder du wählst eine neue Art des Sehens. Wenn du wahrhaftig bereit bist umzudenken, dann bekommst du wie von Zauberhand sofort eine Hilfestellung, die du benutzen kannst und die für dich persönlich zugeschnitten ist. Ja, es ist wirklich so: du entscheidest den Zeitpunkt der Umkehr aus allem Leid in vollkommene Liebe. Mit dieser Entscheidung kommt auch alle Hilfe, um das Ziel zu erreichen. Du musst sie nur erkennen und deine Vorstellungen von Hilfe mal ganz schnell über Bord werfen. Denn dieses Raustreten aus dem alten Leben fühlt sich nicht zwangsläufig gut an. Du wirst vielleicht sogar denken, von dir würden Opfer verlangt werden. Letztlich ist es so, dass du bemerkst, dass es da zwei Glaubenssysteme gibt, die nicht zeitgleich bestehen können, weil sie ganz andere Ansätze haben und sie niemals kombiniert werden können, wie dieses schöne alte Beispiel der Schwangerschaft: ein kleines bisschen schwanger geht nicht. Entweder schwanger oder nicht schwanger. Um es deutlich auszudrücken, du entscheidest dich entweder für die Liebe oder die Angst. Entweder - oder. Ganz oder gar nicht. Beides zusammenzubringen ist absolut inakzeptabel. Es geht einfach nicht. Da wo Angst ist, ist die Liebe fern, und da wo die Liebe ist, gibt es keine Angst. Beides kannst du nicht gleichzeitig fühlen und sein, denn das eine leugnet das andere. Punkt.

      Wie also kannst du vorgehen, wenn du alles Leid nicht mehr willst - egal, um welche Form es dabei geht? Tatsächlich wirst du als erstes bemerken, dass du statt des Leides eigentlich nur das eine ersehnst: und das ist Frieden. Frieden ist das höchste Ziel, das du als scheinbarer Mensch auf Erden erreichen kannst, und es ist so wundervoll, wenn Heilung um dich herum geschieht. Wenn du im Frieden bist, dann kannst du diesen Frieden auch geben. In jeder Aufruhr kannst du ihn ausdehnen. Das ist deine eigentliche Aufgabe in einer verrückten Welt des Chaos. Alles gut und schön. Doch wie kommst du in diesen tiefen Frieden? Nun, zuallererst gilt es, eine echte Bereitwilligkeit aufzubringen. Ohne deinen Willen geht gar nichts. Du musst dann tatsächlich jeden Wert in Frage stellen, den du jemals für dich entworfen hast. Und hier möchte ich gerne mit einem greifbaren Beispiel beginnen. Hast du Lust, das mit mir zu teilen? In ein kleines Gedankenschauspiel einzutauchen?“, Josua hält inne und schaut Lucy prüfend an. Diese nickt hochkonzentriert und sehr neugierig.

      „Gut“, fährt sie fort, „dann stell dir einmal eine Kommode vor. Eine richtig große Kommode mit vielen kleinen Schubladen darin. Und wie das so mit Schubladen ist, kann man sie unterschiedlich füllen. Je nachdem wo die Kommode steht, befinden sich die verschiedensten Dinge darin. Im Schlafzimmer sind es vielleicht Unterhosen, T-Shirts, Socken oder Schmuck. In einer Apotheke vielseitige Medikamente, chemische oder auch pflanzliche oder ausschließlich Homöopathische. In jeder Schublade sozusagen Fläschchen mit Globuli ganz im Sinne des Vaters Hahnemann. So manch unordentlicher Teenager benutzt den Schrank, um alles Mögliche an Zeug ganz unachtsam hineinzustopfen. So unachtsam, dass er nichts wieder findet, weil ganz einfach eine Ordnung fehlt und das Chaos herrscht.

      Stell dir jetzt vor, dass du nicht der Besitzer, sondern du diese Kommode selbst bist.