Data Leaks (1). Wer macht die Wahrheit?. Mirjam Mous. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mirjam Mous
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Data Leaks
Жанр произведения: Учебная литература
Год издания: 0
isbn: 9783401809236
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Also.

      Auf der Ablage unter meinem Spiegel lugt die Schachtel mit den Surprise-Yummys hervor, die ich gestern bekommen habe. »Mit Supergrüßen von Supershoot«, hatte der Kurier gesagt. Offenbar bin ich schon fünf Jahre dabei oder so. Oder sie finden meine Camfies einfach klasse.

      Ich nehme ein Yummy und kuschele mich wieder in die Kissen, während ich den 3-D-Projektor einschalte. Ein leises Summen füllt den Raum und dann spaziert Reese aus meiner Zimmerwand.

      »Hi!« Sie winkt mit beiden Händen und lächelt. »Schön, dass du mir wieder zuschaust. Heute reden wir über Happy Day.«

      Ich habe das Gefühl, ihr Lächeln ist nur für mich bestimmt.

      »Schwarze Kleider sind nichts für ein Fest«, sagt sie. »Hebt die mal lieber für die Beerdigung eurer Tante auf.«

      Düstere Musik ertönt.

      Ich denke an mein funkelnagelneues Eisköniginnenkleid. Ein weißes, zum Glück! Mit einer silbernen Tiara voller künstlicher Diamanten. Mama hatte es auf der Schnäppchenseite gefunden und laut Anprobe-App stand es mir fantastisch. Also haben wir es sofort bestellt.

      »Das Eisköniginnenkleid, das im letzten Jahr der große Hit war?« Reese bewegt ihren Zeigefinger hin und her. »Schön im Schrank lassen. Das geht gar nicht mehr.«

      Das gerade noch so großartig schmeckende Yummy wird plötzlich sauer.

      »Weiße Kleidung ist sowieso out.« Reese beugt sich vor und vertraut mir flüsternd an: »Und sehr empfindlich. Dabei kann doch gerade an Happy Day so viel schiefgehen. Jemand drückt dich aus Versehen gegen eine dreckige Wand oder du verschmierst dein Make-up. Auf einem weißen Outfit ist jedes Fleckchen wie ein Ausrufezeichen. Und dann sind alle Camfies mit dir für die Tonne!«

      Bei der Vorstellung allein wird mir schon übel.

      »Ich entscheide mich daher für …« Sobald Reese mit den Fingern schnipst, entrollt sich ein Banner von Colourcompany. »… die farbenfrohe Kollektion von …«

      Ein leises Klopfen. Meine Tür wird aufgeschoben und Mamas Kopf erscheint in der Öffnung. »Hast du eine Ahnung, wo Holden steckt?«

      »Woher soll ich das denn wissen?« Mit einem Auge schaue ich zu Mama, mit dem anderen zu Reese.

      »Jetzt bestellen und dein Kostüm kommt noch heute.«

      Ich muss Mama unbedingt rumkriegen!

      »Die Klinik hat angerufen, er ist dort nicht aufgetaucht.«

      Mama kommt ins Zimmer und hebt eine meiner herumliegenden Sandalen auf. »Es wird ihm doch nichts passiert sein?«

      Da haben wir es wieder. Auf einer Skala von eins bis zehn für Besorgtheit würde Mama eine Elf schaf‌fen. Für unglaublich nerviges Verhalten übrigens auch. Sie wischt durch die Luft und Reese verschwindet abrupt.

      »Ja, hallo!«, rufe ich wütend.

      »Sonst hörst du mir nicht zu.«

      »Tu ich doch. Aber du übertreibst auch immer sofort.«

      Mama wirft mir einen verletzten Blick zu und ich fühle mich doch ein wenig schuldig.

      »Vielleicht hatte er einfach Lust zu schwänzen«, sage ich.

      »Das erklärt noch nicht, weshalb ich ihn nicht erreichen kann.«

      Ich verdrehe die Augen. »Vielleicht, weil er sein Camphone ausgeschaltet hat?«

      »Wer macht denn so was?«

      »Holden offensichtlich.«

      Mein Bruder ist nicht normal, das weiß doch jeder.

      »Und wenn jetzt doch was Schlimmes passiert ist?«, fängt Mama wieder an. Sie scheint gar nicht zu merken, dass sie meine Lieblingssandale fast erwürgt. Gleich bricht noch die Sohle!

      »Es ist überhaupt nichts passiert«, sage ich. »Er hat keine Lust auf dein Gejammere, also geht er nicht ran.«

      »Glaubst du?«

      »Ganz sicher.« Ich richte mich auf, nehme ihr die Sandale aus der Hand und stelle sie neben ihr Gegenstück unters Bett.

      Mama starrt etwas verloren auf ihre leeren Hände.

      »Kannst du ihn nicht anrufen?«, fragt sie dann. »Mit deinem Gerät. Vielleicht reagiert Holden ja, wenn er sieht, dass du es bist.«

      Ich weiß jetzt schon, dass er mich für eine Verräterin halten wird. Aber wenn ich Mama helfe, erhöhe ich meine Chancen auf ein Kostüm von Colourcompany, also taste ich unter meinen Kissen, bis ich mein Camphone finde.

      Anrufen. Ich laufe hin und her.

      »Und?«, fragt Mama gespannt.

      Ich schüttele den Kopf. »Aber das heißt nicht, dass er nicht da ist. Wenn sein Gerät ausgeschaltet ist …«

      Mit hängenden Schultern setzt sie sich auf mein Bett.

      Ich muss an die hauchdünnen Vasen im City-Museum denken. Sobald man ihnen zu nahe kommt, leuchten Buchstaben auf dem Boden auf: NICHT BERÜHREN, SEHR ZERBRECHLICH.

      Ich traue mich auch nicht, Mama anzufassen. Als Papa noch lebte, war sie tapfer und stark. Ich kann es mir kaum noch vorstellen.

      Holden

      Shit! Der Akku ist leer!

      Was dachtest du denn?, sagt Pa. Dein Camphone nonstop leuchten lassen und dann auch noch im hellsten Modus …

      Ja-ha. Ich verstaue mein Gerät.

      Und jetzt? Auf gut Glück im Dunkeln weiterstolpern und hoffen, dass mich der Tunnel zu einem Ausgang bringt?

      Aber was, wenn er stattdessen tiefer hinunterführt und ich in irgendeinem komplizierten Höhlensystem lande?

      Kategorie schlimmere Todesarten: erst wochenlang allein herumirren und dann doch noch vor Hunger und Durst sterben.

      Dann esse ich mich lieber an Dosenfutter zu Tode.

      Ja, Labyrinthe aus Glas, die fand ich als Kind ziemlich witzig. Und das große Labyrinth in Funworld mit seinen meterhohen Buchenhecken und dem Aussichtsturm in der Mitte. Pa hat mir mal erzählt, die Gärtner hätten sich früher ein Seil um die Taille gebunden, wenn sie die Hecken schnitten. Ein Ende banden sie dann an der Hecke am Eingang fest, damit sie den Weg zurück schnell fanden, weil sonst nichts von ihren Pausen übrig geblieben wäre.

      Heute brauchen sie nur ihr GPS einzuschalten. Meins ist fast bis auf den Millimeter genau. Leider hat man davon nichts, wenn man mit einem leeren Camphone in einem Keller ohne Empfang sitzt, während so ein Seil …

      Vielleicht ist ja unter den Werkzeugen was Passendes, das ich verwenden kann!

      Ich lasse die Plane los und taste mich zwischen den Regalen durch, während ich versuche, meine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Rechts erkenne ich die vagen Umrisse der Konserven. Links: noch mehr Dosen …

      Das muss der Schrank mit dem Werkzeug sein. Ungeduldig lasse ich meine Finger über die Gerätschaften wandern und dann habe ich plötzlich eine Kerze in der Hand. Die Feuerzeuge und Streichhölzer liegen daneben, daran erinnere ich mich noch.

      Fast zünde ich meinen Daumen an, aber endlich brennt der Docht. Die Handinnenfläche schützend um die Flamme gelegt, gehe ich aufgeregt zum nächsten Regal.

      Ja, da liegt eine Rolle Schnur!

      Als ich sie in meine Tasche stecke, entdecke ich noch etwas Interessantes. Einen flachen Gegenstand mit einer Lampe und einer Art Griff. Eine Taschenlampe aus dem Jahr null?

      Eine großartige Taschenlampe! Als ich ein paarmal auf den Griff drücke, leuchtet sie auf.

      Ich blase die Kerze aus, behalte sie aber bei mir. Angenommen, meine neue Dynamolampe gibt wie mein Camphone den Geist auf? Diesmal will ich auf alles vorbereitet sein.

      Da