„Weißt du“, sagt sie nach einer kleinen Weile, „was du sagst, klingt irgendwie logisch und vertraut. Es klärt auch diese kleinen Gedankenfehler auf. Z.B. fragte ich mich immer – wie die meisten anderen Menschen wohl auch – wie kann Gott das alles zulassen? Das ist ja schon fast eine Standartfrage. Für Atheisten ist klar, dass es Gott nicht geben kann, weil es so viel Gräuel auf der Welt gibt, und die Gläubigen fragen sich, ob sie geprüft werden oder so… Wenn ich verantwortlich bin, dann habe ich ja all den Mist zusammen mit allen in Gang gesetzt. Ist wohl an der Zeit aufzuräumen.“
„Ja, Lucy, du bekommst genau jetzt die Chance, dein Leben und all deine Beziehungen anders zu betrachten und in Liebe zu heilen. Hab keine Angst! Die gilt es zu kontrollieren! Ansonsten dringst du nicht zur Wahrheit vor.
Schau dir einfach die Welt an, in der du lebst. Sie ist scheinbar bunt, aufregend und voller Chancen. Sie steckt aber auch voller Dramen, Ungerechtigkeiten und Chaos. Alles ist hier möglich oder auch nicht. Du lebst mitten in einer Wundertüte. Du weißt ja, wie das mit Wundertüten ist: Du betrachtest sie von außen, bist ganz neugierig und reißt sie voller Erwartungen auf. Dann freust du dich entweder oder bist enttäuscht. Irgendwann verlässt du aber deine Kindheit, in der du dich von Wundertüten, Überraschungseiern und Geschenkverpackungen hast ködern lassen. Du wirst erwachsen und erkennst ganz einfach, dass deine Welt nicht deine Welt ist. Du erkennst die Kulisse, hinter der es hohl und leer ist. Wenn du wirklich erwachsen geworden bist – und ich meine geistig erwachsen, nicht körperlich, denn der Körper täuscht gewaltig – dann suchst du den Ausgang aus der Matrix.“
„Wow“, flüstert Lucy und plötzlich wird es ganz klar und deutlich sichtbar in ihrem Geist. Es fühlt sich an, als würden schwarze Gewitterwolken langsam heller werden, um sich schließlich ganz aufzulösen oder ganz einfach davonzuziehen.
„Das, Liebes, ist Vergebung, wie ich sie dich lehren kann. In der Dualität ist Vergebung eine Farce. Schau dir an wie verrückt dieses Spiel ist, das ihr Menschen da spielt. Es wird gemordet und betrogen und belogen. Und dann verlangt ihr voneinander Vergebung für all das Schlimme, das ihr euch angetan habt. Jemand der die aller schrecklichsten Dinge, die ihm zu widerfahren scheinen, vergibt, gilt bei euch als großzügig, edel und charakterstark. Wenn jemand ein verzeihendes Opfer, womöglich ein sich aufopfernder Märtyrer ist, dann hat er eure ganze Bewunderung. Ich sage dir, Lucy, es ist nicht so. Das ist irre und wahnsinnig und hat nichts mit Vergebung zu tun. Denn sieh es mal richtig herum: kannst du einem Mörder wahrhaftig vergeben, wenn er dein Kind getötet hat? Und ich rede hier von wirklich getötet. Es wird nie wiederkommen. Er hat es dir weggenommen und ihm auch noch wehgetan. Lucy, wenn das die Wahrheit wäre, dann wäre Vergebung unmöglich. Dann wäre jeder Schmerz wahr und unwiderruflich geschehen. Dann würde es wohl keinen einzigen Menschen geben, der nicht letztendlich für seine Übertretung der zehn Gebote in der Hölle landen würde. Und es würde bedeuten, dass Gott ein rachsüchtiger Schöpfer wäre, der selbst auch töten könnte. Lucy, er könnte töten, was er in Liebe erschaffen hat. Das ist so verrückt und so paradox. Leben ist von ihm und er erschafft nur wie sich selbst. Also kannst auch du nur leben und lieben. Alles andere ist lediglich in einer Fehlschöpfung möglich, die nichts ist. Sie ist nichts als ein Traum, den du meistens als sehr real erlebst. Doch dieses reale Leben, das lebt um zu sterben, ist reine Science Fiktion. So, und jetzt erzähle ich dir, was wahre Vergebung ist. Vergebung, die der Schlüssel zum Erwachen ist. Deine Fahrkarte in die Freiheit. Du vergibst lediglich, was ein anderer und du nicht getan habt. Du vergibst deinen Traumgestalten, deinen Filmsequenzen, deinen Projektionen. Nur dein Erwachenwollen aus einem tiefen Schlaf, lässt dich langsam aber sicher erkennen, dass deine Augen täuschen und deine Ohren falsch hören. Letztendlich ist dir irgendwann klar, dass du eine Rolle in deinem eigenen inszenierten Stück spielst und jeder deiner Co-Mitspieler nur gemeinsam mit dir agiert. Wenn du wirklich und wahrhaftig erkennst, dass alle scheinbaren Taten, die guten und die bösen, die von dir begangenen oder von anderen, nicht echt sind, weil sie nichts Echtes bewirken können, dann lässt du sie vergehen. Du vergibst dir selbst für dein falsches Sehen und lässt alles in Liebe heilen.“
Er lehnt sich entspannt auf dem Stuhl zurück und isst einen der Vanillekipferl.
„Hm“, macht Lucy und versucht, die ganzen Informationen zu verarbeiten, „aber wie erkenne ich denn, dass ich etwas verursache und nicht der andere?“
„Du wirst alles besser verstehen lernen und zwar noch bevor du unten auf der Straße angekommen bist, Liebes. Aber um es ein für alle Mal deutlich zu machen: du bist für alles verantwortlich was du siehst und erfährst. Du willst nicht mit dieser Schuld leben, projizierst sie heraus und siehst sie dann in anderen, die scheinbar die unmöglichsten Dinge tun. Dann versuchst du das Außen zu verändern, was aber nicht den erwünschten Effekt hat. Wenn du deine Lektionen nicht lernst und nicht vergibst, wirst du wieder in ähnliche Situationen kommen. Stell dir vor, dein Gesicht ist schmutzig und anstatt es zu waschen, guckst du es dir im Spiegel an und putzt ihn energisch, in der Hoffnung, der Dreck würde so verschwinden.“
Lucy muss lachen und Josua erwidert: „Ja, das ist zum Lachen, weil es so ein klares Beispiel ist. Doch in deinem Leben siehst du das ganz anders und das, obwohl es in Wahrheit nichts anderes ist. Stattdessen wunderst du dich, warum dir wieder und wieder so ein Mist passiert, du ständig auf dieselbe Art von Mensch hereinfällst. Jetzt weißt du es und kannst das verändern. Doch kommen wir auf die Beziehungen zurück. Vergib mir als erstes, Lucy. Dann können wir den nächsten Schritt wagen.“