Der Mephisto-Club. Maria Anne Anders. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Maria Anne Anders
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783942672801
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Superhaare schüttelt, während sie laut auflacht. Den beiden Jungs, die sich eigentlich auf ihre Matheaufgaben konzentrieren sollten, fallen dabei fast die Stifte aus der Hand oder die Augen aus dem Kopf oder so.

      „Echt peinlich, wie die sich an Pawlowka ranschmeißen“, sage ich zu Karim. „Sie hat doch einen Freund. Und seit wann sind ihre Haare eigentlich pink?“

      „Du hast wieder mal überhaupt nichts mitbekommen.“

      „Hat sie die Haare denn schon länger gefärbt?“

      „Ich meine das mit Benny. Pawlowka hat mit ihm Schluss gemacht.“

      „Bravo“, imitiere ich die Stimme unseres Rektors. „Andere Mädchen sollten sich ein Beispiel an Pawlowka nehmen.“ Karim und ich sind uns nämlich darin einig, dass Benny der größte Kotzbrocken aller Zeiten ist. Am Schulkiosk drängt er sich immer nach vorne. Als Karim sich einmal darüber beschwert hat, hat Benny ihm den Ellbogen noch fester gegen die Schulter gerammt und ihn als kleinen Hosenscheißer bezeichnet.

      Wie gesagt, Benny ist ein Arsch. Leider sehen das viele an unserer Schule anders, besonders die Mädchen. Er ist eben ein besonders hübscher Arsch, wie Karim immer sagt. Und außerdem spielt er Fußball in der Kreisliga, und seine Noten sind auch ziemlich gut.

      Ich finde das beängstigend.

      „Was meinst du, soll ich mein Glück versuchen?“, fragt Karim und nickt wieder in Richtung des Mathe-Standes.

      „Ich dachte, du stehst wegen Mathe auf der Kippe.“

      „Du kannst ja die Aufgaben für mich lösen“, schlägt Karim vor. Mathe ist nämlich das einzige Fach, in dem ich immerhin auf einer Zwei stehe.

      „Beim Wettbewerb haben doch nur Leute aus der Oberstufe eine Chance“, sage ich. „Und außerdem will ich kein altes Mathebuch gewinnen.“

      „Ich auch nicht. Aber irgendwie muss ich an Pawlowka rankommen.“ Karim legt seine flache Hand auf die Brust und starrt den Mathe-Stand an.

      „Echt jetzt?“, frage ich. „Sie ist doch viel zu alt für dich.“

      „Du verkennst meine geistige Reife.“ Karim klingt gekränkt. Seine Hand tastet schon wieder nach der Glühweintasse.

      Ich ziehe die Tasse außer Reichweite und greife nach dem Papierkorb, der unter dem Tisch steht (wahrscheinlich, um nach dem Basar die Bastelsachen entsorgen zu können). Kurz entschlossen kippe ich die Feuerzangenbowle in den Eimer.

      „Was soll das?“, protestiert Karim.

      „Jemand mit deiner geistigen Reife muss sich keinen Mut antrinken. Und außerdem solltest du an deine Vorbildfunktion denken.“

      „Häh?“

      „Immerhin sind wir so etwas wie Vorbilder für die Jüngeren. Sagt meine Mutter immer.“

      „Seit wann glaubst du an den pädagogischen Quatsch, den deine Mutter erzählt?“

      „Auf jeden Fall glaube ich, dass Pawlowka nicht auf kleine Jungs steht, die sie mit Alkoholfahne anhauchen.“

      „Wie groß bist du noch mal?“

      Vielleicht bin ich wirklich nur zwei Zentimeter größer als er. In den letzten Wochen hat er einen ganz schönen Wachstumsschub hingelegt.

      „Wobei du auch ohne Alkohol keine Chance bei ihr hast“, sage ich schnell.

      Ich bin mir nicht sicher, ob er meine letzte Bemerkung noch mitbekommen hat. Karim winkt Djamal zu, der den Korridor entlangkommt. Obwohl die beiden verwandt sind, sieht Djamal aus wie das genaue Gegenteil des pummeligen Karim, der sich in zu weiten Jeans und Kapuzenpullis am wohlsten fühlt. Djamal ist ein Riese, bestimmt zwei Meter groß. Er trägt jeden Tag ein blütenweißes Hemd; sogar jetzt lugt der Hemdkragen unter dem dunkelblauen Pulli hervor.

      Karim und er geben sich ein High five, und es folgt ein Wortschwall, von dem ich genau gar nichts verstehe.

      „Er ist doch schon seit drei Monaten hier“, beschwere ich mich. Und soweit ich weiß, ist Djamal nur deshalb bei Karims Familie, weil er in Rastatt einen Deutschkurs besucht. Trotzdem ist ihm bisher kein einziges deutsches Wort über die Lippen gekommen. Zumindest nicht in meiner Anwesenheit. Wie will er sich in Berlin verständigen, wenn er nächstes Jahr zum Studium dorthin zieht?

      „Er ist halt schüchtern“, verteidigt Karim seinen Cousin.

      „Auf Arabisch klingt er überhaupt nicht schüchtern.“

      „Auf jeden Fall will er erst Deutsch reden, wenn er es richtig kann.“

      „Das kann ja dann nur noch ein paar Jahre dauern.“

      Djamal schaut mich an, und ich frage mich, ob er verstanden hat, was ich gesagt habe. Karim murmelt etwas, wobei ein Wort sich seltsamerweise anhört wie Pawlowka. Seit Karims Geständnis spukt mir ihr Name im Kopf herum. Jedenfalls greift er jetzt nach den hässlichen Papierbögen und hält Djamal einen davon unter die Nase. Soweit ich sehe, ist das Papier mit rosa Herzchen und ebenso rosafarbenen Buchstaben beklebt.

      „Du glaubst doch nicht, dass dein Cousin uns etwas abkauft?“

      Karim redet weiter auf Djamal ein. Und der greift tatsächlich in seine Hosentasche und zieht ein Zwanzigcentstück hervor, das er mir über den Tisch zuschiebt. Karim faltet den Briefpapierbogen ordentlich zusammen und klopft seinem Cousin auf die Schulter. Djamal steckt das Papier in seine Jackentasche und wird etwas rot im Gesicht, als ihm Karim zum Abschied etwas zuruft. Wieder klingt eines der Worte nach Pawlowka. Arabisch ist eine merkwürdige Sprache. Völlig unverständlich. Fast so schlimm wie Französisch, wo alle Wörter klingen, als hätte man sie in Rotwein ertränkt.

      „Ich bin ein echtes Verkaufsgenie.“ Karim grinst mich an. Allerdings erstarrt das Grinsen in seinem Gesicht, als plötzlich wieder meine Eltern vor unserem Stand auftauchen. Ich freue mich mindestens genauso sehr wie er, sie zu sehen. Jetzt werde ich vermutlich nie erfahren, wie Karim seinen Cousin dazu gebracht hat, dieses hässliche beklebte Papier zu kaufen.

      „Es ist ja so vorbildlich, wie sich die Kinder für einen guten Zweck einsetzen“, erklärt meine Mutter gerade einer Frau, in der ich mit Schrecken meine ehemalige Erdkundelehrerin erkenne.

      „Fragt sich nur, ob sie überhaupt wissen, für welchen Zweck wir hier Geld sammeln“, erwidert Frau Dalmann in deutlich nüchternerem Tonfall.

      Karim und ich schauen uns an. Karim zuckt genauso mit den Schultern wie ich.

      In Frau Dalmanns Augen liegt ein triumphierendes Funkeln.

      „Das Waisenhaus in Afrika“, fällt mir gerade rechtzeitig wieder ein. Natürlich, im Foyer sind seit einer halben Stunde Schülerinnen und Schüler der Fünften damit beschäftigt, Weihnachtsgeschenke für die Waisenkinder zu verpacken. Die Fünftklässler werden jedes Jahr dazu verpflichtet. Ich weiß noch, wie ich selbst damals eine Stunde lang versucht habe, ein halbwegs ordentlich aussehendes Päckchen zustande zu bringen. Dieses fiese dünne Papier ist immer an den Knickkanten gerissen. Geschenkeeinpacken wird bestimmt nie meine Kernkompetenz.

      „Afrika?“ Frau Dalmann zieht eine Augenbraue nach oben, was kein gutes Zeichen bei ihr ist. Sie seufzt. „Diese Idee, man könne sein Gewissen beruhigen, wenn man an irgendwen in Afrika Weihnachtsgeschenke schickt und Geld spendet. Man weiß noch nicht mal, für welches Land. Und den Ländern geht es genauso schlecht wie zuvor … Oder wisst ihr wenigstens, für welches Land es ist?“ Sie sieht mich erwartungsvoll an.

      „Uganda?“, fragt Karim. Und ich befürchte schon, dass Frau Dalmann als nächstes wissen will, wo in Afrika Uganda liegt. Aber glücklicherweise wechselt meine Mutter das Thema.

      „Ich habe euch etwas mitgebracht“, sagt sie und hüstelt leise. Ich mache jede Wette, dass sie auch nicht weiß, wo Uganda liegt.

      Meine Mutter zieht eine Tüte aus ihrer Handtasche. Ich wundere mich immer wieder neu darüber, was alles in ihrer Handtasche Platz findet.

      „Die