Zum anderen hat John Pierpont Morgan einen Teil seines Geldes gezielt als Mäzen eingesetzt. Er trat stark als Wohltäter in der Öffentlichkeit auf, indem er seine Episkopal-Kirche, Schulen und Spitäler unterstützte, Universitäten Zuwendungen zukommen ließ sowie als feinsinniger Kunstliebhaber auserlesene Kunst- und Buchsammlungen anlegte und später der Öffentlichkeit stiftete. Doch woher stammten die finanziellen Mittel für seine Wohltätigkeit? Aus einem „Gaunerstreich“.16 Diese einseitige Geschichtsdarstellung verzerrt die Wirklichkeit bis heute massiv zu Gunsten des Großvermögensbesitzers. Das dürfte stark an den Zuwendungen Morgans an die Universitäten liegen. So beeinflusst man langfristig die Geschichtsschreibung am wirksamsten.
Kurz: Man kann Mäzenatentum auch dazu nutzen, von eigenen Verbrechen abzulenken17 und sich stattdessen als Wohltäter feiern zu lassen. Geld an Universitäten zu „schenken“ kann daher mit die beste Geldanlage überhaupt sein. Das Mäzenatentum und die Spenden an Universitäten durch Morgan dürften dazu beigetragen haben, dass beispielsweise eine solche Farce von einem Buch entstehen konnte wie das der beiden US-Ökonomen Prof. Dr. Robert F. Bruner (Jahrgang 1949) und Dr. Sean D. Carr (Jahrgang 1969), die 2007 das Buch “The Panic of 1907. Lesson’s Learned from the Market’s Perfect Storm“ veröffentlichten. Das Buch hat ist ungefähr so ehrlich wie eine VW-Studie über Dieselabgase oder eine wissenschaftliche Untersuchung von Facebook über Wirtschaftsethik.
Geldflüsse in Universitäten können langfristig gesehen die lukrativsten Investitionen mit den höchsten Renditen überhaupt sein.
Alfred Pritchard Sloan jr. (1875-1966) als Philanthrop
Der oben erwähnte frühere Chef von General Motors, der sowohl maßgeblich dafür verantwortlich war, dass Straßenbahnlinien in den USA massenweise stillgelegt wurden und dass geplanter Verschleiß in großem Umfang in die Welt kam, trat ebenfalls stark als Philanthrop auf. “Noch zu Lebzeiten setzte er sich für Wissenschaft und Forschung ein, schuf die Alfred P. Sloan Foundation und rief das Sloan Fellows Programm ins Leben“, lesen wir bei Wikipedia.18 Die Sloan Foundation verwaltete 2015 beachtliche 1,77 Milliarden Dollar Stiftungskapital.19 Nun, Geld stinkt nicht, pecunia non olet, wie schon die Römer zu sagen pflegten. Ich gehe davon aus, dass die vergleichsweise wohlwollende Darstellung von Alfred Sloan auf Wikipedia und die meiner Empfindung nach relativ wohlwollende Wahrnehmung Sloans in der Öffentlichkeit oder bei Kollegen auch damit zu tun hat, dass er viel Geld für Philanthropie zur Verfügung gestellt hat. Dadurch hat er vermutlich erfolgreich von seinen Umweltverbrechen abgelenkt.
Drittmittelkategorien
Ich möchte versuchen, Drittmittel mit dem folgenden Schema zu kategorisieren.
Erstens: Echte Philanthropie, Schenkungen an Hochschulen aus Liebe zur Wissenschaft, als echter „Menschenfreund“
Der Begriff Philanthropie kommt von den beiden griechischen Worten Philos = Freund und Anthropos = Mensch.
Unternehmer
Das können Unternehmer sein, wie die oben erwähnten Emil Molt oder Ernst Abbe, vielleicht auch Andrew Carnegie, von dem der Spruch stammt: „Der Mann, der reich stirbt, stirbt in Schande.“20 Es gibt sicherlich zahllose Unternehmer, die echte Philanthropen waren.
Stiftungen
Es gibt aber auch zahllose Stiftungen, die wirklich philanthropische Zwecke verfolgen. Ich würde die Bosch Stiftung, die Carl-Zeiss-Stiftung, die Mahle-Stiftung, die Zeppelin-Stiftung (ZF Friedrichshafen) und viele viele mehr dazuzählen.
Gelder aus diesen Quelle können normalerweise eine wunderbare Ergänzung für freie Forschung sein.
Zweitens: Interessengeleitetes, zweckgerichtetes Geldgeben an Hochschulen
Börsennotierte (Groß-) Unternehmen
Zu dieser Kategorie würde ich grundsätzlich alle börsennotierten Großunternehmen zählen. Denn diese müssen ihre Gewinne maximieren und können es sich daher normalerweise gar nicht leisten, Geld in irgendwelcher Form zweckfrei zu verschenken. Hier wäre ich grundsätzlich sehr skeptisch. Mit solchen Geldern wird immer ein Zweck verfolgt. Freie, ergebnisoffene, zweckfreie Forschung ist damit meiner Einschätzung nach einfach nicht möglich.
Konzernnahe Stiftungen und Lobbyverbände
Es gibt aber nicht nur Konzerne, die interessegeleitete Gelder in Hochschulen lenken, um dort ihre Zwecke zu erreichen, sondern auch viele konzernnahe Stiftungen oder Lobbyverbände wie Arbeitgeber- oder Industrieverbände. Man muss also ganz genau hinschauen, welche Stiftung mit welchem Zwecke welche Gelder gibt und wer genau hinter der Stiftung oder dem Verband mit welchen Absichten steht. Das ist oft gar nicht einfach herauszubekommen, denn hier wird oft mit Absicht mit maximaler Intransparenz gearbeitet und so stark verschleiert wie möglich. Man will ja gerade im Trüben fischen und verbrämt das gerne mit schönen Worten wie „dem Allgemeinwohl/der Wissenschaft/dem Fortschritt/der Zukunft/der Gesundheit/dem Wohle unserer Kinder verpflichtet“ und anderen Phrasen oder Floskeln.
Gelder aus dieser zweiten Kategorie sind der Tod aller freien, unabhängigen Forschung. Sie gehören meiner Meinung nach schlichtweg nicht an öffentliche Hochschulen, weil sie Forschung korrumpieren wollen und sollten daher gemieden werden. Praktisch alle Wissenschaftsskandale aus der Hochschulgeschichte gehören dieser zweiten Kategorie an.21
Drittens: Mischformen
Es gibt nicht nur schwarz und weiß, sondern ganz viele Zwischentöne. Stiftungen können aus ganz verschiedenen Motiven gegründet werden. Sie können, um Steuern zu sparen und das eigene Vermögen in Sicherheit vor dem Fiskus zu bringen oder auch um wirklich das Allgemeinwohl zu fördern, ins Leben gerufen werden. Viele wollen auch beides. Das ist von außen nicht immer leicht zu erkennen. Dann gibt es auch noch politische Stiftungen und alle möglichen Verbände. Wie soll man die einordnen? Die grauen und schwarzen Schafe versuchen natürlich, die Gemeinwohlorientierung in den Vordergrund zu stellen und die egoistischen Absichten zu verschleiern. Es hilft nichts: Man muss jeden Einzelfall konkret ansehen. Ein Pauschalverdacht ist ebenso falsch wie pauschales Gutheißen. Gute Indikatoren für mich sind: Wie transparent sind die Organisationen? Je transparenter, v.a. was die Geldflüsse anlangt, desto besser. Ein zweiter guter Indikator für mich ist die Gewinnorientierung. Stehen hinter den Organisationen große, gewinnorientierte Konzerne? Dann dürfte keine Gemeinwohlorientierung vorliegen.
5 Vgl. Kreiß 2019, Mephisto
6 Vgl. Kreiß 2013, Profitwahn
7 Vgl. Kreiß/Siebenbrock 2019, BWL
8 https://www.gesetze-im-internet.de/hrg/25.html Stand 20.5.2020. Hervorhebung CK
9 Dörband/Müller 2005, S.26f.
10 Kreiß/Siebenbrock 2019, BWL S.209f.
11 Brief von Emil Molt und Fritz Graf von Bothmer 1935, Esterl, S.223f.
12 Vgl. Kreiß 2013, Profitwahn S.101-104 und, aktueller: https://www.heise.de/tp/features/Die-Corona-Angst-und-die-kommende-Wirtschaftsdepression-4693816.html Stand 19.5.2020
13 Kinder, Hermann und Hilgemann, Werner: dtv-Atlas zur Weltgeschichte, Band II, 14. Auflage 1979, München, S.217
14 Vgl. Bruner, Robert F. und Carr, Sean D., The Panic of 1907. Lesson’s Learned from the Market’s Perfect Storm, Hoboken, New Jersey 2007. Auch die Einträge zur Person John Pierpont Morgan auf Wikipedia sind sehr interessant, v. a. der englischsprachige, der an Lobhudelei und Einseitigkeit [Stand 2013] kaum zu überbieten war, während sich im deutschsprachigen Wikipedia-Eintrag zu John Pierpont Morgan durchaus auch kritische Hinweise zu seiner möglichen Verursacher-Rolle während der Finanzkrise