»Ich schlaf schon.«
Heinrich von Strauch wälzte sich im Bett mehrmals herum, bis er schließlich kommod auf dem Bauch lag und ins Reich der Träume hinüberglitt. Dabei stellte er sich vor, wie ihm morgen seine Kammerdienerin mit sanfter, kundiger Hand Antonias Liebessäfte vom Körper waschen würde.
*
Ernst Xaver Huber spazierte vergnügt und leise vor sich hin pfeifend durch die Innenstadt. Der eben stattgefundene Notarbesuch hatte sein Leben verändert. Und zwar in die richtige Richtung. Endlich hatte Heinrich von Strauch ihn zum Teilhaber gemacht. Miteigentümer der neu gegründeten Strauch & Compagnon Bank-Actiengesellschaft, die aus der Fusion der beiden Banken von Strauch Vater und Strauch Sohn entstanden war. Es ist auch Zeit geworden. Schließlich war er das Arbeitstier, das die tägliche Knochenarbeit, die nun einmal zur Leitung einer Bank, der angeschlossenen Maklerfirmen sowie der Baugesellschaften und Industriebeteiligungen gehörte, leistete. Heinrich von Strauch hingegen war eher der Lebemann und Faulpelz, der die Früchte von Hubers Arbeit genoss und außer einigen Ideen sowie zahlreicher gesellschaftlicher Kontakte nicht viel einbrachte. Kurzum: Ohne ihn, dem lieben Ernstl, lief im Strauch’schen Imperium gar nichts. Und weil dem so war, hatte Heinrich von Strauch ihn nun mit zehn Prozent an der frisch fusionierten Bank beteiligt. Huber hatte erreicht, was ihm seit seinem Eintritt in das Familienunternehmen der Strauchs vorgeschwebt war: nicht nur Handlanger, sondern auch Teilhaber zu sein. Ja, er hatte sogar durchsetzen können, dass er im neuen Firmennamen aufschien. Natürlich nicht mit seinem Familiennamen, aber immerhin als Compagnon. Und so spazierte er wohlgelaunt durch die von einer fahlen Wintersonne beleuchtete Stadt, in der an allen Ecken abgerissen und gebaut wurde. Fast wäre er im Überschwang der Glücksgefühle an dem Laden vorbeigegangen, über dessen Eingang eine gusseiserne Schere im kalten Wind schaukelte. Auf den Scheiben des Geschäftes stand in großer, mit allerlei Arabesken versehenen Schrift: »Salon Pöltl Barbier & Friseur«. Huber blieb stehen, fuhr sich mit der Hand über Oberlippe und Kinn und erinnerte sich an den heutigen Morgen. Er hatte verschlafen und war deshalb nicht dazu gekommen, sich zu rasieren. Überhaupt hatte er aus reiner Sparsamkeit bisher nie einen Barbier aufgesucht, sondern immer selbst zu Seife, Pinsel und Rasiermesser gegriffen. Aber nun, als Teilhaber einer renommierten Bankgesellschaft, sollte er seine bisherigen Gewohnheiten überdenken. Es war Zeit, sich etwas Luxus zu gönnen, dachte er, während er mit seiner Rechten über die bartstoppeligen Hautpartien rund um seinen Mund fuhr. Er zupfte am mächtigen Backenbart, der sein Gesicht umgab, und registrierte mit Unbehagen, dass dieser in den letzten Tagen über die Maßen gewuchert war. Er sollte also dringend zur Schere greifen, um den Wildwuchs zurechtzustutzen. Etwas, worauf er bisher wenig Lust gehabt hatte. Damit war es vorbei, beschloss Huber und betrat erhobenen Hauptes und frischen Mutes den Barbiersalon. Meister Pöltl, ein kleiner quirliger Mann mit einem waagerecht links und rechts wegstehenden Schnurrbart und kunstvoll frisiertem Lockenkopf begrüßte Huber in dienstbeflissenem Tonfall:
»Wünsche einen wunderschönen guten Tag, Euer Gnaden. Bitte kurz Platz zu nehmen. Stehe in Kürze zu Diensten.«
Huber nahm auf einem der Fauteuils im Salon Platz, während der Meister einem wohlbeleibten Mann mit klappernder Schere dessen schütteres Haar fassonierte. Huber entspannte sich, schnupperte mit Wohlbehagen die von diversen Rasier- und Haarwässern geschwängerte Atmosphäre, faltete die Hände über dem Bauch zusammen und atmete tief durch. Endlich einmal an nichts Geschäftliches denken. Doch dieser Augenblick der Entspannung war schnell zerstört, als der Wohlbeleibte zu dozieren begann:
»Dank meines untrüglichen G’spürs für die Börse hab ich Ende des letzten Jahres dreißigtausenddreihundertfünfundvierzig Gulden lukriert. Lauter erstklassige Papiere, in die ich mein Geld angelegt hab’. Und wissen Sie was, ich verputz’ das Geld nicht. Nein, ein Alzerl20 nehm’ ich mir fürs Vergnügen, und den Rest investier’ ich neuerlich. Weil man das Heu ernten muss, solange es geht. Ich sag’ Ihnen, mein lieber Pöltl, wir erleben zurzeit eine Jahrhunderthausse. Und die wird anhalten, weil ja auch noch die Weltausstellung kommt. Da werden die Aktienkurse erst recht den Plafond durchbrechen. Eine Million! Eine Million Besucher wurden für die Weltausstellung prognostiziert. Wissen Sie, was das heißt? Dass gebaut wird ad infinitum. Deshalb investiert ein jeder, der g’scheit ist, in Baugesellschaften. In fünfzehn solcher Gesellschaften habe ich mittlerweile mein Vermögen gesteckt. Und wissen Sie was? Es trägt ungeahnte Früchte. Natürlich nicht eine jede Gesellschaft. Aber alle tragen ihr Scherflein zum Wachstum meines Wohlstands bei. Die einen mehr, die anderen weniger.«
Pöltl legte die Schere zur Seite und griff zu einer Glaskaraffe, aus der er einige Spritzer Lotion auf das sehr lichte Haar seines Kunden verteilte. Dann begann er gefühlvoll, den Schädel des beleibten Mannes zu massieren. Der schloss genussvoll die Augen, und Pöltl seufzte:
»Wissen S’, ich bin halt a bisserl misstrauisch, was die Börse betrifft. Ein guter Kunde von mir, der Baron von Strauch, hat mir erst unlängst wieder geraten, mein mühsam Erspartes nirgendwo sonst hin als in meinen Sparstrumpf zu stecken.«
Ernst Xaver Huber wurde aus seinen Gedanken gerissen. Da schau her! Heinrich von Strauch lässt sich hier rasieren. Na, dann bin ich als sein neuer Kompagnon ja bestens aufgehoben. Einem Impuls folgend, räusperte sich Huber, stand auf und machte eine angedeutete Verbeugung vor den beiden Herren:
»Erlauben Sie, dass ich mich vorstelle: Dr. Ernst Xaver Huber mein Name. Direktor und Miteigentümer der Strauch & Compagnon Bank-Actiengesellschaft.«
Dem Friseurmeister fiel fast der Spiegel aus der Hand, den er dem Wohlbeleibten gerade vor die Nase hielt, damit dieser den Sitz seiner Frisur überprüfen konnte. Der Dicke erhob sich schnaufend und schüttelte Huber die Hand:
»Müller. Hofrat Bonifazius Müller. Sehr angenehm, Herr Direktor.«
»Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite. Erlauben Sie, dass ich Ihnen meine Visitenkarte überreiche? Ich habe beiläufig mitgehört, dass Sie ein ganz engagierter Anleger sind, Herr Hofrat. Schaun S’ doch einmal bei mir in der Bank vorbei. Ich glaub’, ich hätte da einige ganz ausgezeichnete Börsentipps für Sie.«
»Das klingt ja sehr interessant. Wie wär’s denn mit Freitagnachmittag? Da geh ich immer etwas früher aus dem Ministerium weg.«
»Ausgezeichnet. Nach dem Mittagessen? So um halb drei?«
»Wunderbar. Ich freu’ mich.«
Hofrat Müller zahlte, verabschiedete sich und verließ wohlgelaunt den Salon. Huber nahm auf dem Barbierstuhl Platz, atmete tief durch und schloss vor Genuss die Augen, als der Barbier feuchte, warme Tücher auf seine Wangen und seine Mundpartie legte.
»Wie wünschen denn der Herr Direktor die Rasur?«
»Na, ganz normal. Der Backenbart gehört gestutzt.«
»Wünschen der Herr Direktor den Backenbart nach neuester Mode geschnitten?«
»Wie wär das denn?«
»Nun, da müssten wir a bisserl mehr schneiden. Der Elegant21 trägt heutzutage kleinere Bartkoteletten, als es der Herr Direktor derzeit tut. Außerdem würde ich Euer Gnaden empfehlen, sich eine Moustache wachsen zu lassen. Kleine Bartkoteletten und dazu ein fescher Moustache sind der dernier cri.«
»Na, dann mach ma das halt.«
Pöltl entfernte die warmen Tücher, griff zu Seife und Pinsel und begann die zu rasierenden Stellen einzuseifen. Dabei sparte er mit Bedacht die Oberlippe seines Kunden aus, dort, wo in Zukunft ein Moustache sprießen sollte. Danach hörte Huber, wie der Barbier das Rasiermesser schleifte. Zurückgelehnt, den nackten eingeseiften Hals einem fremden Mann entgegenreckend, fühlte sich Ernst Xaver Huber plötzlich unwohl. Als aber die scharfe Klinge von sicherer Hand geführt über seine Gesichtshaut glitt, entspannte er sich. Zwischendurch kam an seinem Backenbart auch die Schere des Meisters zum Einsatz, und als das Verschönerungswerk vollbracht war, staunte Huber. Mit den massiv zurechtgestutzten Bartkoteletten,