»Ich will den Adelstitel. Auch wenn ich dafür muss schmoren Tausend Jahr in der Hölle.«
Da Aaron Rosenstrauch keine halben Sachen machte, ließ er er auch gleich seinen Namen ändern. Mit Bedacht wählte er Antonius als seinen christlichen Taufnamen. Schließlich war Antonius jener Heilige, an den man sich wendete, wenn man etwas Verlorenes zurückgewinnen beziehungsweise wiederfinden wollte.
»Möge der heilige Antonius mir allzeit beistehen, dass ich gutes Geld, was ich verleih’, auch zurückbekomm’.«
Mit der Taufe verband er eine Änderung des Familiennamens. Er ließ die ersten beiden Silben streichen, und so wurde aus dem jüdischen Geldverleiher Aaron Rosenstrauch der katholische Bankier Antonius Strauch. Dieser Schritt erschloss ihm eine Reihe von neuen, vor allem magyarischen Kunden. Das war kein Wunder, schließlich wusste alle Welt, dass große Teile des ungarischen Adels antisemitische Ressentiments hegten. Eine Tatsache, die ihm ein ungarischer Magnat unverblümt ins Gesicht sagte:
»Ich mag keine Juden. Da Er sich aber hat taufen lassen, ist Er ein christlicher Jud’ und somit unser Jud’.«
Das Konvertieren zum christlichen Glauben ermöglichte Antonius Strauch, Grundbesitz zu erwerben. Ein Recht, das Juden in Wien, mit wenigen Ausnahmen und Unterbrechungen, bis 1860 nicht zugestanden worden war und worauf sogar der mittlerweile steinreiche Salomon Rothschild jahrzehntelang hatte warten müssen. Erst 1843, als er zum Ehrenbürger der Stadt erklärt wurde, konnte Salomon Rothschild in Wien Grundbesitz erwerben. Antonius von Strauch hatte für Salomon Rothschilds Festhalten am mosaischen Glauben nur Kopfschütteln über. Während dieser als Jude sein Geld nur in Aktien und Wertpapiere anlegen konnte, investierte Strauch massiv in Immobilien. Dafür hielt er sich an der Börse zurück und verlieh auch nicht an Krethi und Plethi Geld, sondern nur an seine altbewährte adelige Klientel. Dies führte dazu, dass das Bankhaus A. Strauch bei Weitem nicht so gewaltige Dimensionen und Umsätze hatte wie das der Rothschilds. Antonius von Strauch arbeitete lieber leise und wenn möglich im Verborgenen. Seine Leidenschaft war das Horten von Immobilien. Immer wenn er eine Liegenschaft erworben hatte, murmelte er:
»Ich bin doch nicht meschugge, dass der Herrgott meine Geschäfte behindert. Ein Herrgott ist so gut wie der andere. Aber jede Immobilie ist und bleibt einzigartig.«
Als im Frühjahr 1848 die Revolution in Wien ausbrach, begleitete Antonius von Strauch die kaiserliche Familie in ihr Exil nach Innsbruck. Dort knüpfte er noch engere Kontakte zum kaiserlichen Hof, indem er den hohen Herrschaften in ihrer Not Finanzhilfe gab. Dies war ihm im Gegensatz zu Salomon Rothschild und anderen Wiener Bankiers möglich, da er mittlerweile ertragreiche Immobilien in Ober- und Niederösterreich sowie in der Steiermark besaß. Zu dieser Zeit lernte er auch den jungen Erzherzog Franz Josef kennen, der im Herbst 1848 als Regent die Nachfolge seines Onkels Ferdinand antrat.
»Ja, mein Herr Papa hat schon einen guten Riecher fürs G’schäft und die richtigen Freunderln gehabt«, seufzte Heinrich von Strauch, als er die harten, nunmehr leblosen Gesichtszüge seines Vaters anstarrte. Ein Klopfen an der Tür des Aufbahrungsraums riss ihn aus der Fortführung seiner Erinnerungen. Er strich mit der Hand über sein Gesicht, atmete tief durch und sagte leise:
»Ja, bitte.«
Die Tür wurde geöffnet, Jean, der Kammerdiener des Vaters, trat ein, verbeugte sich und sagte:
»Herr Baron, Ihr Herr Schwiegervater wünscht Sie zu sprechen.«
Heinrich von Strauch atmete erneut tief durch und dachte: Jössas na! Den hab’ ich gerade noch gebraucht. Laut sagte er aber:
»Sag Er ihm, ich sei außer Haus gegangen.«
Jean verbeugte sich neuerlich und replizierte:
»Herr Baron, Sie mögen bedenken, dass Ihr Herr Schwiegervater von Ihrer Frau Gemahlin unterrichtet worden war, dass Sie hier seien und dass der Zeitpunkt günstig für einen Kondolenzbesuch sei.«
Möge, sei, seien … Wie er diese Konjunktive hasste. Himmelherrgott, man hatte nicht einmal etwas Ruhe, wenn man Totenwache am Sterbebett seines Vaters hielt. Immer hieß es: Möge er doch, sollte er doch, wäre es angeraten. Mit ausdruckslosem Gesicht starrte er eine Zeit lang vor sich hin. »Ins Narrenkastl schaun« hatte sein Vater diese Angewohnheit genannt. Mein Gott, wie oft hatte er ihn deshalb gemaßregelt.
»Heinrich, reiß dich zusammen. Man schaut nicht ins Narrenkastl. Das tut man nicht. Das ist nichts als verlorene Zeit. Wenn dich wer so sieht, denkt er, du seist meschugge.«
Seist! Schon wieder so ein Konjunktiv. Er atmete neuerlich tief durch. Die Luft in der Kammer war stickig. Nicht zuletzt wegen der unzähligen Kerzen, die hier brannten und die zum Teil bereits verloschen waren. Der Rauch, den sie beim Absterben von sich gegeben hatten, war würzig und bitter und vermischte sich mit dem merkwürdigen Odeur, das vom Körper des Toten ausging.
Plötzlich musste er schmunzeln. Der Geruch ging nicht von dem Toten, sondern von seinem Frack aus. Da sein Herr Papa in den letzten Jahren an keinerlei Festivitäten mehr teilgenommen hatte, war das gute Stück lange Zeit verwaist im Kleiderschrank gehangen. Eingebettet zwischen Kampferkristallen und Lavendelbüscheln. Heinrich von Strauch schüttelte die Erinnerungen ab, räusperte sich und sagte:
»Er soll eintreten, der Herr Schwiegerpapa.«
*
Der 6. Oktober 1814 war ein strahlend schöner Herbsttag. Nach einem ausgiebigen Mittagessen mit seiner Mutter und seinen beiden jüngeren Schwestern zog sich Aaron Rosenstrauch in seine Kammer zurück. Er ließ sich auf der Récamière nieder, stopfte seine Meerschaumpfeife, entzündete den Tabak, lagerte die Beine hoch und blies kleine Wölkchen in die Luft. Er genoss es, heute nicht zu arbeiten. Das Geschäft – Pfandleihanstalt und Geldverleih –, das sein Vater aufgebaut hatte und das er nach dessen frühem Tod erfolgreich weiterführte, blieb heute geschlossen.
»G’schäft wird’s heute nicht viel geben. Nur Tinnef. Und für Tinnef sperr’ ich net auf. Zahlt sich net aus.«
Solche und ähnliche Entschuldigungen vor sich hin brabbelnd, lag er da, rauchte und erinnerte sich an den vergangenen Sonntag zurück. Unglaublich! Die große Hofredoute! Gut und gerne zehntausend Menschen drängten in die Räumlichkeiten der Hofburg. An die achttausend Wachskerzen beleuchteten die ungeheuren Säle. Die Estraden waren durchgängig mit Samt bedeckt. Der aus den Gemächern der kaiserlich-königlichen Burg führende Gang war mit Blumen und Gesträuchen geschmückt, der anschließende kleine Redoutensaal glich einem Feenhain. Durch eine Allee von Orangenbäumen gelangte man in den großen Saal, aus dem sich eine wahrhaft zauberische Aussicht in die kaiserlich-königliche Reitschule eröffnete. Diese edle Halle war zu einem Tanzsaal umgestaltet und in den Farben Blau und Silber dekoriert. Fünf- bis sechstausend Wachskerzen sorgten für eine wundervolle Beleuchtung. Auf dem Parkett tanzte eine dicht wogende Menschenmenge zu den Klängen eines hundertköpfigen Orchesters. Nach zehn Uhr abends kündeten Pauken und Trompeten die Ankunft der Allerhöchsten und Höchsten Herrschaften an. Der Kaiser von Russland und die Kaiserin von Österreich eröffneten den Zug. Es folgten paarweise der österreichische Kaiser und die russische Kaiserin, der König von Dänemark und die Großherzogin