Kornblumenjahre. Eva-Maria Bast. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eva-Maria Bast
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839246641
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kleine Schwester, die inzwischen hochbetagt ist, auf sie verübt. Der Grund: Sie fühlt sich durch Zita und das Notizbüchlein bedroht, denn Franziska hat etwas zu verbergen …

1923 – 1925

      1. Kapitel

      Überlingen, Bodensee, August 2013

      Das silberne Notizbuch lag auf dem kleinen Sekretär in Zitas Hotelzimmer. Sie hatte es wieder bezogen, nachdem Franziska, die alte Dame, die ihr nach dem Leben getrachtet hatte, um die Aufzeichnungen in ihren Besitz zu bringen, verhaftet worden war. Franziska Gerstett war die Inhaberin der Pension, in der sich Zita eingemietet hatte, und deshalb war Zita auf Anraten der Polizei sicherheitshalber ausgezogen. Nun aber saß Franziska hinter Schloss und Riegel und Zita war zurückgekehrt. Nachdenklich ließ sie ihre Finger über den ziselierten Deckel des Notizbüchleins wandern.

      Noch immer war sein Rätsel nicht gelöst, im Gegenteil: In den Wochen, seit sie das winzige Büchlein, das man mit einem Lederband um den Hals tragen konnte, bei eBay ersteigert hatte, waren die unbeantworteten Fragen zu einem riesigen Berg angewachsen, ihr ganzes Leben hatte sich verändert. In dem Büchlein hatten sich Notizen befunden, merkwürdige Notizen aus der Zeit des Ersten und Zweiten Weltkriegs. Geheimnisvolle Aufzeichnungen, deren Sinn Zita unbedingt hatte herausfinden wollen. Ihre Suche hatte sie an den Bodensee geführt, in eine Pension, die Altes Schulhaus hieß. Hier hatte sie den Mordanschlag überlebt, neue Freunde gefunden, hatte sich verliebt – und war entschlossener denn je, das Rätsel, das sich um dieses Büchlein rankte, zu lösen. Denn inzwischen war klar: Die Verfasserin der Notizen war eine mittlerweile verstorbene Verwandte Franziska Gerstetts, Franziska selbst hatte gewaltig Dreck am Stecken. Und anscheinend unglaubliche Angst, dass in dem Notizbüchlein etwas stand, das ihr dunkles Geheimnis verraten könnte.

      Wieder strich sie über den Deckel. Er fühlte sich ganz warm an unter ihren Händen. Während sie das Büchlein betrachtete, dachte sie darüber nach, wie seltsam es doch war, dass ein solcher Gegenstand das Leben mehrerer Menschen bestimmen und verändern konnte. Dass er ihr Leben plötzlich mit dem der Familie Gerstett verwob. Obwohl sie als Außenstehende ja eigentlich nichts mit all dem zu tun hatte, war sie plötzlich mitten im Geschehen.

      »Was machst du denn da?«, riss Philippes schläfrige Stimme sie aus ihren Gedanken. Lächelnd drehte Zita sich um. Philippe war Mediziner, hatte ihr nach dem Giftanschlag das Leben gerettet und sie hatten sich ineinander verliebt. Auch Philippes Geschichte war eng mit der des Büchleins verwoben, die Suche nach der Wahrheit hatte sie zueinandergeführt. Er gehörte dem französischen Teil der Familie an und auch er war auf der Suche nach dem Geheimnis des Notizbüchleins. Sie ging zu ihm und gab ihm einen Kuss. »Ich versuche, das Rätsel zu lösen. Oder vielmehr: die vielen Rätsel.«

      »Kann das nicht noch warten?«, brummte Philippe und versuchte, sie an sich zu ziehen.

      Zita wollte schon nachgeben und sich in die verführerische Umarmung fallen lassen, als jemand an die Tür hämmerte. »Zita!«, rief Mia von draußen. »Zita, mach auf, schnell!«

      Philippe knurrte unzufrieden, doch Zita band den seidenen Morgenmantel, der bei Philippes Umarmung aufgegangen war, wieder zu, um Mia, Franziskas Großnichte, die gemeinsam mit ihrer Mutter Melissa ebenfalls im Haus wohnte, die Tür zu öffnen.

      »Was gibt’s?«, fragte sie.

      »Großtante Franziska liegt im Sterben«, sprudelte Mia hervor. »Die Nacht im Gefängnis ist ihr anscheinend nicht gut bekommen, und sie haben sie ins Krankenhaus eingeliefert. Die haben grade angerufen. Sie will unbedingt mit mir und Mutter sprechen. Und mit dir auch!«

      »Mit mir?«, fragte Zita erstaunt, »warum denn mit mir?«

      Mia zuckte die Achseln. »Keine Ahnung, aber wenn sie wirklich im Sterben liegen sollte, will sie sich vielleicht bei dir entschuldigen. Eine Art Beichte? Immerhin hat sie versucht, dich umzubringen!« Sie musterte Zita, die immer noch in ihrem schwarzen Morgenmantel vor ihr stand. »Beeil dich, zieh dir was über. Ach …, und ist Philippe bei dir?«

      »Ja!«, rief Philippe von hinten und erschien verstrubbelt und mit einem um die Hüften geknoteten Handtuch in der Tür. »Will sie mich etwa auch sehen?«

      »Nein«, erwiderte Mia verlegen. »Aber meine Mutter möchte gerne mitkommen. Auch wenn die beiden sich nie gemocht haben – es könnte doch sein, dass es das letzte Mal ist, dass sie Franziska lebend sieht.«

      »Und da soll ich unten die Rezeption machen und anreisenden Gästen ihre Schlüssel aushändigen?«, fragte Philippe. »Kein Problem. Gebt mir fünf Minuten.«

      »Ich brauche drei«, versicherte Zita ihrer Freundin. »Ich bin gleich unten.«

      Das Gesicht der alten Dame war so weiß wie die Laken, in denen sie lag. Zita erschrak, wie eingefallen und faltig Franziska wirkte, dabei war sie ihr immer schon wie der Inbegriff einer Greisin erschienen. Die Alte wandte leicht den Kopf, als die drei Frauen das Zimmer betraten.

      »Kommt herein«, sagte sie. Ihre Stimme klang heiser, rau und irgendwie auch hohl und unheimlich. Unwillkürlich musste Zita an den Mann denken, der ihr im Zug begegnet war, neulich, als sie mit dem Notizbüchlein im Gepäck an den Bodensee gereist war. Er hielt sich, wenn er sprechen wollte, einen Verstärker an die Stimmbänder, weil er Kehlkopfkrebs hatte. Ganz ähnlich klang nun Franziskas Stimme, als sie hasserfüllt hervorstieß: »Sophie und Luise, sie haben Siegfried getötet. Einen, der fürs Vaterland kämpfte, einen mutigen Mann, der für seine Sache einstand.« Mia, Zita und Melissa wechselten einen erschrockenen Blick. Sophie war Philippes Urgroßmutter gewesen. Und sie sollte Siegfried, ihren eigenen Bruder, getötet haben? Gemeinsam mit dessen Frau Luise?

      Mia ging zögernd auf das Bett zu. Franziska atmete keuchend aus. »Ich habe das immer gewusst. Ich war die Einzige aus der Familie, die wusste, wie meine Tanten, von denen alle sagten, sie seien so wunderbar und so gut, wirklich waren.«

      »Hast du sie verraten, Tante Franziska?«, bohrte Mia. »Ist das der Grund, warum du wegen des Notizbüchleins so erschrocken bist? Dachtest du, dass darin etwas über deinen Verrat zu finden sei?«

      Franziska wandte den Kopf ab und presste die Lippen aufeinander. »Bitte, Tante Franziska«, flehte Mia, »du musst es mir sagen!«

      Franziska sah sie wieder an mit ihren trüben alten Augen. Ihre Stimme klang keuchend und pfeifend, als sie sagte: »Ich war die Jüngste, die Kleinste, mein Kind. Ich habe früh gelernt, dass es von Vorteil ist, Dinge zu wissen. Nur so kommt man durch im Leben.«

      »Hast du sie verraten?«, fragte nun auch Melissa. »Ist es das, was dich quält? Haben sich Johanna und Sophie deshalb überworfen? Ist das der Grund?«

      Johanna war Mias Großmutter. Philippe hatte erzählt, dass das Zerwürfnis mit Johanna seine Urgroßmutter immer gequält hatte – aber auch er wusste nicht, wodurch es zustande gekommen war.

      »Ach, mein liebes Kind.« Franziska legte ihre faltige Hand an Mias Wange. »Mein liebes Kind, es ist danach noch so viel geschehen. Ich war immer diejenige, die alles wusste und die das zu nutzen verstand.« Ein trotziger Ausdruck trat auf ihr Gesicht, als sie wiederholte: »Ich war ja auch die Kleinste, ich musste sehen, wo ich bleibe.«

      Nachdenklich sah sie Mia an. »Ich weiß auch Dinge über dich, Mia-Kind, die du nicht weißt.« Ihr Blick schweifte zu Melissa. »Dinge, die auch deine Mutter betreffen. Und die selbst sie nicht weiß.«

      »Was für Dinge?«, rief Mia. »Rede doch mit mir, Tante Franziska!« Und auch Melissa trat einen Schritt vor. Im Gegensatz zu ihrer Tochter war sie ganz ruhig, als sie sagte: »Bitte, Franziska, du hast uns diese Dinge ein Leben lang verschwiegen und uns damit belastet. Bitte lass uns nicht im Ungewissen.«

      Im Blick der alten Frau begann es zu flackern. »Es gibt so vieles, was ihr nicht wisst«, sagte sie, nahm dann Mias Hand und krallte sich an ihr fest. Es schmerzte und Mia biss die Zähne zusammen.

      »Es ist alles ganz anders, als ihr immer glaubtet«, stieß Franziska hervor. »Johanna ist gar nicht deine Großmutter, Mia. Und nicht deine Mutter«, wandte sie sich an Melissa.

      Mia schrie