Alles Geld der Welt. Gerhard Loibelsberger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerhard Loibelsberger
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Исторические детективы
Год издания: 0
isbn: 9783839265789
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Die Lage an der Börse war viel zu instabil. Dazu kam, dass die allermeisten Wertpapiere, mit denen an der Börse gehandelt wurde, nur einen Bruchteil ihres derzeitigen Kurses wert waren. Ein Faktum, das für ihn als Börsenfachmann und Spekulant evident, das aber dem normalen Bürger, der ein bisschen Erspartes im Sparstrumpf hatte, völlig unklar war. Also würde er dem Mann, dem er mehrmals in der Woche seinen nackten Hals zum Rasieren darbot, keinesfalls etwas verkaufen. Mochte der ihn noch so bedrängen. Es war lachhaft, dass die einfachen Leute glaubten, die Bäume der Börse würden ad infinitum in den Himmel wachsen. Mit diesen Deppen, er konnte kein anderes Wort für sie finden, hatte er seit Jahren ein beachtliches Vermögen verdient. Wobei die Deppen, die vor etlichen Jahren eingestiegen waren, bis zum heutigen Tage erstaunliche Gewinne erzielen konnten. Ihrer Gier verdankte er seinen Erfolg. Denn seine Klienten gaben sich mit einmal erzielten Gewinnen nicht zufrieden. Im Gegenteil, sie konnten den Hals nicht voll genug bekommen. Und das hatte ihn dazu veranlasst, die Schlagzahl seiner geschäftlichen Aktivitäten zu erhöhen. In den letzten Jahren hatte er immer wieder neue Gesellschaften gegründet, deren Aktien er umgehend an die Börse gebracht und mit einem saftigen Emissionsaufschlag verkauft hatte. Obwohl die meisten dieser Gesellschaften vorerst keinerlei nennenswerte Geschäftstätigkeit vorweisen konnten, waren ihm ihre Aktien aus der Hand gerissen worden. Wie die warmen Semmeln dem Bäcker in der Morgenstunde. Warum er diesen Irrwitz betrieb? Nun, er hatte bisher Glück gehabt. Die von ihm gegründeten Aktiengesellschaften entwickelten sich recht respektabel, obgleich ihre Gründung vorerst auf reiner Spekulation beruht hatte und sie anfangs meist über kein solides finanzielles Fundament verfügt hatten. Was ihn aber wirklich antrieb, war das Ausreizen der Möglichkeiten im großen Börsen-Spekulationsspiel. Er beherrschte nicht nur die Regeln, nach denen dieses Spiel ablief, er bestimmte sie zum Teil auch mit. Das gab ihm in guten Stunden ein Gefühl von Größe, Überlegenheit und Macht. In weniger guten Stunden, wenn der Gewissenswurm zu nagen begann, erschien ihm seine Tätigkeit eine perfide Rosstäuscherei zu sein, bei der er Gott und die Welt betrog. Aus seinem Beuschel8 kroch in solchen Momenten ein unbehagliches Gefühl hinauf ins Gehirn, das ihn ganz desperat machte. Eine Verstimmung des Gemüts, die ihn im Laufe der letzten Monate immer öfters ereilte. Genauer gesagt seit dem Herbst letzten Jahres, als zahlreiche börsennotierte Werte zu wanken begonnen hatten und ein Zusammenbruch vor der Tür zu stehen schien. Doch plötzlich hatte sich das Blatt gewendet. Die kommende Weltausstellung und die damit verbundene Euphorie hatten die düsteren Wolken vertrieben, und er hatte die Anteile an einigen der von ihm gegründeten Gesellschaften mit stattlichem Gewinn verkaufen können. Trotzdem hatte Heinrich von Strauch seit damals immer wieder schlaflose Nächte. Er träumte, dass er völlig mittellos in einem Erdloch hauste und hungerte. Ungewaschen, in Fetzen gehüllt, mit wild wucherndem Haupt- und Barthaar. Wenn er aus diesem immer wiederkehrenden Albtraum hochschreckte und sich danach bis zum Morgengrauen im Bett hin- und herwälzte, beherrschte ihn ein Gedanke: Dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis all die an der Wiener Börse notierten windschiefen, unterkapitalisierten Aktiengesellschaften als Leichen die Donau hinunterschwimmen würden.

      *

      »So da! Fertig samma. Guad is gangen, nix is g’schehn.«

      Er schreckte aus seiner Grübelei hoch. Mit Wohlgefallen registrierte er, dass die Haut seiner Backen glatt wie ein Kinderpopo war. Es folgte ein Seufzer der Entspannung, als der Barbier sein Gesicht zuerst mit kühlen Tüchern und dann mit Rasierwasser erfrischte.

      »Und, Herr Baron, wollen S’ mir nicht endlich einmal einige Ihrer an der Börse so erfolgreichen Papiere verkaufen?«

      Heinrich von Strauch lächelte freundlich. Er erhob sich, gab dem Barbier ein großzügiges Trinkgeld, schlüpfte in seinen Überzieher, setzte den Hut auf und verabschiedete sich mit folgenden Worten:

      »Legen S’ Ihr Erspartes unter die Matratze. Da können S’ ruhig schlafen. Und ein ruhiger Schlaf ist wichtig für eine ruhige Hand beim Rasieren. Beherzigen S’ meinen Rat: Lassen S’ die Finger von Börsenpapieren. Habe die Ehre!«

      *

      *

      »Ich wünsch dir einen wunderschönen guten Morgen!«

      Ernst Xaver Huber begrüßte Strauch mit exzellent guter Laune, so wie es sich an einem sonnigen Wintervormittag gebührte. Huber und Heinrich von Strauch kannten einander seit einer kleinen Ewigkeit. Acht lange Jahre hatten sie gemeinsam im Akademischen Gymnasium die Schulbank gedrückt. Danach hatten beide ein Studium der Jurisprudenz begonnen, das Strauch jedoch nicht abschloss. Sehr bald interessierten ihn die Geschäfte der väterlichen Bank mehr als das Jusstudium. Also brach er es ab und absolvierte eine Banklehre. Da er sich bei Geldgeschäften erstaunlich geschickt anstellte, überantwortete Antonius von Strauch seinem Filius sukzessive ein immer größeres Pouvoir. Schließlich verlieh er ihm die Prokura und erlaubte ihm, selbst eine Bank zu gründen. Und hier kam Ernst Xaver Huber, genauer gesagt Dr. jur. Huber, ins Spiel. Er war in alle geschäftlichen Aktivitäten und Geldgeschäfte der H. Strauch Bankgesellschaft und später dann auch der H. Strauch & Cie Baugesellschaft sowie der zahlreichen weiteren Unternehmensgründungen involviert. Huber war, wie Wohlmeinende sagten, die rechte Hand Heinrich von Strauchs. Weniger Wohlmeinende nannten ihn schlicht und einfach Strauchs G’schaftlhuber.

      Heinrich von Strauch war zufrieden. Die Entwürfe des jungen Architekten gefielen ihm und so sagte:

      »Ernstl, lass ihm hundert Gulden für den Entwurf auszahlen. Seine Idee konveniert mir sehr. Ich bedanke mich und wünsche einen schönen Tag.«

      Er machte eine dezente Verbeugung in Richtung Leo Hornegg und verließ das Zimmer. Huber bat den jungen Architekten, ihm in den Nebenraum zu folgen. Dort sagte er zu dem Kontoristen, der sich an einem Stehpult befand und schrieb:

      »Gehen S’, Navratil, holen S’ hundert Gulden aus der Kassa. Der Herr von Strauch hat verfügt, dass wir unserem genialen Architekten einen Vorschuss gewähren. Meine Herren, das können Sie auch ohne mich erledigen, ich hab’ noch zu tun. Ich empfehle mich.«

      Navratil legte den Federkiel zur Seite, löschte mit einer Prise Sand das gerade Geschriebene ab und ging zu einem wuchtigen Tresor, den er mit einem Schlüssel öffnete. Navratil holte zehn Scheine aus