»Na ja,« greift seine Frau Maja ein: »Du forderst sie schon!« Manchmal denke sie auch, das gehe zu weit. Was sie damit meine, will ihr Mann wissen. »Na, die Gruselgeschichten, die du ihnen hin und wieder erzählst!« Die müssten doch nicht sein. »Aber sie mögen die Geschichten«, insistiert er, »die wollen sie hören. Und wenn sie Stopp sagen, dann mache ich doch auch nicht weiter. Ich überfordere sie nicht!« Rudi klingt selbstbewusst.
Was ist hier bloß wieder los?
Petra, Mutter von drei Mädchen, vier, sechs und neun Jahre alt, nimmt den Faden auf. Was ihr besonders auf die Nerven gehen würde: »Wir sind niemals am Ende. Da hat man ein Problem gelöst, schon hast du das nächste am Hals!« Sie schaut genervt drein: »Meine Lena, die Jüngste, die hatte WUTAUSBRÜCHE, die waren nicht zum Aushalten. Sie schrie, warf sich auf den Boden! Der reinste Horror! Grauenhaft!« Sie seufzt tief: »Wenn’s nur zu Hause war! Gut!« Das habe sie schon irgendwie geschaukelt: »Aber in der Öffentlichkeit, im Bus, in der Fußgängerzone und ich weiß nicht, wo noch … Puh! – Dieses Geglotze der anderen! Fürchterlich!« Petra stockt: »Und mit einem Mal ist der Anfall vorbei!« Sie lächelt schwach: »Aber die nächste Attacke kam schneller, als man denken konnte!«
Die Mutter atmet tief aus: »Jetzt nuckelt sie dafür. Sie nuckelt und nuckelt! Wenn irgendetwas ist oder auch nicht ist, wenn sie sich langweilt oder was weiß ich: Daumen in den Mund und weg ist sie, abgetaucht in eine andere Welt!« Sie wäre gespannt, was als Nächstes anstünde: »Bin wirklich neugierig, was da wieder kommt.«
HEUTE SO, MORGEN SO
»Irgendwas ist immer«, nimmt Matthias, Vater eines fünfjährigen Sohnes, den Faden auf. »Was hatte man mich und meine Frau gewarnt, wenn unser Sohn in den Kindergarten käme, vor dem ABSCHIEDSSCHMERZ und was weiß ich!« Er schaut in die Runde: »Nichts davon ist eingetreten. – Der Max ging von Anfang an gerne in die Kita, hatte schnell zwei Freunde!« Die wurden eine richtig verschworene Gemeinschaft, eine »kleine Bande«, wie seine Erzieherin erzählte. »Wir waren froh. Er fühlte sich wohl! Und was will man mehr als Eltern! Jeder will doch glückliche Kinder, oder?«
Matthias macht eine kurze Pause: »Dann kamen die Weihnachtsferien. Alles paletti. Und als er dann wieder in den Kindergarten gehen sollte, da machte er Theater! Aber so etwas von Theater!« Nichts habe hier geholfen, Max habe sich auf den Boden geschmissen, sich an das Treppengeländer geklammert: »Fürchterlich! Und dann dieses Gekreische in den höchsten Tönen! Da bist du hilflos! Absolut hilflos!« Er schüttelt langsam seinen Kopf. Seine Frau und er hätten ihn dann zu Hause gelassen. Wohl wäre es ihm dabei nicht gewesen. Wo käme man denn hin, wenn ein Kind ständig seinen Willen durchsetzen würde: »Da bist du doch erpressbar. So etwas geht doch überhaupt nicht! Aber was willst du da machen?« Sein Blick wirkt ratlos.
Überraschung!
Genau das wäre es, meint Marie, Mutter von zwei Jungen, zwei und sechs Jahre alt. Da stehe man von einem Tag auf den anderen vor einem Problem und wisse nicht, wie man das nun wieder lösen solle. »Also, der Paul, der Ältere«, berichtet sie, »der weiß alles, der kann alles. Ein richtiger Obergescheiter, gibt überall den Ton an, mischt überall mit.« Im Kindergarten wäre er der Bestimmer gewesen, hätte damit angegeben, bald in die Schule zu kommen: »Paul fühlte sich richtig stark!«
Maries Stimme wird leise: »Und mit einem Mal, so nach den Weihnachtsferien, da kippte die Stimmung. Von der Schule wollte er nichts mehr wissen. Er hielt sich die Ohren zu, wenn er nur das Wort hörte. Oder er brüllte: ›Hör auf! Hör auf!‹ Von einem Mal aufs nächste. Ganz plötzlich!» Als sie Paul darauf ansprach, dass er doch schon groß sei, habe er geschrien: »Will nicht groß sein! Will nicht groß sein!« Aber das wäre noch nicht alles gewesen: »Mit einem Mal wollte er wieder einen Schnuller haben, über den er sich bisher lustig gemacht hatte, weil das Babykram war. Er kam zu uns ins Bett, machte einen auf kleines Kind, ganz verlassen von der Welt und TRAURIG. Dann wurde er ganz leise, war kaum noch zu verstehen. Ganze Sätze sprach er nicht mehr!» Marie runzelt ihre Stirn: »Und aus solchem Verhalten sollst du dann schlau werden!» Und dann kämen die Selbstvorwürfe, die Ursachensuche, und die fange natürlich bei einem selbst an: »Was habe ich falsch gemacht?« Oder diese Horrorbilder: »Mein Kind will nicht in die Schule! Ich muss es zwingen! Und dann nimmt es Schaden!»
Marie presst ihre Lippen fest zusammen. Dann aber lächelt sie: »Und im Juli ist er wie selbstverständlich zum Schnuppertag gegangen!«
Wenn man ihn auf seine Ängste angesprochen hätte, dann hätte er nur die Achseln gezuckt, als wäre da nie etwas gewesen und der Schulbesuch wäre das Normalste der Welt.
Was ist schon normal?
Tja, das wäre so etwas mit der Normalität, grinst Michael, Vater eines Sechs- und eines Neunjährigen: »Die Kinder können es doch einem kaum recht machen! – Wenn sie brav sind, leise sind, miteinander spielen, sagt man nichts oder fragt sich: Komisch, die sind so still heute. Kann es nicht immer so sein?« Michael atmet tief aus: »Und wenn es wieder hoch hergeht, dann ist man schnell genervt. Warum müssen die schon wieder STREITEN? Können die nicht mal leise sein, einfach mal schön spielen?« Wenn man gut drauf wäre, könne man damit ja umgehen. »Aber, wenn du selbst geladen bist, dann schreist du los, sagst Dinge, die dir hinterher leidtun! – Ja, so ist das! Ich bin doch auch nur ein Mensch! Habe doch auch Gefühle!« Er überlegt: »Deshalb kann ich meine beiden ja auch irgendwie verstehen! Nicht immer! Aber ich bemühe mich!« Was die Gefühle anbetrifft, da habe er vor allem von seinem Älteren gelernt. Der lasse »die Sau raus«, wenn ihm was nicht passe. Darauf könne man sich verlassen: »Der ist so etwas von ehrlich.« Auch wenn es ihm und anderen wehtue. Der würde sich nicht verstellen: »Und das finde ich klasse!«
EINFACHE ANTWORTEN AUF SCHWIERIGE FRAGEN
»Sie sind so ehrlich, die Kinder, das finde ich auch!«, greift Lisa ein, »So ehrlich, dass es einem die Sprache verschlägt. Fragt doch meine Pia neulich, ob ich STERBEN könne. Einfach so! – Mir ist der Kinnladen runtergefallen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, habe irgendwas gesagt …« Sie schüttelt ihren Kopf: »Aber was soll man da machen? Man will ja nichts Verkehrtes sagen, lenkt ab auf ein anderes Thema. – Gott sei Dank hat das Kind nicht weitergefragt.«
Dabei würden häufig einfache Dinge helfen, meint Beatrice, die Mutter eines Achtjährigen. Julian hätte neulich etwas über ein Erdbeben gelesen und sie gefragt, ob so etwas auch bei ihnen passieren könne. Er hätte den Papa auch schon gefragt. Der habe ihm erklärt, dass es bei uns keine Erdbeben geben könne, und ihm das bei Google gezeigt. Das Kind war aber mit der Antwort nicht zufrieden, das Erdbeben hätte ihn weiter beschäftigt. Sie habe dann auch angefangen, ihm die Ursachen von Beben zu erklären. Aber Julian wäre immer unruhiger geworden, bis er mit den Füßen aufgestampft und laut gerufen hätte: »Aber das will ich doch gar nicht wissen!« Ungehalten habe sie gefragt: »Ja, was willst du denn wissen?« Daraufhin hätte ihr Sohn sie umarmt und leise gesagt: »Ich will wissen, ob du bei mir bist, wenn ein Erdbeben kommt!« Sie habe ihn in den Arm genommen und nichts mehr gesagt. »Warum machen wir es uns so schwer und kompliziert, wenn es die Kinder so einfach haben wollen?«
Alles nicht so einfach …
Ja, warum eigentlich, könnte man sich fragen. Diese kleine Gesprächsrunde zeigt viele Facetten auf, wenn es um die Emotionen von Kindern geht und die Versuche, ihnen auf den Grund zu gehen. Die kindlichen Gefühlslagen lösen ihrerseits bei Eltern und Erwachsenen, die die Kinder begleiten, eine ganze Gefühlspalette aus, die von Nachdenklichkeit und Zweifel