»Nicht, dass ich wüsste. Warum?«
»Vielleicht gibt es irgendeine Parallele, die uns auf eine Spur bringt. Irgendeine Gemeinsamkeit zwischen den beiden Männern, ein Hobby, eine Eigenschaft, gemeinsame Bekannte. Irgendetwas, das sie zum geeigneten Opfer gemacht hat und das uns zum Täter führen könnte.«
»Außer dem Zufall und der Tatsache, dass sich beide zur falschen Zeit am falschen Ort aufgehalten haben, meinst du? Wenn dem so ist, werden wir es früher oder später herausfinden.«
»Hoffentlich, bevor der Täter noch einmal zuschlägt. Was ist mit dieser Verkäuferin im Hofladen, Irmgard …« Sandra fiel der Nachname nicht ein.
»Kolleritsch«, sagte Bergmann. »Na? Wer hat denn nun das bessere Namensgedächtnis von uns beiden?«
»Schon gut, Sascha. Bleib doch bitte mal ernst.« Der Mann war ein solcher Kindskopf.
»Der Name Irmi taucht einige Male in Markus Haselbachers Kalender, in seinen Anruflisten und E-Mails auf. Wir wissen inzwischen, dass ihre Beziehung nicht nur geschäftlich war. So was soll ja vorkommen … Paul Stadler, ts, ts …« Bergmann wurde von den Klingeltönen seines Handys unterbrochen.
Noch ehe Sandra ihm sein Verhältnis mit der Gerichtsmedizinerin unter die Nase reiben konnte, hatte er das Gespräch angenommen. »Gut«, sagte er, nachdem er eine Weile zugehört hatte, »bis morgen.«
»Und? Was Neues?«
»Wie nicht anders erwartet, wird Christian Maric noch immer vermisst. Miriam hat die beiden Jazzmusiker für morgen um 14 Uhr zur Einvernahme ins LKA bestellt. Das sollte sich mit der Obduktion am Vormittag ausgehen.«
Sandra verkniff sich die Retourkutsche, die Bergmann und die Gerichtsmedizinerin betraf. Sie war heilfroh, dass er wie üblich der Obduktion beiwohnen würde. Auf Leichensektionen konnte sie gut und gern verzichten. Ihr reichte es vollkommen, die Obduktionsbefunde zu studieren. »Wenn wir es wirklich mit einem Serientäter, nicht mit einem Mörder und einem Nachahmungstäter, zu tun haben, finde ich noch etwas auffällig«, sagte sie stattdessen.
»Und zwar?«
»Zwischen den beiden Morden liegen keine zwei Wochen. Normalerweise warten Serientäter länger ab, ob man ihnen auf die Schliche kommt. Erst, wenn sie sich einigermaßen sicher fühlen, schlagen sie erneut zu.«
»Und mit jeder weiteren Leiche werden die Zeiträume zwischen den Morden kürzer«, ergänzte Bergmann.
»Gab es denn schon früher mal einen ähnlichen Mord? Woanders als in der Steiermark, meine ich.« Sandra war kein solcher Fall in ihrem Bundesland unterkommen, seit sie beim LKA arbeitete.
»Das haben wir noch nicht überprüft. Wir müssen ja erst seit heute Morgen davon ausgehen, dass wir es mit einem Serientäter zu tun haben. Bisher haben wir uns nur die Straftaten angesehen, die in den letzten fünf Jahren im Bezirk Südoststeiermark, beziehungsweise vor der Fusionierung in den Bezirken Feldbach und Radkersburg vorgefallen sind. Vor allem jene, bei denen Menschen verletzt oder getötet wurden. Von Kindesmisshandlungen, über Wirtshausschlägereien bis hin zu Raub mit Körperverletzung und Vergewaltigung ist alles vertreten. Aber nur ein einziger Mord in Hatzendorf im April 2010, eine Beziehungstat. Ein Landwirt hat seiner Ehefrau den Kopf mit einer Sense beinahe abgetrennt.«
»Richtig. Damals war ich auf Schulung«, erinnerte sich Sandra vage an den Fall, der nach ihrer Rückkehr vom Kriminalpsychologie-Seminar auf der Lassnitzhöhe bereits von den Kollegen aufgeklärt worden war. »Demnach leben hier keine weiteren einschlägig Vorbestraften?«
»Nicht unter den gemeldeten Personen. Dass der Täter ein Tourist ist, halte ich für unwahrscheinlich. Er scheint sich rund um Straden sehr gut auszukennen.«
»Es könnte auch sein, dass es für das straffe Timing zwischen den Taten einen bestimmten Grund gibt. Vielleicht wählt der Täter die Zeitpunkte ganz gezielt aus. Wie Vollmond, Neumond oder so was. Sieh doch mal im Mondkalender nach«, schlug Sandra vor.
Bergmann zückte prompt sein Smartphone. »Heute ist Neumond«, meinte er nach einer Weile.
»Dann war vor 14 Tagen Vollmond …«
»Am 18. Oktober.«
»So lange ist das zweite Opfer auf keinen Fall tot. Es sei denn, die Leiche hätte einige Tage auf Eis gelegen.«
»Und Haselbachers Ermordung hat zwei Tage nach Vollmond stattgefunden. Nein, der Mondzyklus spielt wohl keine Rolle.«
»Mir kommt da gerade eine andere Idee in den Sinn …« Sandra hing ihren Gedanken nach.
»Erzählst du sie mir auch?«
»Ach so, na klar … Gehen wir mal davon aus, dass die Amputation der Hände dieselben Merkmale wie die der Beine aufweist«, redete Sandra weiter. »Was, wenn die Gliedmaßen abgenommen wurden, um sie jemand anders zu transplantieren, der dafür viel Geld bezahlt?«
Bergmann richtete sich in seinem Sitz auf. »Illegaler Handel mit Gliedmaßen, meinst du? Ist zumindest ein neuer Ansatz …«
»Von Beintransplantationen habe ich allerdings noch nie etwas gehört. Nur von Handtransplantationen. Einem der Opfer des Bombenlegers Franz Fuchs haben sie damals doch erfolgreich die Hände eines Spenders transplantiert. Er fährt damit sogar wieder Motorrad.«
»Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass transplantierte Beine zum Gehen taugen.«
Sandra zuckte mit den Schultern. »War auch nur so ein Gedanke. Andererseits schreitet die Medizin stetig voran. Wir hatten es ja auch schon mal mit einem Herztransplantierten zu tun, der kräftig genug war, um mehrere Frauen zu töten und ihre Leichen fortzuschaffen«, erinnerte sie sich an jenen Fall, den sie vor zwei Jahren in der Weststeiermark gelöst hatten.
»Ich werde Jutta morgen dazu befragen. Stell dir vor, wir haben uns…«
»Bitte nicht, Sascha«, hielt Sandra den Chefinspektor von einem privaten Geständnis ab.
Bergmann grinste breit. »Ganz meine alte Sandra.«
»Weder deine noch alt«, sagte sie und stieg aufs Gas, um den Traktor zu überholen.
Kapitel 2
Montag, 4. November
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