„Aber, aber…aber“, stottert er und starrt lautlos auf seine Füße. „Ich habe mich einfach nicht getraut“, haucht er nach einer Weile, weil ich ihn immer noch wartend ansehe.
Tränen schießen mir in die Augen und ich drehe mich um und fahre weg, ohne, dass er noch etwas sagt.
Ich fahre zum Klo und sehe im Spiegel in mein verheultes Gesicht. Franziska, was machst du denn immer falsch? Ich drehe mich um und fahre wieder hinaus, um noch ein bisschen frische Luft zu schnappen. Francesco hängt mit ein paar seiner Kumpels ab. Eilig bei ihm angekommen frage ich ihn, ob ich ihn mal kurz sprechen könne. Er sieht mich mit besorgtem Gesichtsausdruck an und schiebt mich ein bisschen weg von seinen Freunden.
„Schwesterlein, erzähl mal, was los ist! Du siehst ja gar nicht gut aus!“
Ich schluchze schon wieder los: „Alles ist so schrecklich! Basti beachtet mich gar nicht und meine Freundinnen haben mich gar nicht begrüßt… was soll ich nur tun?“
„Erstmal gehst du in die zweite Stunde Unterricht, und dann kann ich ja mal mit Basti reden, er ist ja in derselben Klasse wie ich.“ Francesco nimmt mich in den Arm und drückt mich fest. „Ich bring' dich jetzt in die Klasse und du tust einfach so, als wären sie für dich auch alle nur Luft!“
In der Mathestunde angekommen, ermahnt mich Herr Müller: „Na, Franziska, wieder mal zu spät?“ Sehnsüchtig warte ich an meinem Platz neben Max auf den Moment, an dem der Schultag endlich vorbei sein und ich mit Francesco nach Hause fahren kann.
Mein wunderschöner Rollitraum
Wieder zu Hause angekommen, muss ich mir die neugierigen Fragen anhören, wie der Schultag gewesen sei. Ich antworte nicht. Francesco zeigt mit dem Daumen Richtung Boden und meine Mutter guckt ganz traurig. Doch sie sagt nichts. Francesco möchte von Mama wissen, ob er einen kurzen Moment lang mit ihr alleine reden könne. Ich fahre raus und lausche durch die Tür.
„Was war denn los?", fragt Mama.
Francesco erzählt und zieht seine Schlüsse: „Ich glaube, den Stress können wir ihr wirklich nicht antun. Gibt es denn keine andere Möglichkeit?“
„Die gibt es schon - aber das ist sehr teuer und ein bisschen weit weg. Sie könnte in ein Internat gehen. Da müsste ich mal ein wenig herumtelefonieren und mich erkundigen. Vielleicht gibt es einen Kostenträger. Aber ich denke, sie sollte es trotzdem noch einmal versuchen. Und du solltest sie dabei unterstützen… “
„Habe ich doch gemacht, Mum!“, fällt er ihr ins Wort.
„Wenn das nicht funktioniert, werde ich mich darum kümmern, dass sie auf eine andere Schule geht. So - aber jetzt gibt es Abendbrot. Sag' Franziska, dass sie noch ein bisschen mit Christina spielen soll, bis das Essen fertig ist. Dann geht es ihr bestimmt besser. Und du kannst mir dann beim Tisch Decken und Kochen helfen. Heute gibt es Nudelauflauf, den mag sie ja so gerne.“
Ich rolle mit dem Rollstuhl ins Wohnzimmer, wo schon Christina mit ihrer neuen Puppe wartet. Wir spielen ein bisschen mit ihrer Puppe, bis es Essen gibt und Papa nach Hause kommt. Er fragt mich, wie es heute in der Schule gewesen sei. Doch Mama macht seltsame Zeichen, die bedeuten sollen, dass dies kein gutes Thema sei und so hört er sofort auf.
Nach dem Essen gähne ich: „Ich möchte noch ein bisschen Musik hören, während ich mich bettfertig mache.“
„Klar doch, mein Schatz – war ja ein anstrengender Tag! Ich komme gleich noch mal, um dich zuzudecken.“ Sie gibt mir noch einen GuteNacht-Kuss und stellt die Musik an. Grade erst hat sie mir die neue Bosse-CD gekauft.
Kurze Zeit später kommt auch Christina im Schlafanzug zur Tür herein, gibt mir einen GuteNacht-Kuss und sagt mir, dass sie mich liebhabe. Während die CD läuft, schlafe ich langsam ein und träume davon, wie ich mit Leichtigkeit zu tanzen beginne - ganz so, als ob mein Rollstuhl ein Flugzeug wäre und mich tragen würde. Mit dem neuen Traummann könnte ich alles schaffen, was ich mir wünsche. Träume sind immer so leichtfüßig - man vergisst die Wirklichkeit und wenn man aufwacht, probiert man, in der Realität wieder anzukommen.
Mein neues Ich
Ich habe die Idee, mich für die Schule so richtig aufzustylen - dann schauen die anderen nicht so blöd aus der Wäsche. Ich hieve mich in meinen Rollstuhl, da klopft es schon an der Tür und meine Mama kommt rein.
„Soll ich dir helfen beim Aufstylen?“
„Vielleicht nachher, ich muss nochmal ins Bad.“
„Du rufst mich, wenn du mich brauchst?“
„Ja Mama.“
Später hilft sie mir bei meiner Frisur und wir runden mein Outfit mit einem Lidschatten und einem hellen Lippenstift ab. Zum Schluss steckt sie mir noch kleine Herzohrringe in meine Ohrlöcher. Während wir mich im Spiegel betrachten, kommt uns beiden der Gedanke, dass wir ein tolles Team sind - zumindest, wenn es um das Thema „Styling“ geht.
Ich fahre neben Francesco in die Schule. Diesmal fahre ich alleine zum Klassenzimmer, in dem wir die erste Stunde IT haben. Im Raum angekommen, stelle ich mich neben Lola, meine alte Freundin. Doch sie sieht sofort weg. Zum Glück habe ich mich schon damit abgefunden, dass sie mich jetzt so behandelt, denke ich im Stillen. Die fünfte Stunde fällt aus und doch kommt es mir vor wie eine Ewigkeit, bis ich endlich nach Hause fahren kann. Weder Basti, noch eine meiner Freundinnen haben mit mir gesprochen. Wieder mal musste ich auf die Mädchentoilette um zu weinen.
Plötzlich spüre ich eine Taubheit, die versucht, sich in meinen Fingerspitzen breit zu machen. Ich drücke stark meine Finger, um sie aufzuhalten und schüttele schließlich über mich selbst den Kopf - was soll ich nur mit Freunden anfangen, die mich nicht so akzeptieren, wie ich bin? Dann können sie mir auch gleich gestohlen bleiben.
Ich beiße mir so heftig auf die Lippe, dass sie fast zu bluten anfängt. Glück und Erleichterung machen sich breit, als wir nach der Rückfahrt endlich zu Hause ankommen. Mama wartet schon auf mich und fragt, wie denn der zweite Schultag gewesen sei.
„Sie haben nicht mit mir gesprochen und mich nicht angesehen. Ich will da nicht mehr hin“, keife ich und will schon in mein Zimmer rasen, als Mama erwidert: „Ich überlege mir was anderes, versprochen!“
In meinem Zimmer mache ich mir ganz laut Musik an. Ich weine und weine, bis ich fast keine Tränen mehr habe. Plötzlich kommt mir ein Geistesblitz: Ich kann ja zum Zeitvertreib mit Christina Slalom fahren! Das ist bestimmt eine gute Ablenkung. Ich rolle aus dem Zimmer und frage Mama: „Wo ist Christina?“
„Im Wohnzimmer. In zehn Minuten gibt es Abendessen!“
Dort angekommen, rufe ich Christina zu: „Möchtest du Rollstuhlfahren lernen?“
„Ja, das wäre toll!“, freut sich meine Schwester wie ein kleines Wiesel. Ich rutsche aus dem Rollstuhl und lege mich auf den Teppich, damit Christina einsteigen kann. So kann ich meiner kleinen Schwester Tipps geben. Ich finde, dass sie das sogar sehr gut kann, besser als ich sogar.
Nach all den Slalomfahrten ist das Wohnzimmer zur Baustelle geworden - die Sitzkissen sind heruntergeplumpst und eine Lampe ist heruntergefallen. Wir sind so aus der Puste, dass wir uns vor Lachen die Bäuche halten und stoßen beide gleichzeitig ein „Oh je!“ heraus.
„Rollstuhlfahren muss gelernt sein!“, ermahnt sich Christina.
„Ach ja“, winke ich ab, „mit der Zeit bekommst du das schon hin!“
Beinahe hätte sie mich umgefahren, wenn nicht Mama zum Abendessen gerufen hätte. Es gibt Kartoffelgratin mit Blumenkohl und Fleischbällchen, das schmeckt so gut.
Nach dem Essen ruft Mama mich zu sich. Ich ahne schon, dass sie mir etwas Gutes mitteilen will, denn mein Körper kribbelt schon beim Klang ihrer Stimme.
„Mein Mäuschen, ich weiß, dass es dir nicht gut geht. Ich habe mal ein bisschen rumtelefoniert, ob es ein Internat für dich gibt und wer die Kosten übernehmen würde. Papa und ich können